Fachkräftemangel als Dauerbaustelle – wie sich die Agro-Food-Branche wappnen muss
Die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft kämpft mit Fachkräftemangel – und die Lage dürfte sich verschärfen. An d...
Brot, Gemüse, Milch oder Getränke – was in den Zürcher Filialen von Coop in die Regale kommt, legt seine letzten 40 Kilometer seit diesem Sommer nicht mehr auf der Autobahn A1 zurück, sondern auf der Schiene. Dreimal täglich rollen Güterzüge vom regionalen Verteilzentrum in Schafisheim im Kanton Aargau in Richtung Stadt Zürich. Dort, im Zürcher Hardfeld, werden die 32 Wechselcontainer pro Zug entladen, auf Lastwagen verladen und von dort zu 70 Filialen von Coop verteilt. Dafür mietet Coop im Zürcher Güterbahnhof zwei Umschlagsgleise.
Was auf den ersten Blick nach einem kleinen Schritt aussieht, hat grosse Wirkung: 58’000 Lastwagenfahrten entfallen pro Jahr und der CO₂-Ausstoss reduziert sich um 80 Prozent im Vergleich zum ausschliesslichen Strassentransport. «Wir profitieren vom zuverlässigen Schweizer Schienennetz», erklärt Philipp Wyss, CEO von Coop, an der offiziellen Eröffnung des neuen Eisenbahn-Umlade-Hubs in Zürich letzte Woche. «Die Fahrt dauert nur rund 30 Minuten, mit dem Lastwagen deutlich länger – und der Zug bleibt nie im Stau», führt er weiter aus.
Auch Philipp Wegmüller, Geschäftsführer von RailCare, einem Tochterunternehmen von Coop, sieht klare Vorteile: «In der Stadt Zürich gibt es jeden Tag irgendwo einen kleinen Verkehrskollaps – mit der Bahn kommen die Waren zuverlässiger und planbarer ans Ziel.» Der Transport auf der Schiene sei zwar teurer, reduziere aber Unsicherheiten und stärke die Versorgungssicherheit.
Das Drehkreuz des Systems liegt in Schafisheim, Europas grösstem Lebensmittellogistikzentrum. Auf 164’000 Quadratmetern werden täglich über 2’800 Rollbehälter kommissioniert. «Wir bewirtschaften hier rund 2’500 Artikel – von Brot über Gemüse bis zu Molkereiprodukten», erklärt Rudolf Frei, Leiter der regionalen Verteilzentrale von Coop in Schafisheim. «Die Ware wird filialgerecht zusammengestellt und alles ist so getaktet, dass die Ware meist nur wenige Stunden nach Eintreffen wieder auf die Reise geht», erläutert er weiter.
Die Rollbehälter mit den Gütern werden in sogenannte Wechselbehälter verladen – Spezialcontainer, die über zwei Temperaturzonen verfügen, sodass gekühlte und ungekühlte Produkte gleichzeitig transportiert werden können und die sowohl auf LKW und Bahnwagen passen.
Über ein digitales Logistiksystem wird jeder Container registriert, geprüft und automatisch dem richtigen Zug zugeordnet. Der gesamte Umschlag ist papierlos – alle Prozesse laufen über eine interne App, die Verladung, Transport und Rückmeldung steuert.
Auf dem Rückweg nach Schafisheim sind die Container nicht leer – sie enthalten Leergut, Abfall und Recyclingmaterial aus den Filialen. Selbst PET-Flaschen oder Karton gelangen so über die Schiene zurück in den Verwertungskreislauf.
Die Züge fahren morgens um 3 Uhr mit Frischprodukten, um 8 Uhr mit Molkerei- und Fleischwaren und um 12 Uhr mit Grundnahrungsmitteln, Getränken und allfälligen Nachbestellungen der Filialen. In Zürich angekommen, übernehmen sogenannte Container-Mover den patentierten Horizontalumschlag: Statt Kräne zu nutzen, ziehen Lastwagen mit Spezialarmen die Container seitlich vom Zug. Das System hat RailCare selbst entwickelt und gilt als europaweit einzigartig.
«Wir haben bewusst auf Kräne verzichtet», so Philipp Wegmüller von RailCare. «So können wir flexibel auf Platzverhältnisse reagieren, etwa bei engem Raum im Stadtgebiet – und je nach Bedarf können wir mehr oder weniger Fahrzeuge einsetzen», erklärt er weiter.
