«Es braucht eine positive Wahrnehmung unserer Nachbarn»

Aufgrund des aktuellen Vakuumverhältnisses zerklüfte die Beziehung zur EU zusehends und gefährde damit auch die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft. Die Interessengemeinschaft Agrarstandort Schweiz IGAS fordert den Bundesrat und die Kräfte zwischen der Heu- und Essgabel deshalb dazu auf, ihre Verantwortung für Erhalt des bilateralen Weges mit der EU wesentlich stärker als bisher wahrzunehmen.
Zuletzt aktualisiert am 9. September 2022
von Renate Hodel
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Mit einem Positionspaper will die IGAS den Dialog zwischen der Schweiz und der EU wieder ankurbeln und verlangt, dass der Bundesrat endlich aufhört, zu zögern. Daneben müssten auch die bäuerlichen Organisationen und ihnen nahestehende politische Kreise sich endlich auf eine offene und vor allem etwas positiver gefärbte Debatte einlassen. Die bilateralen Abkommen gewährleisteten die Versorgung- und Lebensmittelsicherheit und sicherten verlässliche Beziehungen zur EU, betont IGAS-Geschäftsführer Christof Dietler anlässlich der Medienkonferenz in Bern. Dank dieser Abkommen könne die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft an einem attraktiven Wirtschaftsraum teilhaben.

Eigenständigkeit der Schweizer Agrarpolitik

«Es fängt bei der Lebensmittelsicherheit an – im Veterinärbereich gibt es sehr viele Abkommen, welche die Lebensmittelsicherheit erhöhen und beispielsweise Kontrollen vereinheitlichen», erklärt Christof Dietler. Auch bei Regional- und Bioprodukte seien die Abkommen bedeutend, weil man gegenseitig die Standards anerkenne, was beispielsweise für Gruyère und Tête de Moine sehr wichtig sei. Sowieso seien die Abkommen gerade für den Käseexport von grösster Bedeutung, da rund 80 Prozent des Schweizer Käses in die Nachbarländer exportiert werde. «Und politisch gesehen ermöglichen uns die bilateralen Abkommen, eine eigenständige Agrarpolitik weiterzupflegen – das ist entscheidend, denn die Alternativen sehen ganz sicher schlechter aus», ist Christof Dietler überzeugt.

Die Schweiz braucht starke Partner

Insbesondere die aktuelle Situation zeige auf, wie wichtig es sei über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. «Diese Tatsache ist uns, glaube ich, allen aufgefallen», meint der IGAS-Geschäftsführer. Bereits während der Coronaviruspandemie und nun noch verstärkt wegen des Krieges: «Als Russland die Ukraine überfallen hat, haben wir bemerkt, dass wird wahrscheinlich doch sehr viel stärker auf die Allianz mit der EU angewiesen sind», führt Christof Dietler weiter aus. Einerseits institutionell bezüglich der europäischen Werte, dann aber auch hinsichtlich der Machtverhältnisse und ebenso in Bezug auf die Ernährung. «Es ist sicher nicht schön, sich dem so brutal bewusst zu werden, andererseits hat es den kleinen positiven Effekt, dass man auch wieder ein wenig anders über Europa denkt», sagt Christof Dietler.

Das Positive sehen

Es sei an der Zeit reflektierend zu überlegen und zu erkennen, dass die bilateralen Abkommen der Schweiz eben sehr viel Eigenständigkeit bringen. «Leider wird die Schweizer Landwirtschaft in der Wahrnehmung tatsächlich immer ein bisschen in eine isolationistische Ecke gedrängt was die Sicht auf die EU betrifft», meint Cristof Dietler. Was eigentlich falsch sei, weil die Landwirtschaft sehr wohl auf das Ausland angewiesen sei. Beispielsweise was Saat- und Pflanzgut betreffe: «Eine Saatgutversorgung ohne Nachbarstaaten ist nämlich unmöglich», ruft er in Erinnerung. Die Schweiz und insbesondere auch die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft müsse sich der besonderen Stellung, welche die Schweiz auf der Barnier-(Beziehungs-)Treppe mit der EU einnehme, bewusst werden. «Wir nehmen am Binnenmarkt teil, sind aber trotzdem sehr gut gegen Billigstimporte geschützt – dazu müssen wir unbedingt Sorge tragen», bemerkt der IGAS-Geschäftsführer. Aus verschiedenen Gründen seien im Hinblick auf Europa und die EU zuletzt aber hauptsächlich immer nur die Probleme im Fokus gestanden, bedauert Christof Dietler: «Es ist jetzt einfach an der Zeit, dass man auch über die positiven Dinge redet, die man in diesen Verhandlungen herausgeholt hat – es braucht ein Nachdenken und die positive Gestaltung der Gespräche mit unseren Nachbarn.»