Klimagipfel im Zeichen von Klima, Konsum und graslandbasierter Landwirtschaft

Am Publikumstag des Klimagipfels in Landquart im Kanton Graubünden informierten sich die Besucher über klimafreundliche Produktion, Ernährung und Konsum. Weil in der Schweiz eine graslandbasierte Landwirtschaft vorherrscht, standen die Rinder im Mittelpunkt der Gespräche.
Zuletzt aktualisiert am 4. Dezember 2025
von Jürg Vollmer
5 Minuten Lesedauer
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In der Schweiz herrscht eine graslandbasierte Landwirtschaft vor. Deshalb standen die Rinder am Klimagipfel für Landwirtschaft und Esskultur im Mittelpunkt der Gespräche. (jvo)

Ende November 2025 reisten 530 Interessierte zum Klimagipfel für Landwirtschaft und Esskultur nach Landquart. Der Anlass verband an zwei Tagen die Debatte über klimafreundliche Lebensmittelproduktion mit Fragen des Konsums – ein Format, das es in der Schweiz bisher nicht gab. Organisiert wurde der Anlass vom Projekt «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden» und dem Verein «Netzwerk Klima & Landwirtschaft».

Am Freitag diskutierten 250 Fachleute unter sich – am Samstag öffnete der Gipfel für die breite Öffentlichkeit: Rund 280 Besucherinnen und Besucher informierten sich über Pilotbetriebe, Beratungsangebote und Themeninseln und erfuhren, wie Klima, Ernährung und Landwirtschaft zusammenhängen.

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Klimaforscher Thomas Stocker gehört zu den international meistzitierten Klimaforschern. Am Klimagipfel in Landquart zeigte er, dass die Welt heute im wärmsten Jahrzehnt seit Beginn der Messungen lebt. (jvo)

Klimaforscher Thomas Stocker warnt vor den Folgen des Klimawandels

Zum Auftakt des Publikumstages setzte Klimaforscher Thomas Stocker den wissenschaftlichen Rahmen. Er gehört zu den international meistzitierten Klimaforschern und war langjähriger Leitautor des Weltklimarates IPCC. Thomas Stocker zeigte, dass die Welt heute im wärmsten Jahrzehnt seit Beginn der Messungen lebt. Seit 1900 hat sich die Schweiz um 2,9 Grad erwärmt und damit doppelt so stark wie der globale Durchschnitt von 1,5 Grad. Haupttreiber sind Treibhausgase aus der Verbrennung fossiler Energieträger und aus der Abholzung von Wäldern. Sie lassen Sonnenlicht in die Atmosphäre, halten aber einen Teil der von der Erde abgestrahlten Wärme zurück.

Die Folgen sind auch in der Schweiz längst sichtbar: Abwechselnd lange Trockenphasen, heftige Starkniederschläge, weniger Schnee und eine steigende Nullgradgrenze. «Bei plus 3 Grad bis 2050 wird die Nullgradgrenze im Sommer auf die Höhe des Matterhorns klettern», warnte Thomas Stocker. Seine Botschaft war klar: «Die Konzentration von Treibhausgasen ist höher als in den letzten 800’000 Jahren – um die Vorgaben des Pariser Abkommens einzuhalten, müssen die Emissionen sofort sinken und bis spätestens 2050 netto null erreichen.»

«Netto-Null ist nicht nur eine ökologische Notwendigkeit, sondern auch eine wirtschaftliche Chance», sagte Thomas Stocker. Voraussetzung ist ein rascher Umbau von Energieversorgung, Mobilität, Konsum und Ernährung.

Prix Climat 2025 für den Agroforst vom Aargauer Adlerhof

Der Prix Climat 2025 geht an den Adlerhof von Pirmin Adler in Oberrüti im Kanton Aargau. Die Fachjury übergab dem Landwirt den Hauptpreis für sein Agroforstkonzept, welches auch im Publikumsvoting überzeugte. Der Prix Climat ist die Auszeichnung für klimafreundliche Landwirtinnen und Landwirte in der Schweiz.

Seit 2022 baut Pirmin Adler seinen 22 Hektar grossen Biolandwirtschaftsbetrieb mit 70 Mutterkühen der Rasse Limousin konsequent zu einem Agroforstsystem um. Er hat über 2’500 Sträucher, Wildobst-, Laub- und Nadelbäume gepflanzt, die gleich mehrere Funktionen erfüllen.

