
Was die Schweiz kauft – was die Schweiz isst
Die Schweiz ist ein Land der Geniesserinnen und Geniesser. Doch was und wie wir konsumieren, verändert sich kontinuie...
Laut dem Bundesamt für Umwelt sind die realen Konsumausgaben der Schweizer Haushalte zwischen 2000 und 2020 um 27 % gestiegen – schneller als das Bevölkerungswachstum von 20 % im selben Zeitraum. Im weltweiten Vergleich bleibt das Konsumniveau in der Schweiz hoch. Gleichzeitig zeigt eine Deloitte-Studie aus dem Jahr 2024, dass die gestiegene Inflation viele Menschen dazu veranlasst, weniger für nicht notwendige Güter auszugeben und verstärkt auf Sonderangebote zu achten.
Doch wie steht dieser Wandel im Konsumverhalten im Einklang mit den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung, die Ressourcenschonung und ökologische Verantwortung in den Fokus rücken? Können diese Veränderungen einen positiven Beitrag zu einer nachhaltigeren Konsumkultur leisten?
Prof. Dr. Evelyn Markoni, Soziologin an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften BFH-HAFL, forscht und arbeitet gemeinsam mit ihrem Team im Bereich nachhaltiger Konsum. Sie erläutert im Gespräch, wie sich das Konsumverhalten in der Schweiz im Hinblick auf Nachhaltigkeit verändert hat – und wohin die Entwicklung gehen sollte.
LID: Evelyn Markoni, wenn man die Fakten betrachtet, stellt sich die Frage: Wie hat sich das Konsumverhalten in der Schweiz in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt?
Evelyn Markoni: Betrachtet man den konsumbedingten Umweltfussabdruck und den Rohstoffverbrauch der Schweizerinnen und Schweizer, so ist der Umweltfussabdruck pro Kopf in den letzten 20 Jahren um 25 % und der Rohstoffverbrauch um 5 % gesunken. Dies liegt vor allem an effizienteren Wertschöpfungsketten, besseren Recycling-Prozessen und einem höheren Anteil erneuerbarer Energien – weniger aber an einem grundsätzlichen Wandel hin zu nachhaltigem Konsum. Tatsächlich ist die Abfallmenge pro Kopf gestiegen, was darauf hindeutet, dass insgesamt mehr konsumiert wird. Der Druck auf die Umwelt nimmt absolut betrachtet weiter zu, erkennbar am anhaltenden Verlust der Biodiversität.
Wie definieren Sie nachhaltigen Konsum, und ist er in unserer Gesellschaft überhaupt realistisch umsetzbar?
Gemäss dem aktuellen Diskurs in der Wissenschaft wird Konsum als nachhaltig bezeichnet, wenn er unter Einhaltung der planetaren Grenzen stattfindet, sprich, es muss eine Obergrenze unseres Konsums geben. Neben dieser Obergrenze braucht es aber auch eine Untergrenze und einen sozial-gerechten Zugang zu gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln für alle Menschen auf dieser Erde. Ohne eine drastische Veränderung unserer Konsumgewohnheiten kann Konsum nicht nachhaltig werden.
Während «kein Konsum» theoretisch die nachhaltigste Option wäre, ist dies in der Praxis kaum umsetzbar. Es geht darum, den Konsum stark zu reduzieren und bewusster zu gestalten: mehr teilen, tauschen, reparieren, statt neu kaufen.
Inwiefern setzen Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz nachhaltige Kaufabsichten bei Lebensmitteln tatsächlich im Alltag um, und welche Hürden stehen dem entgegen?
Wir sehen in verschiedenen Forschungsprojekten immer wieder, dass zumindest nachhaltigkeitsorientierte Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz der Regionalität von Lebensmitteln oder pflanzlichen Proteinen einen hohen Stellenwert bei ihrer Ernährung beimessen. In der Realität zeigt sich jedoch häufig ein deutlicher Unterschied zwischen Einstellung und tatsächlichem Verhalten. Ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein führt dementsprechend nicht zwangsläufig zu nachhaltigem Handeln. Dies aus vielfältigen Gründen, wie fehlendem Wissen, sozialen Konventionen oder schlichtweg Gewohnheiten. Teils fehlt zudem die Zeit, die eigenen Ansprüche umzusetzen. Wenn wir abends müde und hungrig am Bahnhof stehen, entscheiden wir uns häufig für das naheliegende Angebot, auch wenn es nicht die nachhaltigste Wahl ist.
