Auf der Suche nach den Bäumen der Zukunft

Was heute kleine Setzlinge sind, könnte in 50 Jahren das Gesicht unserer Wälder prägen. Auf Testflächen in der ganzen Schweiz wird erforscht, welche Baumarten den Klimawandel überstehen – und was das über die Zukunft des Schweizer Waldes verrät. Ein Augenschein vor Ort.
Zuletzt aktualisiert am 17. November 2025
von Ann Schärer
5 Minuten Lesedauer
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Kathrin Streit ist froh, dass die 55’000 Setzlinge jetzt alle den Weg in den Waldboden gefunden haben. (asc)

Ein kühler Herbstmorgen im bernischen Neuenegg. Zwischen Nebelschwaden leuchten die goldenen Lärchen und rötlichen Ahorne, Brombeerranken hängen über den schmalen Pfad. «Hier ist Parzelle Nummer 129», sagt Dr. Kathrin Streit und öffnet mit einem Schlüssel die umzäunte Fläche. Die Forstwissenschaftlerin der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf betreut eines der grössten Waldforschungsprojekte der Schweiz: Testpflanzungen zukunftsfähiger Baumarten.

Die Fläche Nummer 129 gehört der Burgergemeinde Bern. Neuenegg ist eine von 56 Testparzellen, die über die ganze Schweiz verteilt sind – von den Niederungen bis in die Alpen. So kann das Wachstum von Baumarten in allen Höhenlagen untersucht werden. Sechs dieser Testflächen sind besonders gross, hier wachsen alle 18 Baumarten des Versuchs.

Die ersten Setzlinge kamen im Herbst 2020 in den Boden, weitere folgten bis Frühjahr 2023. Insgesamt über alle Testflächen verteilt 55’000 Bäumchen – winzige Hoffnungsträger für die Wälder der Zukunft.

Kathrin Streit bleibt vor einer Gruppe junger Douglasien stehen. «Diese hier haben sich gut entwickelt», sagt sie und prüft die Nadeln. Andere Arten hatten weniger Glück: Besonders die Baumhasel zeigt viele Ausfälle, der Bergahorn dagegen trotzt Trockenheit und Kälte erstaunlich gut. Jedes Jahr messen die Forschenden sorgfältig nach – sie untersuchen, ob sie Frassspuren aufweisen, ob ihr Mitteltrieb abgestorben ist und, ob die Pflanzen überhaupt noch leben. «Die Datenmenge ist riesig und damit dauert eine vollständige Inventur Monate», seufzt Kathrin Streit. «Aber sie ist entscheidend, um verlässliche Aussagen zu treffen», ergänzt sie.

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Eine solarbetriebene Wetterstation ermöglicht dem Forschungsteam Rückschlüsse auf den Einfluss der Witterung. (asc)

Genetische Wurzeln – die Bedeutung der Provenienz

Pro Baumart wurden Setzlinge von sieben Saatgutherkünften gepflanzt. Denn Bäume derselben Art können sich stark unterscheiden, je nachdem, aus welcher Region sie stammen. Eine Fichte aus dem trockenen Wallis könnte widerstandsfähiger gegen Hitze sein als eine Fichte aus dem feuchten Berner Seeland. Diese genetischen Unterschiede könnten darüber entscheiden, welche Baumarten den Klimawandel überstehen.

Das Ziel des Projekts ist ambitioniert: Empfehlungen für Baumarten, die künftig an unterschiedlichen Schweizer Standorten gedeihen können. Damit sollen Försterinnen und Förster wissen, welche Arten auch in 30 oder 50 Jahren stabile Wälder bilden – und so die natürliche Baumwanderung unterstützen. Mit «Baumwanderung» meinen Forschende die natürliche Ausbreitung von Baumarten, die auf den Klimawandel reagieren.

Baumartenset im Projekt

Kernset – 9 Arten

  • Weisstanne
  • Bergahorn
  • Buche
  • Lärche
  • Fichte
  • Föhre
  • Douglasie
  • Traubeneiche
  • Winterlinde

Ergänzungsset – 9 Arten

  • Schneeballblättriger Ahorn
  • Spitzahorn
  • Atlaszeder
  • Baumhasel
  • Nussbaum
  • Kirschbaum
  • Zerreiche
  • Stieleiche
  • Elsbeere

Wenn es wärmer wird, gedeihen manche Arten an ihren bisherigen Standorten nicht mehr so gut. Sie verlagern ihr Verbreitungsgebiet, indem sich ihre Samen mit Wind, Tieren oder Wasser weiter nach oben in die Berge oder nach Norden ausbreiten – dorthin, wo die Bedingungen günstiger sind.

Neben Douglasien wachsen hier im Forst von Neuenegg Tannen, Linden, Eichen, Fichten, Lärchen und Ahorne. Manche Arten kämpfen, andere überraschen mit Robustheit. «Wir ersetzen ab jetzt keine Bäume mehr», erklärt Kathrin Streit. «Wenn einer eingeht, bleibt das so – das zeigt, wie stark das Mortalität und Wachstum vom Standort abhängen», erläutert sie weiter. So wird sichtbar, welche Baumarten sich behaupten können – und welche nicht.

