
«Hier wächst Ihr Brot»
Im Talkessel Schwyz baut Biobauer Michael Reichmuth für die Bäckerei Chilestägli in Arth Urdinkel an. Es war die Idee...
Senf verfeinert die Grillwurst, den Käse oder die Salatsauce. Die Gewürzpaste hat hierzulande zahlreiche Anhänger, nur die Liebhaber der Olma Bratwurst gehören nicht unbedingt dazu. Angebaut werden Senfsaaten auf unseren Äckern jedoch erst selten, obwohl die Bedingungen eigentlich stimmen würden. Laut dem Bundesamt für Landwirtschaft beträgt die gesamte Anbaufläche nur gerade 60 Hektar. Im Jahr 2024 wurden 111 Tonnen Senfkörner produziert, davon 45 Tonnen in Bio-Qualität. Der meiste Senf ist allerdings Importware. In der Ukraine, Russland, Kanada und Nepal liegen die Hauptanbaugebiete dieser Gewürzpflanze.
Einige wenige Schweizer Landwirtinnen und Landwirte setzen aber dennoch auf diese Nischenkultur. Petra und Koni Langhart vom Biohof Trottengarten in Oberstammheim im Kanton Zürich bauen nicht nur Senf an, sie übernehmen auch die Verarbeitung der Senfsamen selbst. 2019 wurde der vielseitig aufgestellte Betrieb im Zürcher Weinland Vollknospe-zertifiziert und in diesem Jahr bauten die Langharts auch das erste Mal auf einer Parzelle Senf an. Anfangs ging jeweils ein grosser Teil der Ernte an die Genossenschaft Biofarm, nur ein kleiner Anteil blieb für die Direktvermarktung. Da der Senf starken Ertragsschwankungen unterworfen ist, war manchmal kaum mehr etwas für die hofeigene Verarbeitung übrig. So beschloss das Betriebsleiterpaar in der Coronaviruspandemie beim Senf, wie bei vielen ihrer anderen Produkte, vollständig auf Direktvermarktung und Selbstverarbeitung zu setzen, um die Wertschöpfung möglichst auf dem Hof zu behalten.
Der seit 2022 auch Demeter-zertifizierte Hof im Bezirk Andelfingen wird von einem sechsköpfigen Team bewirtschaftet. Auf den insgesamt rund 30 Hektar leben eine Herde von Mutterkühen mit ihren Kälbern, Rinder und ein Stier, eine Truppe von Schafen der Rasse Skudde und einige Pensionspferde. Am Südhang hinter dem Hof zieht sich ein Rebberg und ein Obstgarten gegen die Oberstammheimer Kapelle hoch. Unten in der Ebene sind rund 16 Hektar für den Ackerbau reserviert. Neben Senf gedeihen hier auch Weizen, Hafer, Urdinkel, Sonnenblumen, Lagergemüse und Futtermais in idealer Fruchtfolge. «Bei uns sind zudem die Biodiversitätsförderflächen mit 30 Prozent sehr hoch», betont Koni Langhart.
Nun sät der Agronom und Landwirt auf rund 60 Aaren das eine Jahr weissen (Sinapis alba) und das nächste Jahr braunen Senf (Brassica juncea) an. «Je dunkler die Senfkörner, desto mehr Schärfe besitzen sie», erklärt Petra Langhart. Die schärfste Version, der schwarze Senf (Brassica nicra), gedeiht nur in mediterranem Klima. Neben diesen drei in der Küche verwendeten und deshalb am häufigsten angebauten Senfarten gibt es noch fast 40 weitere. Egal, ob die Körner hell oder dunkel sind, zu den sensiblen Kulturen gehören sie beide. «Letztes Jahr hatten wir beim Senf einen Totalausfall – diese Saison sieht es allerdings sehr gut aus», sagt der Besitzer des Biohofes Trottengarten.
Das Wetter muss stimmen, damit die Senfpflanze gut gedeiht. Gleich nach der Aussaat im April muss es feuchtwüchsiges Wetter sein, damit die Pflanze schnell in die Höhe schiesst. Nur so kann sie ihren ärgsten Feinden, dem Rapsglanzkäfer und dem Unkraut davon wachsen. Der kleine Käfer hat es nämlich auf die Pollen abgesehen. Blühen die Knospen auf, kann der Schädling keinen Schaden mehr anrichten. «Von der Bodenqualität her gibt es für den Senf keine grossen Einschränkungen, aber er benötigt genügend Mist als Dünger», erklärt Koni Langhart. Über die Blütezeit im Juni sollte es dann schön sonnig sein, damit sich die Samen gut entwickeln. Danach gilt es zu warten, bis alle Schoten gleichmässig reif sind. Zum Erntezeitpunkt Anfang August sollte es möglichst keine grünen Exemplare mehr an den über 1,50 Meter hohen Pflanzen geben. Mit dem Dreschen darf aber auch nicht zu lange gewartet werden, weil die trockenen Schoten sonst von selbst aufplatzen.
