Nostalgie und Innovation vereint in einem Müesli

Sommerserie – Teil 4: Seit einigen Monaten ist bei der Dittligmühle das Fotzelschnitte-Müesli im Sortiment. Inhaberin und Geschäftsführerin Carmen Bezençon erklärt, wie das Brot ins zimtig-knusprige Müesli kommt, wie damit Food Waste verhindert wird und welchen Wert regionale Produkte aufweisen.
Zuletzt aktualisiert am 4. August 2025
von Elin Wittwer
6 Minuten Lesedauer
2025 Regional Produkt Naturpark Gantrisch Dittlig Muehle Carmen Bezencon Ewi (1)

25 verschiedene Backmischungen, über 20 Standardmehle, diverse Müeslimischungen und Cerealien sind im Goldkorn-Shop, dem Laden der Dittligmühle, erhältlich – das Sortiment kann sich sehen lassen. Coop, diverse Filialen der Landi, Prodega und neuerdings auch die Migros bestellen ihr Mehl hier in Längenbühl im Kanton Bern. Die Kundschaft kommt dabei aus allen Ecken der Schweiz, wie eine Karte beim Eingang des Ladens zeigt.

Seit April 2025 ist ein besonders innovatives Produkt im Sortiment: das Fotzelschnitte-Müesli. Im Herbst dieses Jahres wird es auch in etwa 90 ausgewählten Coop-Filialen erhältlich sein.

Brot retten

Die Idee für das Fotzelschnitte-Müesli stammt ursprünglich von einem Vertreter eines Lieferanten der Dittligmühle. Er erinnerte sich an einen Bäcker, der nicht verkauftes Brot für ein Müesli verwendete. Das Projekt des Bäckers nahm jedoch nicht an Schwung auf, da auch das Marketing dazu fehlte, und wurde deshalb nicht weiterverfolgt.

Von diesem Projekt liess sich Carmen Bezençon inspirieren und tüftelte zusammen mit ihrem Team an dem neuen Produkt. Das Ziel: ein Abfallprodukt retten und in einem neuen Produkt wiederverwerten.

«Die Mühle selbst produziert kaum Food-Waste», meint Carmen Bezençon. «Alles, was keine Verwendung findet, wird zu Tierfutter verarbeitet», erklärt sie weiter. Bei einer Bäckerei sehe das schon etwas anders aus. Nicht verkauftes Brot wird in der Regel am nächsten Tag nicht mehr angeboten.

Das Rezept der Fotzelschnitte reicht mehrere Jahrhunderte zurück. Altes, hartes Brot wird in Ei und Milch getunkt, in Butter goldbraun gebraten und danach in Zimtzucker gewendet.

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«Es gibt auch kreativere Formen der nachhaltigen Produktion»: Das Fotzelschnitte-Müesli der Dittligmühle. (ewi)

Hand in Hand

Für das Fotzelschnitte-Müesli arbeitet die Dittligmühle mit dem Dorfbeck Schwarzenburg zusammen. Mit ihm ist eine ideale Partnerschaft entstanden, von welcher beide Seiten profitieren. Die Bäckerei bezieht Mehl bei der Dittligmühle, betreibt mehrere Filialen im Gantrischgebiet und verfügt bereits über Sammelstellen, an denen das nicht verkaufte Brot gesammelt wird.

Vom Dorfbeck bekommt die Dittligmühle nur Restbrot, das mit Mehl des Naturpark Gantrisch gebacken wurde. Somit ist das Fotzelschnitte-Müesli ein zertifiziertes Produkt des Naturpark Gantrisch. Aufgrund der Deklaration von Allergenen wird auch auf Brote mit Kernen, Sesam oder Nüssen verzichtet. In die Tüte kommt nur Restbrot aus Weizen, Dinkel und Roggen.

Vom Brot zum Müesli

Ungefähr alle zwei Wochen liefert die Dittligmühle dem Dorfbeck Schwarzenburg Mehl und nimmt gleich das getrocknete Restbrot mit. «So fallen keine zusätzlichen Fahrten an», erklärt Carmen Bezençon, «und es entsteht ein optimaler Kreislauf.»

In der Mühle angekommen wird das Brot mit einer Maschine manuell zu Paniermehl verarbeitet und mit etwas Rohzucker zu Krümel gebacken. Alle Zutaten kommen in den Mischer und werden danach im obersten Stock des Mühleturms abgefüllt. In einem letzten Schritt wird die Verpackung von Hand zugenäht.

«In unseren Müesli steckt sehr viel Handarbeit», betont Carmen Bezençon. Das macht die Produkte auch teurer. Mit dem Fotzelschnitte-Müesli bringt sie aber ein konkurrenzfähigeres Müesli auf den Markt. «Das teure an unseren Müesli sind vor allem die getrockneten Früchte – auf diese haben wir beim Fotzelschnitte-Müesli verzichtet.»

Sommerserie: Regionale Spezialitäten

Erinnerung an vergangene Zeiten

An der BEA dieses Jahres liess Carmen Bezençon mit der Frage «Wer kennt sie noch, die Fotzelschnitte?» die Augen der Kundschaft leuchten. «Schnell merkten wir: Mit der Fotzelschnitte verbinden viele Leute sehr positive Erinnerungen – der Begriff berührt regelrecht.»

Bei der Lancierung des Produkts hätten Degustationen sehr geholfen. Auch Leute, die Zimt ansonsten weniger mögen, seien so auf den Geschmack des Fotzelschnitte-Müeslis gekommen. Bei neuen Produkten brauche es generell etwas länger, bis die Leute es auch wirklich kaufen. «Sobald sie aber die Idee dahinter verstanden haben, erklären sie es auch sehr gerne anderen und haben Freude an dem Produkt», meint Carmen Bezençon schmunzelnd.

