
Evolène: ein Jahr nach den Überschwemmungen
Zweimal innerhalb weniger Tage wurde Ende Juni 2024 die Walliser Gemeinde Evolène von sintflutartigen Regenfällen get...
Hochwasser wird in bäuerlichen Kreisen sehr ernst genommen – nicht nur wegen der Schäden an Kulturen und Land, die kaum versicherbar sind, sondern auch wegen der Folgen von Hochwasserschutzmassnahmen, die nicht immer landwirtschaftsfreundlich sind. Hochwasserschutz, ob in Form von Bauwerken oder Renaturierungen, wird vielfach auf Landwirtschaftsland realisiert, was zu Landverlust oder Nutzungseinschränkungen führt. Mitunter müssen sogar Betriebszentren verlegt werden.
Zwar zählen Überschwemmungen zu den versicherbaren Elementarereignissen, doch Kulturen und Landwirtschaftsland sind generell schlecht zu schützen. Die Hagelversicherung deckt gewisse Kulturen, Wiederherstellungskosten für Kulturland werden teilweise übernommen. Bei grossflächigen Unwetterschäden leisten auch Bund, Kantone oder die Stiftung Fondssuisse Beiträge zur Wiederherstellung.
Strassen, Wege, Brücken, Stützmauern, Zäune, Leitungen, Kulturen, Wälder und landwirtschaftliche Nutzflächen können bei Hochwasserereignissen beträchtlichen Schaden erleiden. Gleichzeitig kann Hochwasserschutz aber auch neue Probleme schaffen. Kulturland entlang von Gewässern könne für landwirtschaftliche Betriebe Nachteile mit sich bringen, heisst es bei Agriexpert. Öffentliche Schutzmassnahmen führen oft zu Landabtretungen und Landnutzungseinschränkungen – die Frage nach der Entschädigung ist komplex: Wie viel ist das betroffene Land wert? Wie gross ist der Ertragsausfall?
Ruedi Streit, Fachverantwortlicher Umwelt und Entschädigung bei Agriexpert, präzisiert anhand von Beispielen die Nachteile, die bei Kulturland entlang von Gewässern für die Eigentümer entstehen können. «Bei natürlichen Vorgängen wie Erosion gibt es keine Entschädigung, bei baulichen Massnahmen hingegen schon», sagt der Experte. Das könnten bauliche Massnahmen sein, die zu grösseren Nachteilen führten als natürliche Vorgänge. So könne ein oberhalb gebautes Drosselbauwerk zu Überschwemmungen führen – die einen verlieren, damit andere profitieren.
Das Wasserbaugesetz in der Schweiz verpflichtet in erster Linie die Kantone, Hochwasserschutz sicherzustellen – entweder durch den Unterhalt der Gewässer oder durch raumplanerische Massnahmen. Erst wenn dies nicht ausreichen sollte, müssten Massnahmen getroffen werden wie Verbauungen, Eindämmungen, Korrektionen, Geschiebe- und Hochwasserrückhalteanlagen und dergleichen mehr. «Verschiedentlich werfen an Gewässer angrenzende Landwirtinnen und Landwirte der Öffentlichkeit vor, dass mit genügendem Unterhalt weitere Hochwasserschutzmassnahmen gar nicht nötig wären und zusätzlicher Landverbrauch vermieden werden könnte», sagt Ruedi Streit.
Er plädiert dafür, Renaturierungen nicht automatisch mit Hochwasserschutz zu verknüpfen. «Allerdings werden die gesetzlichen Bestimmungen aktuell so umgesetzt, dass ausserhalb des Siedlungsgebietes Hochwasserschutz ohne Renaturierung scheinbar nicht mehr möglich ist», erklärt er weiter. Sicher hänge das auch damit zusammen, dass Landwirtschaftsland weniger Wert aufweise als eine Bauzone.
Laut Ruedi Streit werden betroffene Grundeigentümer häufig erst spät über Projekte informiert – und oft unter dem Vorwand, es gebe nur eine Variante. Dabei seien meist verschiedene Umsetzungsoptionen denkbar. «Bei diesen Variantenbeurteilungen stellen wir fest, dass die Interessen der betroffenen Landwirtschaftsbetriebe und der Eigentümer von landwirtschaftlichen Grundstücken oftmals, wenn überhaupt, wenig gewichtet werden», sagt Ruedi Streit. Wünschenswert wäre es aber, dass die Interessen der betroffenen Grundeigentümer in der Projektbearbeitung frühzeitig aufgenommen und bei der Variantenbeurteilung abgewogen würden.
