Unsichtbar, aber unverzichtbar: Wie Normen die Landwirtschaft sicherer machen

Ob beim Melken, im Stall oder auf dem Feld – Normen sorgen in der Landwirtschaft im Hintergrund dafür, dass Prozesse sicher, effizient und nachvollziehbar ablaufen. Oft unbemerkt, aber allgegenwärtig.
Zuletzt aktualisiert am 8. August 2025
von Renate Hodel
5 Minuten Lesedauer
2021 Landtechnik Lid

Normen sind in der Landwirtschaft überall: Zwar sieht sie niemand, aber ohne sie würde vieles nicht reibungslos funktionieren – oder gar gefährlich werden. Milch, die hygienisch einwandfrei in der Glasflasche landet. Kühlketten, die eingehalten werden. Landwirtschaftliche Maschinen, die nicht nur leistungsstark, sondern auch sicher sind. All das funktioniert nur, weil technische Normen im Hintergrund präzise Vorgaben machen. «Normen sind detaillierte technische Spezifikationen und Best Practices, die auf dem Fachwissen von Experten basieren», erklärt Barbara Guder von der Schweizerischen Normen-Vereinigung (SNV). Die Organisation koordiniert die Normungsarbeit in der Schweiz und vertritt nationale Interessen auch auf europäischer und internationaler Ebene.

Wenn Sicherheit unsichtbar wirkt

Besonders wichtig ist die Norm SN EN ISO 4254-1, die grundlegende Anforderungen an Landmaschinen regelt. «Diese Norm umfasst alles – vom Arbeitsplatz auf der Maschine über Stellteile, Schwingungen und Geräusche bis hin zu klappbaren Bauteilen oder Festigkeitsanforderungen», erklärt Sicherheitsberater Reto Häusermann von der Stiftung agriss. Oft verweisen andere Normen auf diese zentrale Sicherheitsnorm, die laut ihm massgeblich dazu beigetragen hat, die Zahl schwerer Unfälle in der Landwirtschaft zu reduzieren.

Das zeigt Wirkung: «Seit 1996 konnten die tödlichen Unfälle in der Landwirtschaft fast halbiert werden», so Reto Häusermann. Ganz verschwinden lassen sich die Risiken jedoch nicht. «Wir kommen kaum unter 20 Todesfälle pro Jahr – da braucht es weiterhin Anstrengungen», erklärt er weiter. Auf 1’000 Vollzeitstellen zählte die Landwirtschaft gesamthaft 113 Unfälle – und war damit im Vergleich zu anderen Branchen eher vorne mit dabei.

Stiftung agriss

Die Stiftung agriss kontrolliert Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz auf landwirtschaftlichen Betrieben mit familienfremden Angestellten sowie die Anforderungen des Kinder- und Jugendschutzes. Sie führt zudem die Marktüberwachung über die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen bei Land- und Gartenbaumaschinen durch.

Normen im Stall und auf dem Feld

Viele dieser Sicherheitsstandards greifen, ohne dass Landwirtinnen und Landwirte sie aktiv kennen müssen. Sie gelten beispielsweise für Hersteller und Importeure von Maschinen. Doch wenn etwa ältere Traktoren nachgerüstet werden, müssen Betriebe auf normgerechte Sicherheitsbauteile achten – etwa beim Überrollschutz oder dem Sicherheitsgurt.

Ein aktuelles Beispiel ist die Überarbeitung der Norm zum Sichtfeld von Erntemaschinen. «Dank moderner Kamerasysteme könnte man heute fordern, dass das Sichtfeld nach hinten und zur Seite zum Standard wird – nicht optional», sagt Reto Häusermann. Auch bei Frontladern besteht Handlungsbedarf, um gefährliche Unfälle mit herunterfallenden Lasten zu vermeiden.

Normen betreffen aber längst nicht nur Maschinen oder Arbeitsschutz. Auch beim Etikett auf der selbstgemachten Salatsauce im Hofladen oder bei der Lagerung von Fleisch und Milchprodukten kommen sie ins Spiel – sei es zur Rückverfolgbarkeit der Herkunft, zur Lebensmittelsicherheit oder zur genauen Temperaturüberwachung. «Normen spielen eine zentrale Rolle bei der Qualitätssicherung, da sie einheitliche Anforderungen, Verfahren und Begriffe festlegen, die für Produkte, Dienstleistungen und Prozesse gelten», erklärt Barbara Guder von der SNV. Das helfe Unternehmen, konsistente Qualität zu liefern und Missverständnisse zu vermeiden. Die Einhaltung von internationalen (ISO) und europäischen (EN) Normen, vereinfache ausserdem den Zugang zu internationalen Märkten und baue Handelshemmnisse ab.

Zwischen Komplexität und Sicherheit

Mit dem Aufkommen digitaler Technologien halten Normen auch Einzug in neue Bereiche wie «Smart Farming». Dabei geht es um digitale Anwendungen, etwa Sensorik, GPS-gesteuerte Maschinen oder den Einsatz von Drohnen, um Düngemittel gezielter einzusetzen. «Gerade in der digitalen Landwirtschaft braucht es klare Standards, damit verschiedene Systeme miteinander kommunizieren können und Prozesse effizienter werden», so Barbara Guder.

Aber Normen machen gerade den Maschinenbau und -umbau auch komplexer – gerade für kleinere Betriebe kann das eine grosse Herausforderung sein. Und: Normen können auch Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion haben. Genau hier sieht Reto Häusermann ein Spannungsfeld: «Der technische Fortschritt hat Maschinen schwerer gemacht – das widerspricht zum Teil dem Ziel der Bodenschonung.» Gleichzeitig bieten Assistenzsysteme beispielsweise beim Mähdrescher aber auch neue Chancen und eben mehr Sicherheit.

Schweizerische Normen-Vereinigung (SNV)

Die Schweizerische Normen-Vereinigung (SNV) gewährleistet als Informationsdrehscheibe und Kompetenzzentrum den Zugang zu nationalen und internationalen Normen. Sie ermöglicht und fördert die Erarbeitung und Harmonisierung neuer Normen durch die aktive Einflussnahme ihrer Mitglieder als Expertinnen und Experten in nationalen und internationalen Normengremien.

Insgesamt verwaltet die SNV ein Schweizer Normenwerk von zirka 27’000 Normen, welches eine Vielzahl von Themenbereichen umfasst.

Von der Praxis für die Praxis

Entwickelt werden Normen von Komitees, in denen Fachpersonen aus Praxis, Industrie, Forschung und Behörden mitarbeiten. «Anerkannte Normen sind das Ergebnis freiwilliger Zusammenarbeit – von der Praxis für die Praxis», betont Barbara Guder.

So bringt sich auch die Stiftung agriss aktiv ein – etwa bei der Norm EN 609, die Holzspaltmaschinen betrifft. «Man hat europaweit Spaltmaschinen angeschaut, entsprechende Spezifikationen festgelegt und konnte dadurch das Sicherheitsniveau massiv erhöhen», erklärt Reto Häusermann.

So sollen Normen auch in der Landwirtschaft zur Qualitätssicherung beitragen, den Marktzugang vereinfachen und Risiken senken.