Harald Grethe: «Es ist nicht klug, die gesellschaftlichen Ansprüche nicht zu hören.»

Die Agrarpolitik in Deutschland und in der EU entwickelt sich. Grund dafür sind die gesellschaftlichen Ansprüche und der Bedarf nach neuen Lösungen. Was das heisst, erklärt Agrarökonom Harald Grethe.
Zuletzt aktualisiert am 19. Dezember 2023
von Hansjürg Jäger
2 Minuten Lesedauer
Prof Dr Harald Grethe
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Teil 1 der Staffel mit Beat Röösli findest du unter diesem Link
Teil 2 der Staffel mit Harald Grethe findest du unter diesem Link.
Teil 3 der Staffel mit Jonathan Baker findest du unter diesem Link

Die zweite Folge Agrarpolitik ennet der Grenze führt zu Harald Grethe. Der Agrarökonom leitet das Fachgebiet Internationaler Agrarhandel und Entwicklung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Das Gespräch zeigt unter anderem die im internationalen Vergleich grosse Stützung der Schweizer Landwirtschaft, wie Grundanforderungen auf sehr unterschiedliche Ausgangslagen treffen und warum die Agrarpolitik als Gesamtsystem entwickelt werden sollte.

Auffällig hohe Stützung

Harald Grethe macht unter anderem folgende Unterschiede zwischen der Agrarpolitik in der EU und in der Schweiz aus:

  • Die Schweiz gibt viel Geld für die Landwirtschaft aus – etwa 3000 Franken pro Hektar. Das EU-Budget liegt umgerechnet etwa bei 300 Euro pro Hektar und macht mit Abstand den grössten Teil der Zahlungen an die Landwirtinnen und Landwirte aus, die Beiträge der Mitgliedsstaaten sind viel tiefer.
  • Die Versorgungssicherheitsbeiträge liegen in der Schweiz bei rund 1000 Franken je Hektar. Die Grundprämie für die Landwirtschaft in Deutschland liegt bei weniger als 200 Euro je Hektar.
  • Das Geld in der Schweiz werde so ausgeschüttet, dass es in erster Linie dort gebraucht werde, wo die Landwirtschaft tatsächlich teurer ist, nämlich im Berggebiet.

Grundanforderungen und unterschiedliche Ausgangslagen

Die Grundanforderungen der gemeinsamen Agrarpolitik gelten für die ganze EU – in der Ausgestaltung gibt es für die Mitgliedsstaaten und ihre Regionen Möglichkeiten. Und das aus gutem Grund: Massnahmen und Prämien treffen auf unterschiedliche Naturräume und Bedingungen.

Wie Harald Grethe ausführt, ist das auch ein Problem – «weil es Regionen gibt, in denen die Erfüllung der Grundanforderungen sehr teuer ist. In anderen Regionen kostet das aber praktisch nichts», erklärt Grethe. Die Skandalisierung dieser Zahlungen folge dann auf dem Fuss. «Viel besser wäre es deshalb, das Geld zielorientiert an Leistung zu binden», so Grethe.

Warum die Evolution der Revolution vorzuziehen sei

Damit das gelingt, braucht es die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen. Harald Grethe zieht dabei die Evolution der Revolution vor. Ein neues System und damit die agrarpolitische Revolution ist aus seiner Sicht nicht unbedingt zielführend.

Denn «immer, wenn man ein völlig neues System schafft, haben die Interessen, die gut vertreten sind, die Möglichkeit, durch ihre Detailkenntnisse alles so auszugestalten, dass das neue System gar nicht weh tut», erklärt Grethe. Mit anderen Worten: der alte Wein wird in neuen Schläuchen abgefüllt. Die Probleme bleiben bestehen und die Entwicklungen bleiben aus.

«Wir haben ein System, das an sich nicht schlecht ist und wo wir wissen, wo die Schlupflöcher sind und wo wir nachschärfen können», so Grethe. In der politischen Diskussion braucht es trotzdem neue Ideen. Denn Probleme müssen adressiert und gelöst werden. Gerade in Deutschland sei es für die Landwirtschaft neu, dass sie für die Mehrkosten der Erbringung gesellschaftlicher Leistungen Zahlungen verlangt. «Wir haben gemerkt, dass es nicht so klug ist, die gesellschaftlichen Ansprüche nicht zu hören», sagt Grethe zum Schluss.

Agrarpolitik – der Podcast

Agrarpolitik – der Podcast zeigt Entwicklungen, Lösungswege und Handlungsachsen der Agrarpolitik in der Schweiz. Moderiert werden die Sendungen von Andreas Wyss, die Produktion verantwortet Hansjürg Jäger. Der Podcast ist auf allen gängigen Plattformen verfügbar und kann als Newsletter abonniert werden. Mehr unter www.agrarpolitik-podcast.ch.

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