Erntequalität, Versorgungslage und der Druck auf die Brotgetreidebranche

Die Brotgetreideernte 2025 fällt deutlich besser aus als im Vorjahr – mengenmässig und qualitativ. Doch hinter der erfreulichen Bilanz stehen strukturelle Spannungen: Zwischen politischen Vorgaben, Marktansprüchen und gesellschaftlichen Erwartungen wächst der Druck auf die Produzentinnen und Produzenten.
Zuletzt aktualisiert am 24. November 2025
von Renate Hodel
5 Minuten Lesedauer
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Nach dem historischen Ernteeinbruch im Jahr 2024 blickt die Schweizer Brotgetreidebranche 2025 wieder deutlich optimistischer in die Zukunft. Die diesjährige Qualitätstagung der Branchenorganisation für Getreide, Ölsaaten und Eiweisspflanzen Swiss Granum zeigte: Die Ernte ist nicht nur mengenmässig deutlich besser ausgefallen, sondern erfüllt auch die zentralen Qualitätskriterien für die Verarbeitung. Gleichzeitig wird klar, dass die Branche vor strukturellen Herausforderungen steht, die weit über ein einzelnes Erntejahr hinausgehen.

Ein Erntejahr mit Rückenwind – und späten Hürden

Wie Fritz Glauser, Präsident von Swiss Granum, betonte, war 2024 das schwierigste Jahr seit Jahrzehnten. Umso grösser ist die Erleichterung über die diesjährige Bilanz: 403’400 Tonnen backfähiges Brotgetreide wurden geerntet – 77 Prozent mehr als 2024 und 26 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt.

Der Frühling 2025 brachte ideale Bedingungen: Warm und sehr sonnig, deutlich weniger Niederschläge als 2024 und tiefer Krankheitsdruck. Dies ermöglichte hohe Photosyntheseleistungen und entsprechend hohe Erträge. Erst die regenreichen Tage Ende Juli verzögerten die Ernte und erschwerten späte Erntetermine.

Auch der stellvertretende Direktor Thomas Weisflog betonte, dass 2025 ein «guter Frühling mit besten Voraussetzungen für hohe Erträge» war – ganz im Gegensatz zum feuchten und kalten 2024.

Weizenzüchtung gestern, heute und morgen

In einem Referat ging der ehemalige Weizenzüchter Dario Fossati auf die Geschichte der Weizenzüchtung ein:

Die Geschichte der Weizenzüchtung beginnt lange vor der modernen Agrarforschung. Vor rund 10’000 Jahren entstand der Weichweizen durch seltene natürliche Kreuzungen zwischen frühen Kulturformen wie Emmer oder Hartweizen und Wildgräsern wie Aegilops. Frühbäuerliche Gesellschaften erkannten die Vorteile dieser spontan entstandenen Pflanzen – und gelten damit als die ersten Pflanzenzüchter. Über Donau, Rhone und Handelswege gelangte der Weizen schliesslich in die Schweiz, wo natürliche und menschliche Selektion die lokalen Landrassen prägten.

 

Früher: Von Landrassen zu gezielter Züchtung

Bis ins frühe 20. Jahrhundert dominierten vielfältige lokale Weizenpopulationen. Erst dann begann die systematische Sortenentwicklung: zunächst mittels Massenselektion und später durch gezielte Kreuzungen. In der Schweiz gilt Gustave Martinet als Pionier: Er schuf Sorten wie Mont-Calme XXII sowie Mont-Calme 245 und 268, die über Jahrzehnte die Anbauflächen prägten – insbesondere während des Zweiten Weltkriegs.

Mit den neuen Sorten entstanden zugleich Institutionen wie Saatgutprüfstellen oder die ASS, die Marktstrukturen, Qualitätssicherung und Sortenschutz professionalisierten. Damit einher ging jedoch eine Phase genetischer Verengung: Einzelne Sorten dominierten grosse Flächen – mit entsprechenden Risiken bei Krankheiten wie Gelbrost.