Die Gehölze dienen den Kühen auf der Weide als natürliche «Selbstbedienungsapotheke», fördern die Biodiversität, verbessern das Mikroklima und tragen zur CO₂-Speicherung bei. Die Integration von Frischzweighäcksel im Stall verbessert zudem das Stallklima und stärkt die Tiergesundheit.

 

Der Prix Climat

Der Prix Climat würdigt Landwirtschaftsbetriebe, die mit messbaren Verbesserungen überzeugen: Weniger Treibhausgase, gesündere Böden, effizienterer Umgang mit Energie und Ressourcen. Entscheidend ist, dass die Projekte auch für andere Betriebe als Modell taugen.

Der Prix Climat will nicht nur Anerkennung vergeben — er dient als Schaufenster für klimagerechte Landwirtschaft. Er soll zeigen, dass es nicht den einen Weg gibt, sondern viele individuelle Lösungen, die je nach Region, Hofmanagement und Marktbedingungen funktionieren können.

Für den Prix Climat 2025 hatten sich 32 Landwirtschaftsbetriebe beworben, davon wurden vier nominiert. Am 29. November 2025 erhielt Pirmin Adler den mit 7’000 Franken dotierten Hauptpreis und den Publikumspreis über 4’000 Franken. Die vier Nominierten wurden mit je 2’000 Franken gewürdigt.

Getragen wird der Prix Climat vom Verein «Netzwerk Klima & Landwirtschaft» und der Klima-Allianz Schweiz.

Warum Wiederkäuer nicht das Problem, sondern ein Teil der Lösung sind

Angesichts dieser Prognosen stellte Florian Leiber vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) die grundsätzliche Frage, ob die Landwirtschaft in einer klimaneutralen Zukunft überhaupt noch Nutztiere halten dürfe – und beantwortet sie mit einem klaren «Ja».

Florian Leiber gilt als einer der zuverlässigsten Forscher zur graslandbasierten Nutztierhaltung und ist einer, der lieber Daten sprechen lässt als Ideologien – wissenschaftliche Daten zur Ressourcennutzung, Bodengesundheit, Biodiversität und Ernährungssicherheit. «Wiederkäuer sind die einzige Tiergruppe, die Grasland in Lebensmittel umwandelt, ohne Ackerflächen zu verdrängen, die für den direkten menschlichen Konsum geeignet wären», sagte Florian Leiber. Rindermist liefert zudem Kohlenstoff und Stickstoff, gibt dem Boden Struktur und schafft Mikrohabitate für Insekten. Diese Effekte bauen langfristig Boden auf und fördern die Biodiversität.

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Florian Leiber vom FiBL stellte am Klimagipfel die grundsätzliche Frage, ob die Landwirtschaft in einer klimaneutralen Zukunft überhaupt noch Nutztiere halten dürfe – und beantwortet sie mit einem klaren «Ja». (jvo)

Nutztiere gehören zur Mensch-Tier-Beziehung und stärken die Resilienz

Florian Leiber blendete aber die Klimafrage nicht aus. Er zeigte die Spannungen zwischen zwei Narrativen:

  • «Feed no Food»: Wiederkäuer fressen nur Futter, das Menschen nicht verwerten können. Das nutzt Grasland optimal, speichert Kohlenstoff und stützt die Biodiversität.
  • «Netto-Null»: Methan rückt in den Vordergrund, die Rinderhaltung bewegt sich Richtung Kraftfutter, Technologisierung und weniger Nutztiere.

In diesem Spannungsfeld plädierte Florian Leiber für eine konsequent graslandbasierte Produktion in der Schweiz – ergänzt mit gezielten Methanreduktionen. Dieses System sichert Ernährung, erhält Kohlenstoffspeicher und Kulturlandschaft, fördert die Biodiversität und ermöglicht artgerechte Tierhaltung. Unterstützung dafür erhalten die Landwirtschaftsbetriebe bereits über Beiträge für die graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion und über die Bio-Suisse-Richtlinie von maximal fünf Prozent Kraftfutteranteil.

Zum Schluss erweiterte Florian Leiber den fachlichen Blick um kulturelle und ethische Aspekte. Nutztiere gehören seit Jahrhunderten zur Mensch-Tier-Beziehung und stärken die Resilienz von Berg- und Grünlandregionen. «Wir brauchen Nutztiere weiterhin – nicht im alten Mass, aber im richtigen Mass und graslandbasierte Nutztierhaltung ist die beste Möglichkeit, nachhaltig hochwertige Lebensmittel zu produzieren», fasste er zusammen.