
«Hier wächst Ihr Brot»
Im Talkessel Schwyz baut Biobauer Michael Reichmuth für die Bäckerei Chilestägli in Arth Urdinkel an. Es war die Idee...
Vor rund zehn Jahren hat sich Beat Dietrich entschieden, etwas Neues auszuprobieren. «Ich hatte Lust, mal etwas anderes anzubauen als die üblichen Kulturen», erzählt der Landwirt, während er über eines seiner Felder in Gals im Berner Seeland blickt. Die Wahl fiel auf Essiggurken. Da vor etwa zehn Jahren ein Produzentenmangel herrschte und das Abfüllunternehmen Hugo Reitzel in Aigle im Kanton Waadt Gurkenproduzenten und -produzentinnen suchte, eine gute Entscheidung.
Heute liefert Beat Dietrich rund 45 Tonnen Cornichons und Essiggurken pro Jahr nach Aigle – und ist damit einer der wenigen Produzenten im Land. Der Unterschied zwischen Cornichons und Essiggurken liegt lediglich in der Grösse und im unterschiedlichen Essigsud bei der Abfüllung ins Glas.
Dabei ist der Wettbewerb für Schweizer Gurkenbauern alles andere als einfach. In viele Köpfen ist die Marke Chirat noch immer fest verankert, doch werden diese Produkte längst nicht mehr in der Schweiz abgefüllt – sondern in der Türkei. Die Reitzel-Gruppe ist der letzte verbliebene Verarbeiter, der Schweizer Gurken auch tatsächlich im Inland ins Glas bringt.
Der Gurkenanbau ist nichts für Romantiker. Nicht nur das Wetter muss mitspielen, auch die Vorgaben des Abnehmers sind präzise. Menge und Kaliber – also die Grösse der Gurken – sind vertraglich festgelegt. «Essiggurken dürfen maximal zwölf Zentimeter lang sein, sonst passen zu wenige ins Glas», erklärt Beat Dietrich. Niemand möchte nur drei Essiggurken im Glas. Besonders herausfordernd: An heissen Sommertagen kann sich das Volumen einer Gurke innerhalb von 24 Stunden verdreifachen. Wer zu spät erntet, produziert Ausschuss. Cornichons dürfen sogar nur drei bis maximal sechs Zentimeter lang sein.
Die Erntezeit beginnt in der Regel Mitte Juli. Dieses Jahr konnte Beat Dietrich bereits am 7. Juli loslegen. Dann wird täglich gepflückt – nur sonntags gönnt sich das Team eine Pause. Auf insgesamt einem Hektar baut er Gurken an. Das Feld ist in drei Sektoren unterteilt, die im Wechsel abgeerntet werden.
Die Arbeit ist intensiv: 14 Erntehelferinnen und -helfer, von denen die grosse Mehrheit aus Polen stammt, sind während der Hochsaison im Einsatz – manchmal sogar mehr. Sieben davon arbeiten ausschliesslich für ihn, die anderen arbeiten eigentlich auf einem Erdbeerbetrieb, helfen aber auch bei den Gurken aus. Früher war bei ihm ein sogenannter Flieger im Einsatz: Eine liegende Erntehilfe, bei der mehrere Personen seitlich unter dem Traktor liegend pflücken. «Aber die Leute hatten durch die liegende Position oft Nackenprobleme», sagt Beat Dietrich, «also haben wir wieder auf Ernte ‹zu Fuss› umgestellt.» Die Ernte sei so zwar ebenfalls sehr anstrengend, aber für viele Mitarbeitende angenehmer.
Die Gurkenpflanze ist nicht nur schnellwachsend, sondern auch sensibel. Die Pflanzenkrankheit Falscher Mehltau kann ganze Felder ruinieren – besonders in feuchten, kühlen Sommern. Schädlinge wie Blattläuse oder Milben sind ebenfalls ständige Begleiter. Oder auch Thripse, winzig kleine Insekten, meist nur ein bis zwei Millimeter gross, aber dennoch grossen Schaden anrichten: Sie stechen die Zellen an der Blattoberfläche an und saugen sie aus – das führt zu silbrigen Flecken und schwächeren Pflanzen.
Beat Dietrich hat im Kampf gegen die kleinen Plagegeister gute Erfahrungen mit Blühstreifen rund um seine Felder gemacht: «Dort siedeln sich Nützlinge an, welche die Schädlinge in Schach halten.» Nur in seltenen Fällen muss er Insektizide einsetzen. Denn die Pflanzenschutzmittel töten oft nicht nur die Schädlinge – sondern auch wichtige Nützlinge und Bodenbakterien.
