Mit Kulturpflanzen verwandte Wildarten zur Stärkung der Schweizer Landwirtschaft

Mit Kulturpflanzen verwandte Wildarten rücken in den Vordergrund: Angesichts des Klimawandels und dem Verlust der genetischen Vielfalt beschleunigt die Schweiz deren Erfassung und Konservierung, überzeugt von ihrer Schlüsselrolle für die Kulturen von morgen.
Zuletzt aktualisiert am 17. Dezember 2025
von Pascale Bieri / AGIR
6 Minuten Lesedauer
Kulturpflanzen Gemuese Karotten Evolution Wilde Moehre Zur Kulturmoehre SKEK Martin Bruengger
Evolution von der Wilden Möhre zur Vielfalt der Kulturmöhre. (SKEK/Martin Brüngger)

«Crop wild relatives» – mit Kulturpflanzen verwandte Wildarten – könnten in den kommenden Jahren eine entscheidende Rolle spielen. Diese Arten tragen Gene in sich, die unseren Kulturen helfen können, mit einem trockeneren, wärmeren und instabileren Klima zurechtzukommen.

Diese Wildpflanzen standen im November im Mittelpunkt des Jahreskongresses der Schweizerischen Kommission für die Erhaltung von Kulturpflanzen (SKEK). Die Veranstaltung rückte ein lange vernachlässigtes genetisches Erbe in den Vordergrund, das die Schweiz heute besser verstehen möchte.

Durch Züchtung verarmte genetische Vielfalt

Auch wenn «Crop wild relatives» oder kurz CWR in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind, bilden sie doch direkt oder indirekt die Grundlage unserer Kulturen. «Sie sind die wilden Vorfahren unserer Kulturpflanzen und verfügen über ein viel umfangreicheres Erbgut als traditionelle oder moderne Arten», erklärte die Biologin Gertrud Burger der Stiftung ProSpecieRara.

Denn durch die Domestizierung und die intensive Selektion in den letzten Jahrzehnten wurde die genetische Vielfalt der betreffenden Pflanzen erheblich reduziert, wie Sylvain Aubry, Biologe beim Bundesamt für Landwirtschaft, zusammenfasste: «Die Pflanzenzüchtung war sehr effizient, um uns zu ernähren und hat auch zu einer beachtlichen Verbesserung der Erträge geführt – gleichzeitig hat sie aber auch die intragene Vielfalt reduziert.» Also die genetische Vielfalt innerhalb der Kulturpflanzenarten und genau diese Vielfalt innerhalb einer Art wird aber wichtig, wenn sich Bedingungen ändern.

Angesichts des Klimawandels, des Auftretens neuer Schädlinge und der Entwicklung neuer Krankheiten wird dieser Verlust zu einem Problem. Die heutigen Sorten sind sehr homogen – und damit anfällig. Die mit unseren Kulturpflanzen verwandten Wildpflanzen hingegen haben sich in kontrastreichen, manchmal extremen Umgebungen weiterentwickelt. Sie tragen Gene, die sie widerstandsfähig gegen Trockenheit, Kälte und neue Krankheitserreger machen – Gene, die Züchtende nun wieder in Kulturpflanzen einbringen wollen.

Verbreitetes, aber gefährdetes Erbe

Gemäss den Bestandsaufnahmen der Stiftung InfoFlora und dem Bundesamt für Landwirtschaft kann ein grosser Teil der Schweizer Flora – je nach den verwendeten Verwandtschaftskriterien zwischen 40 und 50 Prozent – als mit Kulturpflanzen verwandt betrachtet werden. Doch nur 285 Arten werden aufgrund ihres agronomischen Interesses, ihrer Gefährdung und ihrer strategischen Bedeutung als «prioritär» eingestuft.

Diese Arten kommen überwiegend im Flachland in landwirtschaftlichen Gebieten vor: Auf naturnahen Wiesen, Randstreifen, Brachflächen und Trockenböschungen. Dort hat sich die genetische Vielfalt erhalten, manchmal nur wenige Meter entfernt von den Kulturpflanzen, mit denen sie verwandt sind.

Allerdings haben sich diese Lebensräume auch am stärksten verändert. Aussaatpraktiken, das Schaffen von Flächen zur Förderung der Biodiversität oder die Fragmentierung von Lebensräumen können die genetische Zusammensetzung wildlebender Populationen tiefgreifend verändern.

Die in den letzten Jahren durchgeführten Analysen der Beratungs- und Koordinationsstelle RegioFlora haben extreme Situationen aufgezeigt – beispielsweise bei der Kartäusernelke, wo fast die Hälfte der beprobten Populationen aus Saatgutmischungen mit externem Ursprung stammte. Das führt zu einer unbeabsichtigten genetischen «Verdünnung» – mit Folgen für den Artenschutz.