Welche politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Rahmenbedingungen könnten einen nachhaltigen Konsum unterstützen?
Häufig wird die Verantwortung für nachhaltigen Konsum auf das Individuum übertragen, während bei der Transformation hin zum nachhaltigen Konsum soziale Praktiken eine grössere Rolle spielen. Dazu zählen eben nicht nur das individuelle Verhalten, sondern gesellschaftliche Werte – etwa die Bedeutung von Fleisch –, oder erlernte (Koch-)Fähigkeiten. Beispielsweise könnten in Schulen Kochkurse mit pflanzlichen Proteinen angeboten werden. Weiter braucht es die richtigen strukturellen Bedingungen, wie beispielsweise ein gesundes und nachhaltiges Angebot in der Gemeinschaftsverpflegung. Nachhaltiger Konsum setzt schliesslich faire Ernährungsumgebungen voraus. Auch in der Schweiz sind Menschen von Armut betroffen oder armutsgefährdet und haben nur eingeschränkten Zugang zu einer gesunden und nachhaltigen Ernährung. Um faire Konsumumgebungen zu schaffen, sind gesetzliche Rahmenbedingungen unerlässlich.
Welche Rolle spielt die Politik bei der Förderung nachhaltigen Konsums, und welchen Beitrag können Unternehmen leisten?
Unternehmen können zwar gezielte Kampagnen durchführen, um das Bewusstsein für nachhaltige Produkte zu schärfen und Verbraucherinnen zu motivieren, umweltfreundlichere Entscheidungen zu treffen. Dennoch sehe ich hier ebenfalls die Politik in der Verantwortung: So könnte beispielsweise über ein Werbeverbot für ungesunde und nicht nachhaltige Produkte diskutiert werden.
Blicken wir in die Zukunft: Welche Veränderungen sind nötig, um nachhaltigen Konsum langfristig in der Gesellschaft zu verankern?
Wir müssen in unserer Gesellschaft den Dialog führen, wie ein gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen gelingen kann. Wie können wir Ernährungsumgebungen fairer gestalten und eine gesunde und nachhaltige Ernährung für alle ermöglichen? Wie schaffen wir Strukturen, die nachhaltige Entscheidungen erleichtern? Für einen Wandel müssen wir dementsprechend neue Lebensformen erproben und für diese auch offen sein. Für eine nachhaltige Zukunft müssen wir unseren Konsum drastisch reduzieren und suffizienter werden – also mit weniger mehr erreichen.
Nachhaltigkeit in der Praxis ist oft herausfordernd. Gibt es inspirierende Beispiele?
Ein gutes Beispiel ist das Reallabor Webergut in Zollikofen bei Bern, das Urban Future Lab. Dort erforschen wir gemeinsam mit den zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohnern ein gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen. Im ehemaligen Bürogebäude soll in einigen Jahren ein nachhaltiges Leben in den Handlungsfeldern Ernährung, Wohnen und Mobilität möglich sein. Unterstützt wird das transdisziplinäre Projekt von BFH-Forschenden aus verschiedenen Bereichen wie Umweltwissenschaften, Ernährungssoziologie, Architektur oder Wohnpsychologie. Ich denke, wir brauchen mehr solche Initiativen, um positive Beispiele für nachhaltige Konsumkultur zu schaffen.
Was braucht es, damit nachhaltiger Konsum für alle zur Normalität wird?
Ich denke, nachhaltiger Konsum sollte auch Freude bereiten. Weniger Konsum muss nicht Verzicht, sondern kann auch mehr Genuss bedeuten – bewusstes Essen, Zeit mit Familie und Freunden. Leider ist das für viele Menschen in der Schweiz nicht selbstverständlich. Wir müssen das Gemeinsame und das Teilen wieder mehr in den Mittelpunkt stellen, um nachhaltigen Konsum für alle zugänglich zu machen. Nur so können wir diesen schlussendlich auch zur Norm werden lassen.
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