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Wenn die Eiche Licht sucht

Ein paar Schritte weiter stehen junge Eichen, kaum mannshoch. «Die Eiche liebt Wärme und Licht», sagt Kathrin Streit. «Aber Rehe lieben junge Eichen und sie werden oft verbissen», ergänzt die Forstwissenschaftlerin. Die Flaumeiche könnte sich auch in einem wärmeren und trockeneren Klima behaupten als die Traubeneiche. Trotzdem fehlt die Flaumeiche im Projekt – zu kleinwüchsig und zu uninteressant für die Holzproduktion.

Ganz anders die Fichte: Lange das Rückgrat der Schweizer Holzindustrie, wächst sie schnell und braucht wenig Licht. Doch Trockenheit, Pilze und der Borkenkäfer setzen ihr zu. «Vor allem in tieferen Lagen hat sie es schwer», erklärt Kathrin Streit. Wer in Zukunft ihren Platz einnehmen wird, ist offen. Die Douglasie wächst rasch und gilt als Hoffnungsträger – auch wenn sie ursprünglich aus Nordamerika stammt. «Zum Glück ist sie nicht invasiv», sagt Kathrin Streit, «aber in ihrer Heimat hat sie grosse Gesundheitsprobleme.»

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Der schnellwüchsige Spitzahorn zeigt sich in seinen schönen Herbstfarben. (asc)

Ein Netzwerk für den Wald von morgen

Das Projekt ist auf Jahrzehnte angelegt – 30 bis 50 Jahre sollen die Testflächen beobachtet werden. Erst die sogenannte «Anwuchsphase» ist bisher abgeschlossen. Langfristige Aussagen sind schwierig, weil sich viele Baumarten im Laufe ihres Lebens verändern: Was als junger Baum trockenheitsempfindlich ist, kann als ausgewachsener Baum erstaunlich robust werden, oder umgekehrt. Doch eines zeigt sich schon jetzt: Bäume sind anpassungsfähiger, als man denkt. Ihre genetische Vielfalt verleiht ihnen ein erstaunliches Anpassungspotenzial, das im Erbgut gespeichert ist.

Über 200 Personen aus Bund, Kantonen, Forschung und Praxis sind beteiligt. «Das ist die Stärke des Projekts», betont Kathrin Streit. «Wir können unsere Erkenntnisse direkt mit der Praxis teilen, und umgekehrt entstehen daraus neue Fragestellungen», so die Forstwissenschaftlerin weiter. Manche Unterprojekte wachsen aus dem grossen Netzwerk heraus, etwa zur Vielfalt im Boden oder zum Schädlingsdruck.

Als die Sonne tiefer sinkt, glitzert das Licht auf den feinen Nadeln der Douglasien. Zwischen Brombeerranken und buntem Laub wird sichtbar, worum es hier geht: Den Wald von morgen verstehen – heute.

 

Mehr Informationen zum Projekt: Testpflanzungen zukunftsfähiger Baumarten

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Vier Fragen an Prof. Jean-Jacques Thormann, Dozent für Forstwirtschaft an der BFH-HAFL

Wie wird sich unser Wald in den nächsten 30 bis 50 Jahren verändern?
Das ist schwer vorherzusagen. Sicher ist: Es wird trockener und wärmer, Stürme und Dürreperioden nehmen zu. Das trifft vor allem Nadelbäume wie die Fichte. Wir werden deshalb wieder mehr Laubwälder sehen. Und die Baumarten wandern nach oben – sie weichen der Hitze aus.

Welche Baumarten haben heute die besten Zukunftschancen?
Die Fichte, lange der «Brotbaum» der Schweiz, wird im Mittelland vielerorts verschwinden. Stattdessen setzen wir auf Arten wie die Douglasie oder verschiedene Laubbäume, etwa Eichen oder Ahorne. Doch die Holzindustrie bevorzugt Nadelholz – hier braucht es ein Umdenken.

Gibt es den einen «Baum der Zukunft»?
Nein, den gibt es nicht. Jede Art hat Stärken und Schwächen. Die Douglasie wächst gut, leidet aber ebenfalls unter Trockenheit, wenn sie zu stark wird. Die Traubeneiche ist vielversprechend, braucht aber viel Licht und Raum. Vielfalt ist deshalb unsere beste Strategie.

Was muss heute geschehen, damit die Wälder morgen stabil bleiben?
Wir müssen die Wälder aktiv umbauen – mit passenden Baumarten und Rücksicht auf die Böden. Schotterböden trocknen etwa schneller aus als Lehmböden. Wichtig sind vorausschauende Eingriffe und eine langfristige Perspektive. Nur so bleibt der Wald widerstandsfähig und wir mit ihm.