Wenn der Stall auch Hotel ist

Viele Schweizer Bauernhöfe betreiben Agrotourismus. Das steigert nicht nur die Einnahmen, sondern auch das gegenseitige Verständnis zwischen Landwirtschaft und Stadtbevölkerung.
Zuletzt aktualisiert am 1. September 2025
von Elin Wittwer
5 Minuten Lesedauer
Jurte01 Agrotourismusschweiz
Vielseitigkeit des Agrotourismus: Übernachten in einer Jurte mit Seeblick. (Agrotourismus Schweiz)

Das agrotouristische Angebot auf verschiedensten Bauernhöfen in der Schweiz kann sich sehen lassen: Übernachten in der Bubble-Suite oder im Holzfass, Kochkurse auf dem Hof, Yoga auf der Weide oder Fondueabende mit Alpakas stellen nur einen Bruchteil der Möglichkeiten dar.

Nebst den bereits bekannteren Formen des Agrotourismus – Schlafen im Stroh oder Reitferien auf dem Hof – werden die Angebote immer vielfältiger. Unter den Begriff Agrotourismus fallen auch Aktivitäten wie Hofführungen, Mithilfe auf dem Bauernhof oder Erlebnispfade.

Feriendestination Bauernhof

Viele Höfe in der Schweiz generieren durch Agrotourismus ein Nebeneinkommen. «Ein sehr wichtiges Einkommen, das oftmals essenziell für das Überleben kleiner Höfe ist», meint Philipp Steiner, Geschäftsführer von Agrotourismus Schweiz. Das Verbinden der beiden Branchen Tourismus und Landwirtschaft bietet die Option, eine Erwerbsmöglichkeit auf dem eigenen Hof zu erschliessen.

Besonders verbreitet sind agrotouristische Angebote auf Höfen mit Tierhaltung. Auf Betrieben mit Gemüse- und Rebbau findet tendenziell weniger Agrotourismus statt.

Agrotourismus kann zudem eine Vermittlerfunktion zwischen Stadt- und Landbevölkerung einnehmen, indem die Landwirtschaft der nicht-landwirtschaftlichen Bevölkerung nähergebracht wird. «Bauernfamilien können ein positives Image der Landwirtschaft vermitteln», meint Philipp Steiner. Besucherinnen und Besuchern haben die Möglichkeit, die unterschiedlichen Seiten der Schweizer Landwirtschaft kennenzulernen.

Im Gegenzug käme es für Bauernfamilien so zu einem Austausch mit Konsumenten und mit Leuten verschiedener Berufe, Herkunft oder sozialem Status, führt Philipp Steiner aus. So finde auch eine Sensibilisierung statt für wichtige landwirtschaftliche Themen wie Biodiversität, lokale und gesunde Ernährung oder das Tierwohl.

Direktvermarktung ist ein weiteres wichtiges Schlagwort: Agrotourismus ermöglicht es Anbieterinnen und Anbietern Produkte direkt an Konsumentinnen und Konsumenten zu bringen. Laut einer Umfrage der HES-SO Wallis im Jahr 2022 betreiben fast 80 Prozent der Agrotourismusbetriebe Direktverkauf oder haben einen Hofladen.

Wie viel Umsatz in der Schweiz jährlich durch Agrotourismus erzielt wird, lässt sich nicht klar sagen. Übernachtungen werden beispielsweise unter Parahotellerie erfasst und nicht separat ausgewiesen.

Zmorge Agrotourismusschweiz

Herausforderungen für Bauernfamilien

Die privaten Anpassungen, die der Agrotourismus auf einem Betrieb verlangt, sind nicht zu unterschätzen. Sobald Feriengäste auf dem eigenen Hof unterwegs sind, ist es wichtig, bewusst private Räume zu schaffen. Zudem müssen neben dem Aufwand für das agrotouristische Angebot immer noch die alltäglichen Hofarbeiten erledigt werden – ein gutes Zeitmanagement ist deshalb umso wichtiger.