 

Heute: Hightech-Tools und komplexe Anforderungen

Die moderne Züchtung arbeitet mit einer Vielzahl leistungsfähiger Werkzeuge: Genomik, molekulare Marker, sogenanntes Speed-Breeding, Hochdurchsatzanalytik und zunehmend auch künstliche Intelligenz. Sie helfen, Resistenzgene zu identifizieren, Kreuzungen gezielter zu planen oder die Qualität schneller zu beurteilen. Dennoch bleibt laut Dario Fossati das Entscheidende menschlich: klug gewählte Züchtungsziele und das Verständnis für die Bedürfnisse von Landwirtschaft, Verarbeitung und Konsum in 10 bis 15 Jahren.

Gleichzeitig steigen die Herausforderungen: Klimastress, neue Pathogene, veränderte Anbausysteme, gesellschaftliche Erwartungen und Marktkonzentrationen in der globalen Züchtungslandschaft. Die genetische Vielfalt bleibt ein kritischer Erfolgsfaktor – sei es durch Nutzung bestehender Sorten, synthetische Weizen oder Kreuzungen mit Wildformen.

 

Morgen: Klimastabilität, Nachhaltigkeit und neue Qualitäten

Für die Zukunft zeichnen sich drei zentrale Entwicklungsrichtungen ab:

  • Resilienz gegen Klimaextreme: Trockenheit, Hitze, Starkniederschläge und neue Krankheitsbilder verlangen robuste Genetik.
  • Umweltwirkung reduzieren: Etwa durch Sorten, deren Wurzeln nitrifikationshemmende Substanzen abgeben – mit Potential für deutlich geringere Stickstoffverluste.
  • Ernährungsphysiologische und technologische Innovationen: Mehr gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe, vielfältigere Verwendungszwecke und bessere Anpassung an neue Back- und Verarbeitungstechnologien.

Dario Fossati betont dabei: Die Werkzeuge werden besser, die Dringlichkeit grösser – und die Züchtung bleibt ein zentraler Baustein der Schweizer Ernährungssicherheit. Denn auch in Zukunft gilt es, «die richtige Genetik zum richtigen Zeitpunkt» bereitzustellen.

Versorgung gesichert – Qualität gut

Unter Berücksichtigung der frei verfügbaren Lagermengen resultiert ein Versorgungssaldo von rund 102’000 Tonnen backfähigem Getreide. Damit ist die Versorgungssicherheit bis zur Ernte 2026 gewährleistet. Auch Ölsaaten und Futtergetreide erreichten überdurchschnittliche Erträge, wenngleich die inländische Rapsernte weiterhin nicht ausreicht, um die Nachfrage der Ölwerke zu decken.

Die Erhebung der Schweizer Weizenqualität durch Agroscope zeigt derweil ein Jahr der stabilen, insgesamt sehr guten Backqualität – bei gleichzeitig etwas schwächerer Kleberstruktur.

Und auch die Backversuche bestätigen die gute Qualität: Das Kompetenzzentrum der Gesamtbranche Bäckerei, Konditorei und Confiserie Richemont und das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung Agroscope attestieren dem Schweizer Weizen 2025 durchgehend gute bis sehr gute Backresultate. Unter anderem liefert das diesjährige Weizenmehl eine stabile Teigstruktur, eine schöne Formgebung und gute Volumina.

Politische Vorgaben und Marktbedürfnisse – eine wachsende Lücke

Während die diesjährige Ernte eine Atempause bietet, wird an der Qualitätstagung deutlich: Das System Brotgetreide steht zwischen Politik, Markt und gesellschaftlichen Erwartungen unter enormem Druck. Fritz Glauser stellte in seiner Eröffnungsrede klar: «Die Erwartungen der Politik sind nicht mehr kohärent mit denjenigen des Marktes.»

