
644 Bauernhöfe haben aufgegeben
Der Strukturwandel schreitet stetig fort. 644 Bauernhöfe haben im vergangenen Jahr den Betrieb eingestellt. Das sind ...
Am Schweizer Forum für Agrarpolitik 2025, das Ende August an der HAFL in Zollikofen im Kanton Bern stattfindet, werden Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft über die Herausforderung des strukturellen Wandels in der Landwirtschaft diskutieren. Zwischen Fachkräftemangel, Klimawandel und neuen Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten stellt sich die Frage nach den richtigen Strategien.
Vom 28. bis 29. August 2025 findet das diesjährige Schweizer Agrarpolitik Forum an der HAFL in Zollikofen statt.
Diskutiert wird zum Thema: «Strukturentwicklung: wie kriegen wir die Kurve?».
Das Interview mit Christophe Perrot, Agrarexperte am Institut de l’élevage (IDELE) – dem Institut für Viehwirtschaft –, Agrarökonom mit einem Diplom von AgroParisTech und zuständig für das Thema «Wirtschaft und Regionen», wirft einen Blick über die Grenze. Bei unserem Nachbarn in Frankreich waren bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren politische Massnahmen erforderlich, um einer ersten Welle von Pensionierungen zuvorzukommen.
Lassen sich seit den 1960er-Jahren – einer Zeit der starken Mechanisierung und der Geburt der Babyboomer, die heute in Rente gehen – grosse Trends bei der Strukturierung der Betriebe erkennen?
Christophe Perrot: Die heutige Überalterung der Betriebsleiter und die demografische Herausforderung im Zusammenhang mit der Erneuerung der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte sind tatsächlich ein Bumerangeffekt der soziostrukturellen Politik zwischen den 1960er- und späten 1990er-Jahren. Damals wollte man in Frankreich möglichst viele wenig produktive Landwirte in als rückständig geltenden Verhältnissen zur Aufgabe bewegen – und durch deutlich weniger junge Landwirte ersetzen. Diese erhielten staatliche Unterstützung, um in neue Stallbauten zu investieren. 1997 wurde diese Unterstützung, die in den Augen des damaligen Finanzministers zu kostspielig war, abrupt beendet. Die Folge war eine neue demografische Welle, die bis heute nachwirkt – denn viele dieser Betriebe wurden vor rund 30 Jahren gegründet.
Müsste man dabei nicht stark zwischen den verschiedenen Produktionsrichtungen unterscheiden – Tierhaltung, Ackerbau, Weinbau, usw.?
Christophe Perrot: Absolut – aus meiner Sicht steht die Wiederkäuerhaltung, insbesondere Rinder für Milch oder Fleisch, bei der Bewältigung der demografischen Herausforderung an vorderster Front. Es gab und gibt hier keinen «Plan B», da dieser Sektor unterschiedlichen Arbeitsorganisationen unterliegt. Die Kernaufgaben – Fütterung, Überwachung der Tiere, Melken – lassen sich nicht delegieren, sie bleiben beim Betriebsleiter. Während in tierlosen Betrieben laut der französischen Landwirtschaftszählung 2020 rund 47 Prozent der Arbeit von Angestellten geleistet wurde und 74 Prozent der Arbeiten an Lohnunternehmen vergeben wurden, liegt der Anteil in der Schweinehaltung bei 34 Prozent, in der Geflügelhaltung bei 28 Prozent und bei den Wiederkäuern nur bei 14 Prozent. Doch die rasante Robotisierung der Melktechnik verändert das Bild: Der Anteil der Melkroboter stieg von 13 Prozent im Jahr 2021 auf 19 Prozent im Jahr 2023 – und in einigen französischen Departements sind bereits 40 Prozent der Betriebe mit Robotern ausgestattet.
Sie sagen, dass in der französischen Milchproduktion der Arbeitskräftemangel am deutlichsten zutage tritt. Warum gerade dort?
Christophe Perrot: Weil dort der demografische Schock am stärksten spürbar ist – die Alterspyramide ist unausgewogen und spitz. Hinzu kommt, dass Milchbauern selten über 60 Jahre hinaus Betriebsleiter bleiben. Das bedeutet, der Generationenwechsel erfolgt rascher als im Ackerbau, Weinbau oder in der Mastrinderhaltung, wo die Landwirte oft länger an der Spitze ihrer Betriebe bleiben. Glücklicherweise findet dieser demografische Schock in einem wirtschaftlichen Kontext statt, der für die Milchproduktion viel günstiger ist: Robotisierung, ein Anstieg des Lohnarbeitsanteils von 15 auf 20 Prozent in drei Jahren, höhere Leistungen pro Kuh und wachsende Betriebsgrössen von durchschnittlich 150 bis 400 Kühen – was im europäischen Vergleich aber immer noch sehr wenig ist.
In der Schweiz steckt der Milchsektor in der Krise – da der Preis für Industriemilch im Vergleich zu den Produktionskosten viel zu niedrig ist. Wie kommt man aus dieser demografischen Sackgasse heraus? Haben die landwirtschaftliche Berufsbildung und die Politik das Problem erkannt?
