Souveräne Tropfen in der Absatzkrise: Der Weinbau ringt um Aufmerksamkeit

In sechzehn Kantonen gibt es sogenannte Staatsweine. Tönt gouvernemental, ist aber der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. In einigen Kantonen stammen die Staatsweine aus privaten Weinbaubetrieben. Sie werden von einer Fachjury gekürt und behalten diese Auszeichnung in der Regel ein Jahr lang. In Kantonen mit Staatsdomänen ist das Gütesiegel nicht alternierend. Es ist gewissermassen Staatsräson.
Zuletzt aktualisiert am 9. September 2025
von Harry Rosenbaum
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Staatsweine sind in allen sechs Weinregionen der Schweiz anzutreffen. Vornehmlich werden sie bei offiziellen Anlässen der Kantone kredenzt und als staatliche Präsente verteilt. In ihrer Hauptfunktion sind die edlen Tropfen Werbeträger für ein Weingebiet oder für bestimmte Weinsorten. Sie sollen aber auch den regionalen Weinbau stärken und fördern, Identität stiften und die Gegend, in denen sie ihre Reben stehen haben, über die Grenzen hinaus bekannt machen. In Kantonen, die ihre Staatsweine aus privater Produktion küren, sind die jeweiligen Prämierungsanlässe Kult. Medienpräsenz ist ihnen gewiss.

Trotz alledem: Dem Schweizer Weinbau geht es schlecht. Die Weinlese 2024 war die zweitschwächste der letzten 50 Jahre. Hinzu kommt ein rapider Rückgang des Weinkonsums. Gegenüber dem Vorjahr gibt es ein Minus von über 8 Prozent. Das Bundesamt für Landwirtschaft schlägt Alarm und die Weinproduzenten fürchten um ihre wirtschaftliche Existenz. Das Genfer Kantonsparlament fordert in einer einstimmig verabschiedeten Resolution den Bundesrat auf, in Anbetracht des zusammenbrechenden Weinkonsums das System für den Import ausländischer Weine zu ändern.

Das sagen Fachleute zum rückläufigen Weinkonsum und zur Bedeutung von Staatsweinen

«Im ersten Halbjahr 2025 betrug der Rückgang beim Weinkonsum gesamtschweizerisch 5,5 Prozent. In den letzten vier Jahren blieb der Konsum von einheimischen Weinen in der Deutschschweiz jedoch stabil.

Staatsweine sind sicher ein gutes Marketinginstrument, aber als strategisch würde ich sie nicht bezeichnen. Sie habe vor allem eine Wirkung innerhalb des Kantons und können den Konsum der einheimischen Weine positiv beeinflussen.»

Juerg Bachofner, Geschäftsführer, Branchenverband Deutschschweizer Wein BDW

 

«Der Rückgang des Weinkonsums ist ein internationaler Trend, der nicht nur die Schweiz betrifft. Es handelt sich also um eine Entwicklung, die bereits seit einigen Jahren zu beobachten ist und sowohl in der Produktion als auch in der Werbung berücksichtigt werden muss.

Swiss Wine Promotion unterstützt die Aktivitäten oder die Förderung der direkt von den Kantonen produzierten Weine nicht finanziell. Nach unserem Wissen sind diese Weine ausschliesslich für offizielle kantonale Anlässe bestimmt und werden nicht kommerziell zusammen mit anderen Produzenten vermarktet. Trotzdem würdigt Swiss Wine Promotion das Engagement der Kantone beim Erhalt dieser Weinbautradition. »

Oliver Gianettoni, Leiter Kommunikation, Swiss Wine Promotion

 

«Der rückläufige Weinkonsum in der Schweiz ist nicht nur ein kurzfristiger Lifestyle-Trend, sondern deutet auf einen grundlegenden Wandel im Konsumverhalten hin, mit Langzeitwirkung. Ältere Generationen konsumieren traditionell mehr Wein, insbesondere zu den Mahlzeiten. Jüngere Generationen hingegen trinken seltener regelmässig Alkohol, sind gesundheitsbewusster und bevorzugen in vielen Fällen alkoholfreie Alternativen oder trendige Mischgetränke. Der Generationenwechsel wirkt also dauerhaft konsumdämpfend.