Ob dann bei der Umsetzung Entschädigungen einvernehmlich gelöst werden können, hängt wiederum stark vom Vorgehen ab. «Sofern ein betroffener Grundeigentümer als Entschädigungsanspruch die Zuteilung von Ersatzland hat, ist oft eine einvernehmliche Lösung nicht möglich», sagt Ruedi Streit. Bei einer finanziellen Entschädigung könne jedoch eine einvernehmliche Lösung erreicht werden. Fachpersonen könnten durch Besichtigung vor Ort und Besprechung mit den Betroffenen eine solche Lösung erreichen.
Ersatzlandlösungen sind also schwierig, finanzielle Entschädigungen hingegen eher machbar – sofern die Projektverantwortlichen bereit sind, über pauschale Beträge hinauszudenken. Sei beispielsweise zusätzlich zum Bodenwert noch ein Minderwert auf dem Restgrundstück und seien allenfalls noch weitere Inkonvenienzen zu beurteilen, fehle es den Projektverantwortlichen häufig an Fachkenntnis, um solche Auswirkungen beurteilen zu können. «Solche Ansprüche müssen dann die Gerichte entscheiden», sagt der Experte.
Am 1. Juni 2025 tritt eine Teilrevision des Wasserbaugesetzes in Kraft, welche das «Integrale Risikomanagement von Naturgefahren» gesetzlich verankert. Damit erfolgt eine Anpassung an die neuen Herausforderungen des Hochwasserschutzes. Mit den gesetzlichen Anpassungen und den damit verbundenen planerischen, organisatorischen, biologischen und technischen Massnahmen ist die Landwirtschaft erhebliche betroffen.
Der Bauernverband begrüsst den risikobasierten Ansatz grundsätzlich, warnt aber vor Nachteilen für die Praxis: «Ein vollständiger Schutz vor Unwetter und Hochwasserereignissen ist aufgrund der zunehmenden Vorkommnisse kaum mehr umsetzbar und führt zu falsch gewähnten Sicherheiten», liess sich der Schweizer Bauernverband SBV bei der Vernehmlassung zur Teilrevision vernehmen.
Landwirtschaft müsse auch in Risikogebieten möglich bleiben, ohne dass Betriebe benachteiligt oder verlegt werden. Kritik gab es auch an der mangelhaften Information betroffener Betriebe: Es passiere des Öftern, dass die betroffenen Grundeigentümer und Bewirtschafter über die Konsequenzen von Hochwasserschutzprojekten von Bund und Kantonen nicht frühzeitig informiert würden. «Diese Vorgehensweise ist inakzeptabel und führt zu grossem Frust bei den betroffenen Bauernfamilien, deren Existenz am Kulturland hängt», hiess es in der Vernehmlassung weiter.
«Aus unserer Sicht leben die Landwirte mit natürlichen Gefahren und haben sich seit Generationen entsprechend angepasst, in der Landnutzung und bei den Gebäudestandorten», sagt Lisa Casarico, Fachmitarbeiterin Umwelt und Ressourcen beim SBV. Doch zunehmende Ereignisse gefährdeten Gebäude und Flächen – Schutzmassnahmen müssten daher nicht einseitig auf Kosten der Landwirtschaft erfolgen. «Bei den Naturgefahren ist Hochwasser nur ein Teil davon – Lawinen, Rutschungen, Steinschlag und weitere Ereignisse gehören dazu», ergänzt Lisa Casarico.
Das «Integrale Risikomanagement» solle zwar verschiedene Interessen abwägen – doch: «Oft werden die Interessen der Landwirtschaftsbetriebe und der Eigentümer von landwirtschaftlichen Grundstücken zu wenig berücksichtigt und finanzielle Interessen hingegen zu stark gewichtet», so Lisa Casarico.
Hochwasser und Überschwemmungen sind in der Landwirtschaft gefürchtete Naturgefahren. Sie verbreiten massive Schäden an Gebäuden, die dem Vernehmen nach nur schlecht oder gar nicht versicherbar sind. Laut Hugo Wyler, stellvertretender Leiter Fachbereich Kommunikation und Sprachdienste beim Bundesamt für Landwirtschaft, deckt die Hagelversicherung aber viele Naturgefahren ab – ein Handlungsbedarf sei derzeit nicht erkennbar.
Zudem unterstütze das Bundesamt für Landwirtschaft mit Strukturverbesserungsbeiträgen die Wiederherstellung beschädigter Infrastrukturen und Kulturland, sofern ein landwirtschaftliches Interesse gegeben ist.
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