Der Absenkpfad Nährstoffe, strengere Pflanzenschutzmittellimiten und die Diskussion über einseitige Sparmassnahmen wirkten sich unmittelbar auf Erträge, Proteingehalte und Qualität aus. Gleichzeitig verlange der Markt hohe Proteingehalte, stabile Qualitäten über Jahre, spezifische Sorteneigenschaften für unterschiedliche Backwaren und konstant verfügbare Mengen.

2025 Swiss Granum Qualitaetstagung Pierre Yves Perrin SGPV Steve Corminboeuf VKGS Alexandre Bardet GMSA Peter Rast Panofina Rho
Pierre-Yves Perrin vom SGPV, Steve Corminboeuf vom VKGS, Alexandre Bardet von der Groupe Minoteries SA und Peter Rast von Panofina diskutierten die Entwicklung der Erntequalität und der Qualitätsansprüche beim Brotgetreide und die Auswirkungen auf die inländische Versorgung. (rho)

Die wachsende Spannung: Produzieren zwischen Extremen

Pierre-Yves Perrin, Geschäftsführer des Schweizerischen Getreideproduzentenverbands (SGPV), beschreibt das Grundproblem als ständig zunehmenden Interessenkonflikt: Konsumentinnen und Konsumenten möchten lokale, günstige, risikofreie und nachhaltige Produkte, während die Politik Inputs begrenzt und hohe Umweltleistungen fordert und der Markt Höchstqualitäten verlangt – teilweise ähnlich hoch wie in Industrienationen mit deutlich intensiverer Produktion.

Diese Erwartungen träfen am Ende alle auf dem Betrieb zusammen, wo Produzentinnen und Produzenten mit Wetterextremen, engen Düngungslimits und volatilen Preisen arbeiten müssten.

Ein Thema, das in der Diskussion ausserdem auch aufkam: Der Bedarf nach besserer Sorten- und Qualitätssegmentierung – wie beispielsweise in Frankreich. So betonte Steve Corminboeuf, Vorstandsmitglied beim Verband der kollektiven Getreidesammelstellen der Schweiz (VKGS), dass die Infrastruktur zur Lagerung von Getreide vor einigen Jahrzehnten gebaut worden sei, als der Getreidemarkt noch viel einfacher gewesen sei. Heute würden Zulassungs- und Kategorisierungsänderungen wie beispielsweise zusätzliche Qualitätsklassen oder Labels den Druck auf Sammelstellen und Lagerhäuser enorm erhöhen und die heutigen Silologistiken und Lagerkapazitäten würden häufig nicht mehr ausreichen, um die verschiedenen Segmentierungen sauber zu trennen.

Versorgungssicherheit im Fokus

So war ein zentrales Fazit der Tagung: Nur mit stabilem Einkommen, realistischer Politik und klaren Marktbedürfnissen lässt sich die inländische Versorgung langfristig sichern.

Die gute Ernte 2025 darf laut Branche nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Klimavarianz zunimmt, Erträge stagnieren, Proteingehalte trotz Züchtungsfortschritten kaum steigen, politische Einschränkungen weiter verschärft werden und die Anbaubereitschaft sinken könnte, wenn die wirtschaftlichen Risiken zu gross werden.

So bringt die Ernte 2025 zwar Luft – aber keine Entwarnung. Die Qualität ist gut, die Mengen hoch, die Versorgung bis 2026 gesichert. Doch die strukturellen Spannungsfelder zwischen Politik, Markt und Gesellschaft verschärfen sich weiter und nur ein gemeinsamer Blick entlang der gesamten Wertschöpfungskette kann die zukünftige Versorgung mit einheimischem Brotgetreide sichern. Entscheidend ist, dass Agrarpolitik, Züchtung, Praxis, Mühlen und Detailhandel künftig enger zusammenarbeiten – und dabei realistische, machbare Erwartungen formulieren.