Die Staatsweine haben unbestritten eine symbolische und kulturelle Bedeutung. Ob sie aber strategisch wirksam sind, um den Weinkonsum in der Schweiz nachhaltig zu steigern, ist differenziert zu betrachten. Grundsätzlich lässt sich sagen, in gewissem Rahmen sind Staatsweine ein strategisches Instrument für die Imagepflege und die Sichtbarmachung. Sie setzen ein Zeichen: Wein ist Teil der kulturellen Identität und regionalen Wertschöpfung.»

Christoph Schwegler, Geschäftsführer der Staatskellerei Zürich, ein Tochterunternehmen von Mövenpick Wein Schweiz AG

 

«Beim Weinkonsum scheint sich ein rückläufiger Trend abzuzeichnen. Ob das Pendel wieder zurückschlägt, steht in den Sternen.

In den beiden Basel werden an offiziellen Anlässen häufig nur Rot- und Weissweine als Staatsweine ausgeschenkt. Schaum- und Roséweine gehören nicht dazu. Ob die Kür von Staatsweinen die Qualität speziell fördert, wage ich zu bezweifeln, denn die Qualität ist schon hoch. Es soll vor allem die Bekanntheit der Basler Weine gefördert werden.»

Dr. Andreas Buser, Präsident Weinproduzentenverband Region Basel/Solothurn

«Die Staatsweine haben unbestritten eine symbolische und kulturelle Bedeutung. Ob sie aber strategisch wirksam sind, um den Weinkonsum in der Schweiz nachhaltig zu steigern, ist differenziert zu betrachten.»
Christoph Schwegler
Geschäftsführer der Staatskellerei Zürich

«Der Thurgau ist flächenmässig ein kleiner Weinbaukanton. Der Rückgang beim Weinkonsum betrifft besonders die flächenmässig grossen Westschweizer Weinbaukantone. Die Thurgauer Winzer haben die Konsumenten vor der Haustüre. Die Konsumenten suchen heute den persönlichen Kontakt zu den Winzern. Der Weinkauf muss ein Erlebnis für den Konsumenten sein, dies ist eine enorme Chance für den Thurgauer Weinbau mit seinen qualitativ hochstehenden Weinen. Die Thurgauer Winzer können zuversichtlich in die Zukunft blicken.»

Monika Hagen, Vorstandsmitglied, Branchenverband Thurgauer Weine BTW

 

«Der Rückgang des Weinkonsums macht auch vor dem St. Galler Weinbau nicht Halt. Diesem Rückgang begegnet die St. Galler Weinbranche mit dem Fokus auf hohe Qualität und mit der Produktion von speziellen Weinkreationen.

Wir haben die Idee einer kantonalen Weinprämierung schon mit der Branche diskutiert, sind aber zum Schluss gekommen, dass es schon genügend und vor allem prestigeträchtigere Möglichkeiten gibt, an einer Weinprämierung teilzunehmen. Das Landwirtschaftsamt bewirtschaftet einen eigenen Wingert und somit erübrigt sich die Prämierung eines Staatsweins.»

Bruno Inauen, Leiter, Landwirtschaftsamt St. Gallen

 

«Der Rückgang des Weinkonsums ist meiner Meinung nach kein kurzzeitiges Phänomen, sondern Teil einer langfristigen Entwicklung. Die Generationen nach den Babyboomern, besonders die Generation der Millennials, trinken offenbar deutlich weniger Wein. Der Fokus auf eine gesunde Lebensweise mit hoher Lebenserwartung, Intoleranzen sowie neue Studien über negative Auswirkungen von Weinkonsum – nachdem frühere Studien zum Schluss kamen, dass ein moderater Weinkonsum positive gesundheitliche Effekte haben kann – tragen dazu bei.

