Nachhaltigkeit bei Milch: Was wirklich dahintersteckt – und wer sie am Ende möglich macht

«Nachhaltigkeit in der Praxis – realistisch, machbar, nötig?»: Unter diesem Titel diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Landwirtschaft, Verarbeitung, Detailhandel und Politik am SMP-Milchforum 2025 in Luzern, wie die Schweizer Milchwirtschaft ökologisch, wirtschaftlich und sozial zukunftsfähig bleiben kann. Das Forum fand im Rahmen der Suisse Tier statt und wurde von den Schweizer Milchproduzenten (SMP) und den Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP) gemeinsam organisiert.
Zuletzt aktualisiert am 25. November 2025
von Renate Hodel
5 Minuten Lesedauer
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Die Podiumsdikussion am Milchforum der SMP in Luzern mit Moderator Roland Wyss, Boris Beuret, Ricarda Demarmels, Marc Muntwyler und Markus Kretz. (rho)

Wer Milch nur als Produkt im Kühlregal sieht, merkt schnell: Hinter der Debatte steckt viel mehr als «CO₂ oder nicht CO₂». Es geht um Ernährung, um Landschaftspflege, um Tierwohl, um Preise – und um die Frage, wie ein Land wie die Schweiz mit viel Grasland seine Lebensmittelproduktion organisiert.

Drei Dimensionen – und ein gemeinsamer Nenner: Es muss sich lohnen

In den Begrüssungen machten SMP-Präsident Boris Beuret und ZMP-Präsident Thomas Grüter klar: Nachhaltigkeit funktioniert nur, wenn sie ganzheitlich gedacht wird – und wenn entlang der Wertschöpfungskette alle Verantwortung übernehmen.

Thomas Grüter betonte die regionale Verankerung der ZMP mit rund 2’700 Produzentinnen und Produzenten und etwa 700’000 Tonnen Milch pro Jahr und verwies auf das Projekt «KlimaStaR Milch» als Beispiel, dass sich Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht ausschliessen müssen.

Boris Beuret legte den Finger auf den wunden Punkt der sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit: Wenn Betriebe keine Perspektive haben, nützen die besten Klimaziele wenig. Er nannte als Orientierungsgrösse einen Stundenlohn von gut 40 Franken für Milchproduzentinnen und -produzenten – als Voraussetzung für ein existenzsicherndes Einkommen und um den Beruf für junge Menschen attraktiv zu halten.

Detailhandel: Ohne bessere Daten bleibt Klimaschutz ein Blindflug

Marc Muntwyler, Leiter Nachhaltigkeit bei Coop, beschrieb die Logik des Detailhandels: Coop verfolgt Netto-Null-Ziele und sieht die grösste Hebelwirkung in der Lieferkette – gerade bei Rohstoffen wie Milch und Fleisch. Gleichzeitig zeigte er ein Grundproblem auf: Heute wird viel mit Durchschnittswerten aus Datenbanken gerechnet, was je nach Quelle stark schwanken kann.

Seine zentrale Forderung: Primärdaten statt grober Annahmen – damit sichtbar wird, ob Massnahmen auf den Betrieben tatsächlich zu einer messbaren Reduktion führen. Und genau dafür soll das «Klimabündnis Lebensmittel» sorgen: Gemeinsame Messgrundlagen, eine neutrale Datenplattform und ein Finanzierungsmodell, das Betriebe für wirksame Massnahmen entschädigt – ohne Wettbewerbsverzerrungen und ohne «Trittbrettfahrer».

Verarbeitung: Milch als Nährstoffpaket – und warum Gesundheit Teil der Nachhaltigkeit ist

Ricarda Demarmels, CEO von Emmi, brachte eine zusätzliche Perspektive ein: Nachhaltigkeit werde oft zu eng als Umweltfrage diskutiert – dabei gehöre Ernährung und Gesundheit zwingend dazu. Milch sei ein wichtiger Nährstofflieferant, und sie verwies auf Zahlen, wonach in der Schweiz 25 Prozent der 18- bis 65-Jährigen ein Proteindefizit hätten und bei den über 65-Jährigen über 50 Prozent.

Gleichzeitig beschrieb sie ein Paradox: Obwohl Milch ernährungsphysiologisch wertvoll ist, sinkt der Konsum. Sie nannte als Vergleich: 2013 habe die Schweiz bei 87 Milchäquivalenten pro Kopf gelegen, heute bei rund 50.

Ihre Botschaft an die Branche: Wenn Schweizer Milch tatsächlich Vorteile hat – Tierwohl, Standortgerechtigkeit, vergleichsweise tiefer Fussabdruck – müsse man diese stärker sichtbar machen sowie verständlich und glaubwürdig kommunizieren.

Praxis: Was auf einem Betrieb möglich ist – und wo Zielkonflikte beginnen

Wie sich Klimaschutz auf dem Hof konkret anfühlt, zeigte Milchproduzent Markus Kretz. Er machte deutlich: Ein grosser Teil der Emissionen hängt an wenigen Stellschrauben – in seinem Überblick vor allem bei der Fütterung und der Hofdüngerbewirtschaftung.

Markus Kretz zeigte mit konkreten Ergebnissen aus seinem Betrieb, dass er durch optimierte Fütterung und Herdenführung den CO₂-Ausstoss pro Kilogramm Milch markant reduzieren konnte.

Er zeigte aber auch die Kehrseite: Manche Massnahmen sind teuer oder bringen neue Zielkonflikte wie beispielsweise Milchqualität oder Tiergesundheit. Und: Wenn Klimaschutz ein öffentliches Interesse ist, stellt sich die Frage der Abgeltung – er bezifferte die Kosten einzelner Ansätze auf mehrere tausend Franken pro Betrieb und Jahr.

Einigkeit beim «Was» – offene Fragen beim «Wie»

In der Diskussion zog sich ein roter Faden durch alle Beiträge: Ja, weitere Verbesserungen sind nötig – aber sie müssen machbar und marktfähig bleiben.

Drei Punkte wurden besonders greifbar:

  • Harmonisierung statt Label-Dschungel: Wenn jede Organisation anders rechnet, wird Nachhaltigkeit für Konsumentinnen und Konsumenten zur Blackbox – und für die Branche zum Streit über Zahlen.
  • Finanzierung: Es braucht Modelle, wie wirksame Massnahmen bezahlt werden – im Klimabündnis wurde etwa über Fondslösungen und gemeinsame Regeln nachgedacht.
  • Ganzheitlichkeit: Klima ist zentral, aber nicht allein. Biodiversität, Gewässerschutz, Boden, Tierwohl – und die Frage der Nahrungsmittelkonkurrenz – müssen mitgedacht werden, sonst verschiebt man Probleme nur.

Das Milchforum zeigte vor allem eines: Nachhaltigkeit ist kein Etikett, das man einfach auf eine Packung klebt. Sie ist ein Aushandlungsprozess zwischen denen, die produzieren, verarbeiten, verkaufen – und denen, die kaufen.