Gegen Trockenheit hilft eine fix installierte Tropfbewässerung, die durch eine Mulchfolie zwischen einzelnen Gurkenpflanzen hervorschaut. Und wenn die Gurken doch mal zu gross geraten? «Dann kommen meine Kühe in den Genuss dieses Leckerbissens», sagt Beat Dietrich. «Einige von ihnen mögen das sehr – andere schauen sie nicht mal an», sagt er lachend. Und wenn die überdimensionierten Gurken doch bis zu Hugo Reitzel gelangen, werden sie dort über die App «Too Good To Go» günstig verkauft. Im Sommer 2024 konnten so 15 Tonnen Gurken gerettet werden.
Die geernteten Gurken werden dreimal pro Woche in grossen Paloxen abgeholt und am nächsten Tag in Aigle verarbeitet. Von der Ernte bis zum fertigen Glas vergeht meist kaum mehr als ein Tag. Das Saatgut stammt aus Holland, angebaut wird nach den IP-Richtlinien. Bio-Gurken gibt es zwar auch – doch der Absatz stockt. «Die sind den meisten Konsumentinnen und Konsumenten einfach zu teuer», so Beat Dietrich.
Auch in Zukunft wird die Schweizer Essiggurke wohl eher ein Nischenprodukt bleiben. Umso wichtiger ist die Bündelung der Interessen der Produzentinnen und Produzenten. Deshalb ist Beat Dietrich Mitglied der IG Essiggurke. Dort können sich Produzentinnen und Produzenten untereinander austauschen.
Das hilft auch in schweren Zeiten. Wie beispielsweise 2022 als statt der erwarteten 1’000 Tonnen schweizweit nur 600 Tonnen verkauft wurden. Viele Produzentinnen und Produzenten gaben daraufhin auf. Inzwischen sei die Nachfrage aber wieder stabil – Cornichons seien aktuell sogar ausverkauft, berichtet Beat Dietrich.
Herr Litscher, wie viele Mitglieder zählt die Interessengemeinschaft aktuell?
Aktuell gehören der IG Essiggurke zwölf aktive Produzenten an. Grundsätzlich kann jede und jeder, der Gurken anbaut bei uns Mitglied werden. Momentan stammen alle Mitglieder aus der Deutschschweiz – Landwirte aus der Westschweiz haben bislang noch kein Interesse an einem Beitritt gezeigt.
Mit welchen Herausforderungen haben Schweizer Gurkenbauern derzeit zu kämpfen?
Wie in vielen anderen Bereichen der Landwirtschaft beschäftigen uns Wetterextreme, steigende Produktionskosten und der Preisdruck. Ein wiederkehrendes Thema sind zu grosse Gurken – mit etwas Erfahrung, der richtigen Pflücktechnik und einem eingespielten Ernteteam lässt sich das aber in den Griff bekommen. Eine weitere Herausforderung ist die Rekrutierung von Saisonarbeitskräften: Es wird zunehmend schwieriger, Personal für diese anspruchsvolle Arbeit zu finden. Hinzu kam in den letzten Jahren eine Mengenkürzung: 2022 produzierten wir deutlich mehr Gurken, als der Markt aufnehmen konnte. In der Folge mussten die Anbauflächen stark reduziert werden. Inzwischen hat sich die Lage stabilisiert, und wir hoffen auf eine ausgeglichenere Zukunft.
Wie gross ist der Schweizer Markt für Essiggurken – und gibt es noch Wachstumspotenzial?
Der Gesamtverbrauch an Essiggurken und Cornichons liegt in der Schweiz bei rund 7’500 Tonnen jährlich. Davon stammen etwa 750 Tonnen aus Schweizer Produktion – also nur rund zehn Prozent. Potenzial wäre also vorhanden. Die grösste Hürde ist der freie Import: Essigkonserven dürfen ganzjährig nahezu zollfrei in die Schweiz eingeführt werden. Das stellt uns in direkte Konkurrenz zu günstigeren Produkten aus dem Ausland. Eine Zeitlang gab es nur noch sehr wenige Produzenten hierzulande. Erst als die Firma Reitzel 2017 neue Produzenten suchte und aufbaute, belebte sich der Anbau wieder.
Wie nachhaltig ist die Schweizer Essiggurkenproduktion?
Ich halte sie für sehr nachhaltig – wie grundsätzlich die meisten landwirtschaftlichen Produkte aus der Schweiz. Die Transportwege sind kurz, und wir unterliegen strengen Auflagen bezüglich Pflanzenschutz und Düngung. Das macht die Produktion zwar anspruchsvoller, ist aber im Sinne der Umwelt und Qualität absolut richtig.
Wo sehen Sie die Schweizer Essiggurke in zehn Jahren?
Ich erwarte keine dramatischen Wachstumsschübe, aber wer weiss – die Zukunft kann immer Überraschungen bereithalten. Mein Ziel ist es, die aktuelle Anbaufläche zumindest zu halten und im Idealfall weiter auszubauen. Die Nachfrage nach regional produzierten Lebensmitteln wächst – das stimmt uns optimistisch.
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