Fünf solcher Mover sind aktuell im Einsatz, jeder kostet rund 200’000 Franken. Die Effizienz ist hoch: Innerhalb weniger Minuten ist ein Container umgeschlagen, und die Lastwagen können auf die letzten Kilometer ausschwärmen.
Bereits seit 2010 betreibt Coop mit RailCare ein eigenes Bahnunternehmen. Heute werden zwei Drittel der nationalen Transporte und ein Drittel der regionalen Transporte auf der Schiene abgewickelt – das entspricht jährlich 18 Millionen eingesparten Strassenkilometern, oder rund 450 Erdumrundungen.
Mit Zürich erweitert Coop ein Konzept, das bereits in Genf seit 2013 erfolgreich läuft: Auch dort werden alle Filialen per Bahn beliefert. Neben Zürich und Genf beliefert Coop auch das Oberwallis, den Jura, das Tessin und das Engadin per Zug. Insgesamt hat das Unternehmen in den letzten zehn Jahren rund 250 Millionen Franken in die Bahnlogistik investiert.
Das duale Verkehrskonzept, also der kombinierte Verkehr von Bahn und Lastwagen, hat sich dabei bewährt: Schiene und Strasse ergänzen sich. Das sorgt für hohe Versorgungssicherheit – ein entscheidender Faktor bei Engpässen.
«Den Lastwagen wird es immer brauchen», betont Philipp Wegmüller. «Aber er kann effizienter eingesetzt werden – für Spitzenzeiten oder auch wenn beispielsweise ein Streckenabschnitt auf der Schiene blockiert ist», erklärt er weiter. Das zeigte sich im Sommer 2023, als der Basistunnel am Gotthard wegen eines entgleisten Güterzugs wochenlang gesperrt war und danach monatelang nur eingeschränkt befahren werden konnte: Statt eines täglichen Zuges ins Tessin und zurück musste Coop für diese Zeit auf 84 Lastwagen umsatteln.
Umgekehrt kann RailCare bei Störungen im Strassennetz die Bahnkapazitäten hochfahren. «Diese Flexibilität ist zentral», betont Philipp Wegmüller, «ob Stau auf der A1 oder Tunnelstörung – wir können sofort umplanen und liefern weiter.» Die Bahn bietet zudem mehr Planungssicherheit: RailCare bucht die Zeitfenster für die Güterzüge ein Jahr im Voraus, die Abfahrtszeiten sind minutengenau.
Gleichzeitig entlastet die Bahn das Strassennetz und reduziert den Bedarf an Chauffeurinnen und Chauffeuren – ein Vorteil angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels.
Was hinter den Kulissen abläuft, wirkt wie ein fein abgestimmtes Uhrwerk: automatisierte Kommissionierung, digitale Datenflüsse, standardisierte Containergrössen, aufeinander abgestimmte Systeme und vorausschauende Wartung. In der Bahnlogistik gilt Standardisierung als Schlüssel: «Alles läuft gleich ab – gleiche Container, gleiche Abläufe, gleiche Software», erklärt Philipp Wegmüller. «Das reduziert Fehler, erhöht die Geschwindigkeit und macht das System resilient», so der RailCare-Geschäftsleiter weiter.
Auch energetisch ist der Bahntransport effizienter: Ein Güterzug ist laut RailCare bis zu siebenmal energieeffizienter als ein Lastwagen. Das Schweizer Bahnnetz fährt zu 98 Prozent mit Strom aus Wasserkraft – ein ökologischer Vorteil, den kaum ein anderes Land bietet.
Die Idee, Lebensmittel auf Schienen zu transportieren, mag selbstverständlich wirken. Möglich ist das hierzulande in dieser Effizienz aber vor allem dank der Schweizer Infrastruktur und der Präzision im Taktverkehr.
Doch die logistische Herausforderung bleibt: Frische Produkte brauchen Tempo, Zuverlässigkeit und eine ununterbrochene Kühlkette. Mit Projekten wie «City Cargo Zürich» zeigt sich aber, dass die Schiene nicht nur für Stahl und Kies taugt – sondern auch für Tomaten, Joghurt und Brot.
Und Coop-CEO Philipp Wyss deutet an: «Wir haben noch einige Ideen, wo die Lieferung mit dem Zug sinnvoll sein könnte – überall dort, wo viele Läden nahe beieinander liegen.»
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