
Nicht ohne Paragraphen: Was hinter agrotouristischer Gastfreundschaft steckt
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Wolle wurde in vielen Teilen Europas seit dem 20. Jahrhundert zunehmend zu einem Abfallprodukt. Synthetische Fasern wurden nach dem 2. Weltkrieg günstiger und beliebter. Auch in der Schweiz wurde die Wolle bis etwa vor 10 Jahren grösstenteils entsorgt.
«Die Leute haben vergessen, welchen Wert die Wolle hat. Das wollten wir ändern», sagt Ruth Brog, Bäuerin und Co-Geschäftsführerin vom Wollreich Haslital.
Die Geschichte der Wollverarbeitung von Familie Brog begann mit zwei Walliser Schwarznasenschafen, oder «Bänzen», wie die Haslitaler sagen. Nach dem ersten Scheren wollte Ruth Brog etwas aus der Wolle machen.
So begann sie mit dem Filzen. «Ich brauche nur meine Hände, etwas Seifenwasser und kann dadurch eine 100% dichte Textilie erschaffen», sagt die Bäuerin. Die Wolle hat sie so fest fasziniert, dass sie dies nicht für sich behalten kann.
«Wenn ich im Fernsehen sagen würde, ich hätte eine Faser erfunden, die atmen kann, selbstreinigend, milbenfrei und geruchsneutral ist, würden mir viele Leute anrufen», sagt Ruth Brog. Leider hätten viele Leute den Bezug zur Natur verloren. Doch das entmutigte Familie Brog nicht. Die Schafherde ist mittlerweile auf 300 Tiere gewachsen, die den Sommer auf der Alp verbringen.
Das Filzen konnte Ruth Brog zu Beginn bei ihrer Arbeit in der Psychiatrie in der Therapie anbieten. Bald gab sie schweizweit Kurse für Personen, die in der Aktivierung arbeiten.
So kam es, dass das Behindertenheim in Meiringen Familie Brog anfragte, ob sie ihre Kardmaschine und auch die Kugelmaschine übernehmen möchten. «Das war eine grosse Investition für uns, die wir alleine nicht stemmen konnten», erzählt Ruth Brog. Zusätzlich zu den beiden Maschinen waren Investitionen für die Arbeitssicherheit und die Entstaubung der Luft notwendig. Sie fragten daher Coop Patenschaft und das BLW für eine Mitfinanzierung an.
Familie Brog verarbeitet sowohl eigene Wolle als auch Wolle von anderen Schafen aus der Schweiz. Diese wird nach dem Waschen in grossen Ballen in Meiringen angeliefert.
Die Produktionshalle ist Heinz Brogs Reich. Hier verarbeitet er die Wolle weiter zu Vliess oder Kügelchen. Manchmal hilft ihm auch Caro Nägeli, Mitarbeiterin seit der ersten Stunde oder eine andere Helferin.
In einem ersten Schritt gibt er die Wolle von Hand in den Reisswolf. Dieser lockert die Wolle auf und reisst sie auseinander. Dadurch fallen letzte Strohstücke oder andere Verunreinigungen heraus.
Anschliessend kommt die Wolle entweder in die Kardmaschine oder in die Wollkugelmaschine.
In der Kardmaschine wird die Wolle kardiert. Die gewaschene Schafwolle wird aufgelegt und in den grossen Walzen gebürstet. Ganz fein kommt hinten an der Maschine ein feines Vlies heraus, das auf einer Rolle aufgerollt wird, bis das Vlies dick genug ist, für den jeweiligen Verwendungszweck.
Aus dem Wollvlies werden Duvets und Bettauflagen hergestellt.
In der Wollkugelmaschine wird die Wolle zu feinen Kügelchen gedreht. «Nach dem ersten Arbeitsschritt würden die Kugeln beim Waschen verfilzen», erklärt Ruth Brog. «Zwei weitere Schritte machen, dass die Kugeln nicht mehr verfilzen. Das ist unser Geheimnis», verrät sie. Mit dieser Erfindung hat Familie Brog 2016 den Innovationspreis der Volkswirtschaft Berner Oberland und 2022 den Agropreis gewonnen.
Die weichen Wollkugeln sind das Herzstück der Kissen, die das Wollreich herstellt. Die Produktepalette vom Wollreich ist stattlich: Bettwaren wie Duvets, Kopfkissen, Seitenschläferkissen aber auch Lagerungskissen für Babys oder Stillkissen in allen Farben Schmücken den Wollreich-Laden im Dorf Meiringen.
Wer diesen Laden betritt, überfällt sofort ein angenehmes, warmes Nestgefühl.
Auf dem Arbeitstisch im Atelier vom Wollreich schneidet Therese Schmid, ebenfalls Mitarbeiterin der ersten Stunde, ein grosses braunes Wollvlies zu. Es hat noch Strohstücke drin. «Das zeigt, dass Wolle ein Naturprodukt ist», erklärt sie. Das Vlies wird aus Restwolle hergestellt. Es ist für den Einsatz im Garten oder als Blumentopf gedacht. Schafwolle hat gute Isolations-Eigenschaften und kann auch Wasser gut speichern. Zudem dient es als Windschutz.
Familie Brogs Idee war ursprünglich nicht, ein Geschäft mit der Wolle zu machen. «Es braucht Aufklärungsarbeit. Man kann nicht nur ausrufen», sagt Ruth Brog. Führungen durch ihre Wollverarbeitung oder auch zu ihren Schafen auf der Alp sowie Kurse liegen der Familie sehr am Herzen.
«Die Leute müssen die Wolle fühlen und erleben können und sehen, wie unsere Schafe auf der Alp leben.»
Aus diesem Grund bietet die Familie auch Ferien im «Wollhaus Oberzwirgi» an. Beim Umbau der Alphütte aus dem Ende des 19. Jahrhunderts gestalteten sie das Innere neu. Die Wände und das Dach sind mit Schafwolle isoliert. Die Innenausstattung ist vorwiegend mit Produkten aus Schafwolle ausgestattet. Jeder Raum erzählt die Geschichte der Schafe auf dem Hof und der Wolle. «Normalerweise freut man sich nach den Ferien wieder auf das eigene Bett zuhause. Hier ist es anders, hier möchte man bleiben», sagt Ruth Brog.
(Nichts, was nicht mit Wolle und Schafen zu tun hat)
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