Der Apfelbaum als besonders anschauliches Beispiel

Um die Bedeutung der CWR zu verstehen, ist der Apfelbaum ein gutes Beispiel. Hinter einem modernen Apfel stehen mehrere Millionen Jahre Evolution und mindestens drei Wildarten, die zu seinem Genom beitragen: Malus sieversii aus Zentralasien, Malus orientalis aus dem Kaukasus und Malus sylvestris, der europäische Wildapfelbaum, der noch heute in der Schweiz vorkommt. «Das Erbgut des Kulturapfelbaums ist ein komplexes Gebilde, in dem Wildarten eine zentrale Rolle spielen», erklärte Simone Bühlmann-Schütz, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Forschungsbereichs Pflanzenzüchtung bei Agroscope.

Diese Arten verfügen über wertvolle natürliche Resistenzen. Das Gen Rvi6, das vor Apfelschorf schützt, stammt von einem japanischen Wildapfelbaum – Malus floribunda 821. Es wurde 1914 in die amerikanische Züchtung eingeführt und ermöglichte mehrere Jahrzehnte später die ersten schorfresistenten Sorten. Heute verwendet das Schweizer Programm zur Sortenverbesserung genomische Marker, um mehrere Resistenzgene aus CWR zu kombinieren, insbesondere gegen Feuerbrand oder Mehltau.

Darüber hinaus nutzt Agroscope seit 2008 das LIFT-Programm, das die Generationen von Apfelbäumen beschleunigt, indem es die Jahreszeiten künstlich im Gewächshaus und im Kühlraum nachbildet. Diese Methode ermöglicht es, den Reproduktionszyklus um die Hälfte zu verkürzen und Resistenzgene von Wildapfelbäumen schneller zu integrieren, während gleichzeitig komplexe Kombinationen getestet werden können.

Klimawandel als grösste Herausforderung

Um die CWR besser zu schützen, hat die Schweiz eine Reihe von Massnahmen ergriffen, die grösstenteils erst kürzlich eingeführt wurden. 2023 wurde beispielsweise ein Programm zur In-situ-Erhaltung von Futterpflanzen lanciert. Es unterstützt Landwirtinnen und Landwirte finanziell, die bestimmte prioritäre Arten in wenig intensiv genutzten Wiesen beherbergen. Über 1’200 Flächen sind bereits integriert, was einen grossen Fortschritt für Arten darstellt, deren Vielfalt direkt von der landwirtschaftlichen Praxis abhängt.

Parallel dazu testet die Schweiz Mikroreservate: Kleine Gebiete, die unter strengen Schutz gestellt werden, um sehr lokal begrenzte Arten zu erhalten. Eines davon betrifft Vicia lathyroides, eine wilde Verwandte der Erbse, die von InfoFlora und dem Bundesamt für Landwirtschaft im Rahmen einer Versuchsphase untersucht wird.

Ein weiterer Ansatz sind die CWR-Reservate: Fünf Pilotstandorte in Europa – darunter einer in der Schweiz – prüfen die Möglichkeit, bestehende Schutzgebiete auf die Erhaltung dieser Wildpflanzen auszurichten, wobei deren künftige Verbreitung unter verschiedenen Klimaszenarien berücksichtigt wird.

Dies ist eine der grössten Herausforderungen, denn mit steigenden Temperaturen und veränderten Niederschlagsmustern werden bestimmte Arten in einigen Jahrzehnten ausserhalb ihres optimalen ökologischen Raums leben. «CWR sind den Auswirkungen des Klimawandels ausgesetzt und dies muss in den Schutzstrategien berücksichtigt werden», betonte Blaise Petitpierre, Biologe bei InfoFlora und Koordinator des nationalen Inventars.

Gene retten, bevor sie verschwinden

Die zweite Säule zur Rettung dieses genetischen Erbes sind zwei Saatgutbanken in Genf und Zürich: Damit dieses genetische Erbe nicht verloren geht, setzt die Schweiz also zusätzlich auf Ex-situ-Sicherung, bevor bestimmte Populationen verschwinden. Der nationale Aktionsplan sieht die Sammlung der 285 prioritären Arten vor – idealerweise mit mehreren Populationen pro Art – um die genetische Vielfalt zu erfassen.

Das Saatgut wird gereinigt, getrocknet, getestet und dann gemäss den Standards der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, langfristig gelagert. Ende 2025 umfasste die Schweizer Saatgutbank bereits 349 Chargen von 80 Arten. Der Grossteil der gesammelten Samen kann mehrere Jahrzehnte oder sogar mehr als ein Jahrhundert lang aufbewahrt werden. Für Grégory Jäggli, Leiter der Saatgutbank in Zürich, sind zwei Dinge zentral: «Die Erhaltung der pflanzengenetischen Vielfalt, aber auch die Gewährleistung, dass diese Ressourcen tatsächlich für die Züchtung und Forschung genutzt werden können.» Erhalten allein reiche nicht aus: Man müsse sie auch zugänglich machen.