«Momentan können nicht alle Stellen besetzt werden»

Roland Stähli ist seit 2012 Leiter der Lehre an der HAFL. Im Interview spricht er über den aktuellen Arbeitsmarkt, Herausforderungen an die Fachkräfte von Morgen und weshalb die HAFL viel Augenmerk auf 15% des Studiums setzt.
Zuletzt aktualisiert am 27. April 2023
von Melina Griffin
4 Minuten Lesedauer

LID: 2022 wurden an der HAFL 70 Agronominnen und Agronomen auf Bachelor-Niveau und 10 Agronominnen und Agronomen auf Master-Niveau diplomiert. In welchen Berufsfeldern arbeiten diese später?

In den vergangenen Jahren haben wir an der HAFL versucht zu verfolgen, in welchen Berufsfeldern die AbsolventInnen des Studiengangs BSc Agronomie eine berufliche Tätigkeit gefunden haben. Exakte Zahlen dazu sind schwierig zu erhalten, weil sich nicht alle Angefragten melden. Zusammengefasst kann man die folgenden Berufsfelder als besonders relevant für Agronomiestudierende bezeichnen:

  • Vor- und nachgelagerte Stufen der Landwirtschaft: Zulieferer oder Abnehmer wie Futtermittel-, Pflanzenschutz- und Düngerhandel; Landmaschinenhandel; Agrarproduktehandel z.B. Früchte, Gemüse, Kartoffeln, Milch
  • Landwirtschaftliche Organisationen und Verbände: Schweizerische und kantonale Bauernverbände, Branchenorganisationen z.B. Tierzucht, Saatzucht, Vermarktung etc.
  • Landwirtschaftliche Beratung: Staatliche oder kantonale Beratungsstellen, aber auch private Beratungsbüros
  • Agrotreuhandsektor
  • Landwirtschaftliche Bildung: Primär kantonale, landwirtschaftliche Bildungszentren
  • Forschungsinstitutionen wie Agroscope oder FiBL.
  • Übernahme von landwirtschaftlichen Betrieben oder eigene Unternehmen in der Branche

Das Spektrum der Möglichkeiten ist also sehr breit. Die Arbeitgeber melden uns, dass in der Tendenz nicht alle offenen Stellen adäquat besetzt werden können. Sie wünschen sich mehr Absolvierende der HAFL.

Wie hat sich die Anzahl Agronomen und Agronominnen in den letzten Jahrzehnten entwickelt und wie sieht der Trend für die Zukunft aus?

Die Anzahl der Studienanfänger und -anfängerinnen und die Zahl der Absolvierenden im Bereich Agronomie ist in der Zeit von 1995 bis 2015 immer leicht gestiegen. In den letzten Jahren sind die Zahlen stabil geblieben, so dass in der Regel pro Jahr ca. 100 Studierende das Agronomiestudium an der HAFL beginnen. Für die Zukunft gehen wir davon aus, dass wir das erreichte Niveau halten können. Eine Zunahme der Studierenden ist nicht zu erwarten, da das Angebot an Ausbildungsmöglichkeiten im Tertiärbereich laufend zunimmt und die Konkurrenz um Studierende eher steigt.

Was lernen junge Agronomie-Studierende an der HAFL?

Serie HAFL (1). Digitale Lösungen für eine zukunftsorientierte Landwirtschaft entwickeln, die Branche in Fragen rund um den Klimawandel beraten, junge Lernende für ihre berufliche Zukunft rüsten oder selbst ein Produkt entwickeln: an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften können Studierende sich für eine Vertiefung entscheiden und ihr berufliches Profil schärfen.

«Wir legen grosses Augenmerk auf die Ausbildung von Future Skills.»
Roland Stähli
Roland Stähli

Wie sieht der Arbeitsmarkt aktuell aus?

Wie zuvor erwähnt, sind die Berufsaussichten sehr gut, weil die Arbeitgebenden immer noch mehr gut ausgebildete Fachleute suchen. Zudem zeichnet sich in unseren Branchen ein Generationenwechsel ab. Viele Agronomen und Agronominnen werden in den kommenden Jahren das Pensionsalter erreichen. Wir beobachten die Entwicklungen am Arbeitsmarkt regelmässig zum Beispiel mit Arbeitsmarktstudien und machen aus den dort gewonnenen Erkenntnissen Anpassungen im Studienprogramm. Zurzeit läuft die Umsetzung der aktuellen Curriculumreform, welche 2021 begonnen hat und 2024 abgeschlossen werden kann.

Die HAFL wirbt mit Nachhaltigkeit und einem hohen Praxisbezug. Mit welchen Massnahmen bereitet die HAFL ihre Studierenden auf den Arbeitsmarkt vor?

