Gemeinsam zu einer gesünderen Ernährung

Konsumentinnen und Konsumenten, Handel, Nahrungsmittelhersteller und Politik sind gemeinsam verantwortlich für eine gesunde Ernährung: Das ist das Fazit der Tagung 2025 der Föderation der Schweizer Nahrungsmittel-Industrien fial am 20. August 2025 in Bern. Die wichtigsten Hebel: transparente Information, vielfältiges Angebot an gesunden Produkten und überarbeitete Rezepturen. Unterschiedlich beurteilt wurde die Frage, wer den grössten Hebel hat.
Zuletzt aktualisiert am 23. August 2025
von Edith Nüssli
5 Minuten Lesedauer
Ernaehrungswirtschaft Fial Tagung 2025 Fial Jpphotovideo
An der diesjährigen fial-Tagung wurde über gesunde Ernährung diskutiert. (fial/JPphotovideo)

«Die Konsumentinnen und Konsumenten müssten einfach besser wählen, greift zu kurz», meinte Sophie Michaud Gigon, Direktorin der Fédération romande des consommateurs, die Westschweizer Konsumentenorganisation, im Hotel Bellevue in Bern. Als Gründe nannte sie soziokulturelle Grenzen, irreführende Informationen und ein fehlendes Angebot an bezahlbaren gesunden Produkten. Besonders problematisch findet sie Onlinewerbung, die sich an Kinder und Jugendliche richtet. Sie wünscht sich, dass der Handel saisonale Schweizer Gemüse und Früchte in den Vordergrund stellt, die Industrie einfachere Verarbeitungsmethoden wählt sowie die Deklaration verbessert und die Politik das versteckte Marketing auf Onlineplattformen gesetzlich einschränkt.

Den letzten Punkt erwähnt auch Michael Beer, stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV. «An Kinder gerichtete Werbung muss verantwortungsvoll sein», betonte er und bemerkte zudem: «Werbung mit dem Zielpublikum vierjährige Kinder gibt jemand in Auftrag.»

Die Wahl der Kunden setzt Grenzen

Für Miriam Richter, Leitung Direktion Food bei der Migros Supermarkt AG, ist entscheidend, ob die Kundinnen und Kunden sich auch für die gesunde Variante entscheiden. Denn zum einen müsse das Angebot so attraktiv sein, damit die Kundschaft in den Laden käme. Zum anderen stehe der Angebotsvielfalt der emotionale Kundenentscheid gegenüber. Auch Rezepturen ändern habe seine Grenzen, denn der Geschmack sei der Schlüssel. «Wenn ein Produkt nicht schmeckt, wird es nicht mehr gekauft», hielt sie fest. Deshalb sei es wichtig, die Rezepturen so zu überarbeiten, dass die Kunden das Produkt weiterhin akzeptierten.

  • Moderator Roland Wyss, Ernährungsberaterin Monika Hotson und Professor für Ernährung und Prävention David Fäh schauten an der diesjährigen fial-Tagung genau hin, was so alles in unseren Lebensmitteln steckt. (fial/JPphotovideo)
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  • Danach wurde unter anderem mit Annina Waser von der Migros, mit Anwältin für Lebensmittelrecht und ETH-Dozentin Karola Krell, Petra Klassen Wigger von der Nestlé und David Fäh von der Berner Fachhochschule über sogenannten Ultra-processed Food diskutiert. (fial/JPphotovideo)
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Ausgewogene Ernährung ist entscheidend

Das betonte auch Marc Heim, Leiter Division Schweiz bei Emmi, am Beispiel Zucker im Joghurt. «Der Zuckergehalt muss stufenweise reduziert werden und das müssten alle tun», sagte er. Sonst kauften die Konsumentinnen und Konsumenten das Produkt mit der gewohnten Zuckermenge. Hier sei in den letzten zehn Jahren dank der «Erklärung von Mailand» einiges erreicht worden. Seit 2015 haben sich unter Federführung des Bundes über 20 Schweizer Firmen schrittweise verpflichtet, den Zuckergehalt von Joghurt, Quark und Milchmischgetränken sowie Erfrischungsgetränken und Frühstückscerealien zu reduzieren – Ende 2024 sind so 20 Prozent weniger Zucker erreicht worden. Am Tag nach der fial-Tagung wurde die nächste Etappe eingeläutet: Ziel ist, den Zuckergehalt in diesen Produkten um weitere 10 Prozent zu reduzieren.

Von Rohkost zu hochverarbeiteten Lebensmitteln

Der Zeitdruck treibt Konsumentinnen und Konsumenten dazu, vermehrt Convenience-Produkte zu kaufen. Zum Beginn der Tagung 2025 der Föderation der Schweizer Nahrungsmittel-Industrien stand deshalb die Frage, wie gesund hochverarbeitete Produkte sind.