Dass die Kantone ‹ihre› Winzer im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen, halte ich für sinnvoll und auch für notwendig. Die Kür von Staatsweinen ist diesbezüglich ein gutes Instrument, vor allem wenn die Staatsweine im Rahmen eines Wettbewerbs mit einer unabhängigen Jury ermittelt werden. So verschafft der Anlass nicht nur bezüglich der Medienpräsenz einen Schub für die heimische Weinszene.»

Thomas Vaterlaus, Chefredaktor beim Weinmagazin VINUM

 

«Wie verschiedene Statistiken aus der Branche zeigen, sind der schweizweite Weinkonsum, wie auch der globale Konsum rückläufig. Ich will nicht sagen, dass nur die Jugend keine Lust auf Wein hat. Der Konsumrückgang hängt vor allem auch mit dem Megatrend des Gesundheitsbewusstsein beziehungsweise mit dem ‹healthy Lifestyle› zusammen.

Bezüglich Staatswein sind wir im Weingut Engel sehr positiv gestimmt. Die allgemeine Imagewerbung solcher Kürungen ist sehr gut und die Lokalmedien berichten intensiv über solche Anlässe. Beide Thurgauer Staatsweine zu gewinnen ist aussergewöhnlich und hatte definitiv einen positiven Einfluss auf den Geschäftsgang der beiden Weine. Die Staatsweinauszeichnungen verhalfen dem Weingut Engel zu mehr Bekanntheit im Kanton.»

Julian Holenweger, Weinbautechniker bei Engelwy (zweifacher Staatsweinsieger 2025 im Kanton Thurgau)

Weinbau Reben Wein Rebsortengarten Im Staatswingert Fruemsen SG Mario Eggenberger Staatswingert Fruemsen
Rebsortengarten im St. Galler Staatswingert Frümsen. (Mario Eggenberger/Staatswingert Frümsen)

St. Galler Staatswein wird bester Wein der Schweiz

Der einzige Wein unter den Staatsweinen, der es bisher zum «besten Wein der Schweiz» schaffte, ist der «Pinot Barrique» von 2012 aus dem kantonseigenen St. Galler Staatswingert in Frümsen. Er hatte im Jahr 2014 der «NZZ am Sonntag» seine Prämierung auf Landesebene zu verdanken.

Die Weinredaktion des Blattes veranstaltete eine Blinddegustation mit kantonalen Staatsweinen. Das Urteil der mit Promis besetzten Jury fiel gegen die berühmten Westschweizer Tropfen aus. Es lautete zugunsten des vermeintlichen «önologischen Nobodys» aus dem St. Galler Rheintal. Dem Vernehmen nach soll der Bundesrat daraufhin ein Jahr lang seinen Gästen im bundeseigenen Weinkeller ebendiesen «Pino Barrique» kredenzt haben. Die «NZZ am Sonntag» hat die Prämierung nicht mehr wiederholt.

«Ich kann mich an den berühmten Pinot Barrique aus dem Jahr  2012 gut erinnern, obwohl ich damals noch gar nicht im Amt war», sagt Germaine Bürkler. Sie ist St. Galler «Staatskellerwirtin» – so die offizielle Bezeichnung. Laut Germaine Bürkler gibt es diesen Amtstitel kein weiteres Mal in der Schweiz. Im Staatskeller unter dem Regierungsgebäude in den historischen Mauern der ehemaligen St. Galler Klosterabtei bewirtet die Regierung ihre Gäste. Ein Ambiente wie in einem britischen Gentlemen’s Club. Einen Stock tiefer liegt der Weinkeller der Regierung. Hier gibt es neben anderen Weinen aus St. Galler Gütern auch «Pinot Barrique». Aber keine Flasche der berühmten Edition aus dem Jahr 2012. Diese ist scheinbar ausgetrunken.