Wir möchten unsere Absolvierenden bestmöglich auf den Start in die Arbeitswelt vorbereiten. Dies tun wir mit dem Einhalten von vier Kernpunkten, angefangen mit der Ausrichtung auf aktuelle Fragestellungen in der Branche. Dies bedingt einen engen Praxisbezug in der Lehre. Das erreichen wir mittels Netzwerken unserer Dozierenden mit Branchenvertretern und -vertreterinnen, der Zusammenarbeit mit vielen externen Lehrbeauftragten und regelmässigen Praxisübungen sowie Exkursionen. Ausserdem ist der Einbezug aktueller Themen im Unterricht wahnsinnig wichtig. Insbesondere die Themen Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Unternehmertum und Interdisziplinarität stehen zurzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit.Zusätzlich formulieren wir zukunftsorientierte Kompetenzen, die im Rahmen der Ausbildung erreicht werden sollen. Da sprechen wir von sogenannten «Future Skills». Dabei geht es darum, neben den fachlichen Kompetenzen vermehrt auch die Sozial- und Selbstkompetenzen der Studierenden gezielt zu fördern. Und last but not least sind zukunftsorientierte methodische Settings in der Lehre wichtig. Zum Beispiel die Kombination von Unterricht vor Ort und auf Distanz oder mehr problemorientierte Lehr-Lern-Formen.

Was ist die Idee hinter den Minorprogrammen?

Das Studium an der HAFL setzt sich aus drei grossen Teilen zusammen, aus dem obligatorischen Studienbereich - Grundlagen und Vertiefungen des Studiengangs -, aus dem Wahlbereich - Minorprogramme und Wahlmodule - sowie aus den studentischen Arbeiten, den (Semester- und Bachelorarbeiten).

«In der Berufsbildung und in Beratungsfunktionen sind viele Stellen ausgeschrieben.»
Roland Stähli
Roland Stähli

Wie hat sich die HAFL auf die vier bestehenden Minorprogramme geeinigt?

Der Wahlbereich ist uns sehr wichtig. Er umfasst ca. 15% des gesamten Studiums und ist grösser als in den meisten anderen Fachhochschulstudiengängen. Der Wahlbereich bietet den Studierenden die Möglichkeit, Schwerpunkte nach eigenem Interesse und nach persönlichen Bedürfnissen zu setzen. Ungefähr 2/3 aller Studierenden wählen im Wahlbereich ein Minorprogramm, welches ihnen in gut konzipierter Art und Weise eine ergänzende Vertiefung ermöglicht.

Für welchen Minor ist die Nachfrage am höchsten und was sind die Gründe dafür?

Am meisten Studierende wählen den Minor «Unterricht und Beratung», weil die dort erworbenen Zusatzkompetenzen in der Arbeitswelt sehr gefragt sind und weil in diesem Minor auch zwei spezielle Zertifikate erworben werden können. Zudem sind zurzeit viele Stellen in der Berufsbildung und in Beratungsfunktionen ausgeschrieben. Auch bei den weiteren drei Minorprogrammen ist die Nachfrage stabil.

Wie sieht die Minor-Planung für die Zukunft aus?

Die zentrale Anforderung an ein Minorprogramm ist die Tatsache, dass sich das Angebot nicht nur an einen Studiengang (z.B. Agronomie) richtet, sondern dass das Angebot für alle Bachelorprogramme der HAFL attraktiv sein kann. Diese Bedingung ist im Moment erfüllt. Wenn wir in den vergangenen Jahren feststellen konnten, dass die Einschreibungen für ein Minorprogramm zurückgegangen sind, haben wir unser Angebot jeweils überprüft. Zudem sind wir offen, neue Ideen für andere Minorprogramme zu berücksichtigen. So haben wir vor einigen Jahren ein Minorprogramm weiterentwickelt - von Agrartechnik zu neuen Technologien - und das Programm «Klimawandel und Ressourcenschutz» neu aufgebaut . Die nächsten Jahre werden zeigen, wo im Wahlbereich allenfalls neue Akzente zu setzen sind. Wir sind stolz auf unsere Minorprogramme, welche den Absolvierenden einen echten Mehrwert in der Ausbildung ermöglichen.

Über Roland Stähli

Roland Stähli ist seit 26 Jahren an der HAFL und koordiniert seit mehr als zehn Jahren alle Aktivitäten im Ressort Lehre. Er leitet Projekte zur Weiterentwicklung der Lehre in den Bereichen Qualitätsentwicklung oder Digitalisierung. Zusätzlich ist er Professor für Methodik und Didaktik. Ausserdem arbeitet er in kleinen Forschungsprojekten zu Wissenserwerb, -generierung und -transfer mit, auch international. Stähli ist bekannt bei den Studierenden, immer ein offenes Ohr für ihre Anliegen zu haben und gibt Rat, wenn sich bei der Planung des Studiums Schwierigkeiten abzeichnen.