Dieses Jahr beleuchten wir in unserer Sommerserie verschiedene regionale Spezialitäten und die Menschen, die die Produkte herstellen.
Es gilt also, den genau richtigen Zeitpunkt für die Ernte zu erwischen. «Wir sind schon mehrfach aus unseren Sommerferien frühzeitig heimgereist, weil der Senf gedroschen werden musste», sagt Petra Langhart. Die ersten Male sei es für den Fahrer des Mähdreschers ein besonderer Auftrag gewesen, den Senf zu ernten, in den er sich zuvor einlesen musste. Mittlerweile kennt sich der Mitarbeiter des Lohnunternehmens mit dieser Kultur aus. Nur das laute Knattern überrascht jeweils alle, denn die Senfstängel sind einiges holziger als beispielsweise Raps, der in der gelben Blüte fast zum Verwechseln ähnlich aussieht.
Nach dem Dreschen werden die deutlich weniger als stecknadelkopfgrossen Samen gereinigt, getrocknet und in Papiersäcke abgefüllt. Nun kann sich Petra Langhart an die Verarbeitung machen. «Als wir mit dem Senfanbau loslegten, habe ich einen Kurs zur Herstellung der Gewürzpaste gemacht und in unserer Küche mit dem Umsetzen verschiedener Rezepturen losgelegt», erzählt die landwirtschaftliche Quereinsteigerin. Mittlerweile gibt es im Untergeschoss des für die Region typischen Riegelhauses einen eigenen Produktionsraum mit einem kleinen Mahlwerk. Erst durch das Mahlen werden die scharfen Senföle freigesetzt. Diese erfüllen nicht nur für unseren Gaumen, sondern auch für die Pflanze selbst eine Funktion: Sie sind ein Fressschutz und halten Bakterien und Pilze fern.
Die traditionelle Grundrezeptur ist relativ simpel. Zu den mehr oder weniger fein gewalzten Senfkörnern werden Wasser, Essig oder Most und Salz gemischt. Damit ist die Gewürzpaste aber noch nicht genussfertig. «Senf herstellen braucht eine gute Portion Geduld, denn die frische Grundpaste muss mindestens zwei Wochen zum Quellen stehen gelassen werden, damit sich die Aromen voll entfalten», erklärt Petra Langhart.
Senf verleiht unseren Speisen nicht nur das gewisse Etwas, die Senföle haben auch eine gesundheitsfördernde Wirkung. Seit der Antike wird Senf als Heilpflanze angewendet, zur Durchblutungsförderung, gegen Entzündungen und zur Verdauungsanregung.
Petra Langhart lässt es selten beim Grundrezept bleiben, sie liebt es zu experimentieren – mit mehr oder wenigen scharfen Senfvarianten, mit Erdbeeren, Quitten, Baumnüssen oder Zitronenmelisse. «Ausser den Erdbeeren stammt alles, was ich für die Senfproduktion benötige, ob Früchte, Kräuter, Apfelmost oder Weinessig aus unserem eigenen Anbau», sagt die gelernte Goldschmiedin und Immobilienbewirtschafterin nicht ohne Stolz.
Die Senfprodukte werden im hübsch eingerichteten Hofladen, online, in diversen Bioläden und in einem Unverpacktladen angeboten und an Gastronomiebetriebe verkauft. Zudem sind Gewürz- und Senfhersteller auch Abnehmer von ungemahlenen Senfkörnern.
Die Senfkreationen vom Biohof Trottengarten erfreuen sich grosser Beliebtheit. Bleibt die Frage, weshalb nicht mehr Schweizer Landwirte auf diese Kultur setzen. Sind es allein die grossen Ertragsschwankungen? «Der Ertrag ist deutlich geringer als beispielsweise bei Weizen, der Preisdruck vom Ausland ist gross – importierte Senfkörner sind viel preiswerter als in der Schweiz produzierte und dazu kommt, dass viele bereits Raps anbauen, da passt Senf von der Fruchtfolge her nicht dazu», erklärt Koni Langhart. Dennoch gibt es sowohl in der West- als auch in der Deutschschweiz einige weitere Landwirtschaftsbetriebe, die das Wagnis Senfanbau umsetzen.
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