«Konsistenz und Moleküle eines Lebensmittels werden zerstört und neu zusammengesetzt sowie Geschmacksverstärker, Farbstoffe, Aromen oder Süssstoff zugefügt»: So definierte David Fäh, Professor für Ernährung und Prävention an der Berner Fachhochschule, hochverarbeitete Lebensmittel, auch Ultra-processed Food genannt. Er stützte sich dabei auf verfügbare Studien. Diese Zusatzstoffe seien rein kosmetisch. «Sie machen das Lebensmittel weder sicherer noch länger haltbar», sagte er im Rahmen der fial-Tagung in Bern. Petra Klassen Wigger von Nestlé entgegnete in der anschliessenden Diskussion: «Es wird kein Verarbeitungsschritt gemacht, der keinen Nutzen hat.»

 

Umstrittene Klassifizierung

2009 wurde mit Nova erstmals eine Klassifizierung für den Verarbeitungsgrad von Lebensmitteln vorgestellt mit den Stufen unverarbeitet (1), verarbeitete Zutaten (2), verarbeitete Lebensmittel (3) und hochverarbeitete Lebensmittel (4). Seither sind weitere Klassifizierungssystem erarbeitet worden und Nova wurde 2022 überarbeitet. Dennoch ist Ultra-processed Food laut Petra Klassen Wigger nicht klar definiert und die vorhandenen Klassifizierungen sind höchst umstritten.

 

Menge ist entscheidender als Verarbeitung

Wie hochverarbeitete Lebensmittel die Gesundheit beeinflussen, ist laut David Fäh extrem schwierig zu erforschen. «Lebensmittel werden nicht allein gegessen und das Ernährungsmuster wird bei Studien nicht berücksichtigt», erklärt er in seinem Input-Referat. Negativ für die Gesundheit könnten die Inhaltsstoffe, die Veränderung von Konsistenz und Molekülen sowie die Verpackung sein. Zu den Inhaltsstoffen erwähnte er, dass Ultra-processed Food in der Regel mehr Kohlenhydrate und Fette und weniger Proteine enthalte. «Weil der Körper primär seinen Proteinbedarf decken will, wird mit Ultra-processed Food tendenziell mehr Kalorien zu sich genommen», nannte er die Folge. Ferner würden Lebensmittel mit weicher Konsistenz weniger gekaut und dadurch schneller gegessen. Verarbeitung sei jedoch nicht grundsätzlich schlecht. Wichtiger sei, wie etwas verarbeitet werde. Eine Rüeblisuppe mit etwas Öl liefere mehr Vitamin A als ein rohes Rüebli. «Gesundheitsrelevant ist, was zu mehr Konsum führt», lautete das Fazit von David Fäh. Annina Waser von der Migros Supermarkt AG ergänzte in der Diskussion: «Es geht nicht um weniger Verarbeitung, sondern um bessere Rezepturen.»

Selbstregulierung heisst weniger rechtliche Reglungen

Für BLV-Vertreter Michael Beer muss die Lebensmittelwirtschaft die Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt berücksichtigen. Die «Erklärung von Mailand» ist für ihn ein gutes Beispiel, dass Selbstregulierung ein Weg zu gesünderer Ernährung sein kann. «Wenn die Lebensmittelwirtschaft die Verantwortung wahrnimmt, braucht es weniger rechtliche Regelungen», bemerkte er.

Nicht nachvollziehen kann er, dass Investitionen in gesunde Ernährung bekämpft werden. «In der Schweiz leiden 2,2 Millionen Menschen an nichtübertragbaren Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen», zitierte Michael Beer eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit. Diese verursachten neben persönlichem Leid Kosten von 50 Milliarden Franken pro Jahr.

Nicht nur reden, sondern auch handeln

Michael Beer sieht jedoch auch die Konsumentinnen und Konsumenten in der Verantwortung. Damit sie diese wahrnehmen könnten, brauche es drei Bedingungen: Erstens müsse das Wissen vorhanden sein, um eine bewusste Wahl zu treffen. Das Angebot müsse zweitens eine gesunde Wahl ermöglichen. Dafür brauche es eine einfache, verständliche Kennzeichnung. Drittens sollten Kinder in einer gesunden Ernährungsumgebung aufwachsen können. Vor allem wünschte er sich: «Nicht nur darüber sprechen, sondern auch umsetzen», im Wissen, dass es Zeit braucht, Verhalten zu ändern, und dass am Schluss vom Bauern bis zum Handel alle mit Lebensmitteln Geld verdienen wollen.