Eine weitere Herausforderung besteht im Bestimmen der Preise für die Angebote. Die Zahlungserwartungen der Bäuerinnen und Bauern deckt sich nicht immer mit der Zahlungsbereitschaft der Gäste. Verglichen mit Preisen der Hotellerie und Parahotellerie sind agrotouristische Angebote jedoch oftmals kostengünstiger. Für die Anbieterinnen und Anbieter ist es wichtig, einen fairen und attraktiven Preis für ihre Dienstleistungen zu erhalten.

«Wir beobachten immer wieder, dass Anbieter ihre Leistung unter dem Wert anbieten, den sie bräuchten, um daraus Gewinn zu machen», erläutert Philipp Steiner. Wie in der Hotellerie üblich, gibt es aus diesem Grund mittlerweile bei vielen Anbieterinnen und Anbietern unterschiedliche Preise während Haupt- und Nebensaison.

Etwas vom Wichtigsten bleibt: «Man muss gerne Gäste willkommen heissen», meint Philipp Steiner. Es sei nicht immer einfach, den Bedürfnissen der Gäste gerecht zu werden, beispielsweise wenn bei unerwartetem Wetter der Haupttätigkeit nachgegangen werden muss. Nicht alle Gäste hätten dasselbe Verständnis.

Agrotourismus Schweiz

Die Dachorganisation Agrotourismus Schweiz ist eine Vermarktungsplattform für agrotouristische Angebote und umfasst über 220 Anbieterinnen und Anbieter. Mehr erfahren über Agrotourismus Schweiz unter www.myfarm.ch.

Bürokratische Hürden

Klar ist: Agrotourismus schafft Anbieterinnen und Anbietern eine zusätzliche Einnahmequelle. Rechtlich vorgegeben ist aber, dass die landwirtschaftliche Tätigkeit mehr als die Hälfte des Gesamteinkommens ausmachen muss. Agrotourismus ist dementsprechend nur als Nebenerwerb zulässig. «Wenn Agrotourismus der überhebende Teil darstellt, befindet man sich in einer anderen Rechtslage», erklärt Philipp Steiner.

Auch das strikte Raumplanungsgesetz in der Schweiz macht es schwieriger, Agrotourismus zu betreiben. «Im Bereich Agrotourismus stellen sich leider einige bürokratische Herausforderungen, um die nötigen Bewilligungen zu erhalten – diese sind je nach Kanton unterschiedlich», sagt Philipp Steiner.

Bubble Suite Agrotourismusschweiz
Auch Bubble-Suiten finden sich im agrotouristischen Angebot. (Agrotourismus Schweiz)

Auszeit im Grünen

Die Hochschule Luzern führte 2022 eine Vorstudie zur Förderung von Agrotourismus und Gesundheitsförderung in der Schweiz durch. Unter dem Titel «Gesundmacher Natur?» wurde in Zusammenarbeit mit Agrotourismus Schweiz untersucht, welches Potenzial Agrotourismus im Bereich der Gesundheitsförderung aufweist. Die Vorstudie zeigt, wie agrotouristische Angebote insbesondere für Stadtbewohnerinnen und -bewohner zur Prävention von Krankheiten und Stressabbau beitragen können.

Agrotouristische Angebote verlangen aber auch eine gewisse Anpassungsfähigkeit: «Man kann nicht ein standardisiertes Angebot und eine Verfügbarkeit der Gastgeber rund um die Uhr erwarten, wie in einem Hotel.» Dafür geniesse man aber eine Auszeit in einer anderen Umgebung in kurzer Distanz.

«Agrotourismus bietet Nutzerinnen und Nutzer des Angebots nachhaltige, authentische Ferien mit Erlebnisfaktor», meint Philipp Steiner. Nicht weit weg vom eigenen Zuhause trete man so in Austausch mit Produzentinnen und Produzenten, erhole sich in der Natur, geniesse frische und qualitativ hochwertige Produkte und trage zur lokalen Wertschöpfung bei.