Christophe Perrot: In Frankreich verlief der Übergang vom Quotensystem zur sogenannten Wettbewerbsordnung – zwischen Unternehmen, Regionen, Ländern, ja sogar Betrieben – nur sehr schleppend. Er begann 2007 und 2015 wurden die Milchquoten schliesslich endgültig abgeschafft. Seither setzt sich der Strukturwandel fort – befördert durch Agglomerationseffekte: Sowohl bei Milch als auch bei Schweinen ist es billiger, Milch und Fleisch in dicht besiedelten Gebieten zu produzieren und zu verarbeiten. Auch der Klimawandel spielt eine Rolle, ebenso wie das Vorhandensein oder Fehlen von landwirtschaftlichen Alternativen. Mit Ausnahme einiger Bergregionen mit erfolgreichen Käse-AOPs wie im französischen Jura haben sich die «Milchplaneten» deutlich zugunsten der Normandie ausgerichtet.
Bleiben wir bei der Milch: Ziegenhalterinnen und -halter scheinen eine Ausnahme zu bilden – warum?
Christophe Perrot: Ja, insbesondere jene, welche die Milch über den eigenen Betrieb vermarkten. Sie sind eine der wenigen demografischen Erfolgsgeschichten in der französischen Landwirtschaft. Der Sektor ist attraktiv für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger und scheint sehr zugänglich zu sein – die Betriebe sind klein mit durchschnittlich 43 Ziegen pro Einzelbetrieb. 40 Prozent der Ziegenhalterinnen und Ziegenhalter von 2020 haben sich seit 2010 neu etabliert – doppelt so viel wie in anderen Sektoren. Anders sieht es bei den Ziegenmilchlieferanten für die Industrie aus: Diese Gruppe ist klein und wurde durch die Abnehmer kaum weiterentwickelt – zu tief sitzt das Trauma der Überproduktion und der darauffolgenden Pleiten in den 2000er-Jahren.
Stellen die landwirtschaftlichen Ausbildungsstätten fest, dass sich das neue Ernährungsbewusstsein oder vielleicht auch das neue ethische Bewusstsein in unserer Gesellschaft auf die Zahl der Lehrlinge auswirkt? Gibt es weniger Auszubildende als vor zwanzig oder dreissig Jahren?
Christophe Perrot: Die Vielfalt der Lernenden ist gross und hat sich stark verändert. Die landwirtschaftlichen Schulen sind meist voll – besonders in Milchwirtschaftsregionen. Aber die Betriebe, die übernommen werden sollen, verlangen zunehmend Management- und Finanzkompetenzen. Neue Modelle könnten entstehen: Etwa Beteiligungen von Genossenschaften am Kapital oder sogar von nicht-landwirtschaftlichen Aktionären, wie man es in Dänemark kennt.
Haben sich die landwirtschaftlichen Strukturen spürbar feminisiert? Könnte sich hier ein Trend etablieren?
Christophe Perrot: Im Gegenteil – zwischen 1993 und 2007 hat Frankreichs Landwirtschaft einen regelrechten Exodus der Frauen erlebt, der vor allem mit der Entwicklung des Milchviehsektors und der Tatsache zusammenhing, dass Frauen bis 2015 nicht die gleiche berufliche Stellung hatten. Ihr Anteil sank von 40 auf 25 Prozent und steigt seither kaum wieder. Es ist festzustellen, dass die Sektoren mit dem höchsten Frauenanteil wie Schaf-, Ziegen- und Geflügelhaltung oder Gemüsebau weniger Schwierigkeiten mit der Nachfolgethematik haben.
Welche Strategien können Unternehmen und Branchen verfolgen, um den Nachwuchs zu fördern und dem Personalmangel entgegenzuwirken? Sind bessere soziale Bedingungen Teil der Lösung – etwa höhere Löhne, Ferien oder Sozialleistungen?
Christophe Perrot: Für die Milchbranche braucht es Preise, Verträge, Absatzkanäle – und Investitionen sowie Strategien, die Vertrauen schaffen. In der Fleischproduktion – Rind und Schaf – scheint es komplizierter zu sein, dies zu organisieren. Zwar sind die Preise aktuell hoch und die Bauern haben oft Wahlmöglichkeiten, aber der Konsum – und damit die Produktion – leidet oder verlagert sich derzeit eher auf Pouletfleisch, das in 50 Prozent der Fälle importiert ist.
Wäre es eine Option, die soziale Rolle dieser Betriebe für das Leben in ländlichen Gebieten durch eine öffentliche Subventionierung zu unterstützen, wie es bei Dorfbäckereien der Fall ist?
Christophe Perrot: Ja, aber nur eine sehr marginale Option. Lokale Gebietskörperschaften wie Gemeindeverbände könnten hingegen im Rahmen von der Projets Alimentaires Territoriaux, also regionalen Ernährungsprojekten, eine wichtige Rolle übernehmen – etwa durch Belieferung von Kantinen und gezielte Förderung lokaler Produkte.
Ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz Teil der Lösung, um dem Personalmangel entgegenzuwirken?
Christophe Perrot: Vielleicht, aber derzeit sind es vor allem die Automatisierung bestimmter Aufgaben wie Melken oder Füttern und der Einsatz von Sensoren, wie beispielsweise bei der Brunst, die von Betrieben geschätzt werden – vor allem dort, wo eine hohe Arbeitsproduktivität angestrebt wird.
Der Strukturwandel schreitet stetig fort. 644 Bauernhöfe haben im vergangenen Jahr den Betrieb eingestellt. Das sind ...
Die landwirtschaftliche Strukturerhebung des Bundesamtes für Statistik zeigt, wie die Anzahl der Betriebe abgenommen ...