  • Die Dittligmühle in Längenbühl erhielt im Jahr 1848 erstmals die Genehmigung, ein Wasserrad zum Betrieb der Mühle zu nutzen. (ewi)
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  • Das Selbstbedienungs-Café «Irmas Mahlwerk» steht Besucherinnen und Besuchern nach dem Einkauf im Goldkorn-Shop offen. (ewi)
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Eine der wenigen

Der Goldkorn-Shop macht rund einen Drittel des betrieblichen Gesamtumsatzes aus. Die Dittligmühle stelle damit einen Ausnahmefall dar: «Eine Mühle dieser Grösse, die ausschliesslich vom Müllereibetrieb lebt, gibt es in der Schweiz nur noch selten», sagt Carmen Bezençon. Dies zwinge aber auch zur Innovation.

Während es inzwischen nur noch 45 aktive Mehlmühlen in der Schweiz gibt, belief sich diese Zahl in den 1950er-Jahren auf 300. Heute verarbeiten die sieben grössten Müllereibetriebe fast 90 Prozent der Getreidemenge.

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Der Hafer für die Hasen-Haferflocken wird in weiten Reihen gesät, um mehr Lebensräume für Feldhasen zu schaffen. (ewi)

Regionale Wertschöpfung

Die meisten Landwirtschaftsbetriebe im Naturpark Gantrisch betreiben Extenso-Produktion. Rund 50 Prozent der Getreidefläche in der Schweiz werden nach diesem Standard bewirtschaftet. Getreideproduzierende verzichten bei der extensiven Produktion auf den Einsatz von Fungiziden, Insektiziden und Wachstumsregulatoren und werden dafür vom Bund unterstützt. Herbizide sind in beschränktem Umfang erlaubt.

Die Nachfrage nach Bio-Produkten sei im Goldkorn-Shop gering. Die Kundschaft schätze aber umso mehr die Regionalität der Produkte. Mit dem Fotzelschnitte-Müesli will Carmen Bezençon zeigen: «Es gibt auch kreativere Formen der nachhaltigen Produktion.» Auch bei diesem Produkt stehe der Umweltgedanke im Zentrum.

«Neben 100 anderen Müesli im Laden hebt sich das Fotzelschnitte-Müesli durch seinen Zusatznutzen ab», so Carmen Bezençon. Mit dem Fotzelschnitte-Müesli werde nicht nur Brot gerettet, auch die Wertschöpfung bleibe komplett im Naturpark Gantrisch. «Das sichert Arbeitsplätze in der Region», sagt sie.

Auch bei den Hasen-Haferflocken der Dittligmühle ergibt sich dieser Zusatznutzen. Der Hafer wird hierzu in weiten Reihen gesät, um mehr Lebensräume für Feldhasen zu schaffen. Diese graben im Unterschied zu Kaninchen keinen Bau und sind durch die intensive Landwirtschaft bedroht.

Geschichte der Dittligmühle in Längenbühl BE

Geschichte der Dittligmühle in Längenbühl BE

Carmen Bezençon ist seit 2019 Inhaberin und Geschäftsführerin der Dittligmühle. Als geborene Wenger führt sie den Betrieb in der 7. Generation.

Laut dem Amt der Stadt Thun erhielten Joseph Wenger und ein Müller im Jahr 1848 die Genehmigung zum Betreiben eines Wasserrads zum Mühlenbetrieb für die Dittligmühle in Längenbühl BE. Dafür wurde Wasser aus dem Dittligsee verwendet.

Mit der Eröffnung der ersten Poststelle des Dorfes stellte die Dittligmühle das Dorfzentrum dar und betrieb zudem eine Bäckerei und einen Laden. Pferde mit Kutschen wurden hier gewechselt, um dann auf den Gurnigel zu fahren.

Seit 1950 ist die Dittligmühle ein reiner Mühlebetrieb. Mit einer Tagesleistung von 450 kg pro Stunde werden heute ungefähr 530 Tonnen Rohware zu 380 Tonnen Mehl verarbeitet.

2024 lieferte die Dittligmühle den Grossteil ihrer Produktion an Filialen des Coop Detailhandels, gefolgt von Coop Hausbäckereien. Für die Hausbäckereien verwendet Coop Bio-Mehl der Dittligmühle und führt in ausgewählten Filialen ein grosses Sortiment an Back- und Müeslimischungen der Marke «Gantrisch Goldkorn».

Vertrauen und Transparenz

Der Trend von regionalen Produkten habe wieder etwas abgenommen. Im Goldkorn-Shop betrachtet Carmen Bezençon einen Rückgang beim Kauf der Backmischungen. Vermehrt werde wieder auf günstigere Standardmehle zurückgegriffen. «Die Leute sparen generell, auch beim Essen», erläutert sie.

Das Beziehen und Verarbeiten regionaler Rohstoffe bedeutet für Bäuerinnen und Bauern sowie für die Mühle kurze Wege, viele bringen ihr Getreide mit dem Traktor zur Mühle. Besonders hier sieht Carmen Bezençon den Wert eines regionalen Produkts: «Alles wächst in der Region – die Konsumentinnen und Konsumenten kennen die Transportwege, die Produzierenden und deren Land und das schafft viel Vertrauen und Transparenz.»

«Mit den meisten Bäuerinnen und Bauern haben wir keine Verträge – sie wissen, dass sie uns die Ware einfach bringen können», erklärt Carmen Bezençon. Auf Voranmeldung werden auch Gruppen durch die Mühle geführt und in der Schaumühle können Interessierte auf eigene Faust alle Schritte des Prozesses entdecken – vom Korn bis zum fertigen Mehl.