Gentech auf Bewährung: Schweiz ringt um neue Regeln

Die Schweiz verlängerte im Frühling ihr Gentechmoratorium bis 2030 – doch der Druck wächst. Neue Züchtungstechnologien wie CRISPR versprechen klimafitte Pflanzen und weniger Pestizide. Ein neuer Gesetzesentwurf soll den Umgang damit regeln. Zwischen Innovationsschub und Vorsorgeprinzip stehen Politik, Forschung und Landwirtschaft vor einer Grundsatzentscheidung. Eine zwischenzeitliche Übersicht.
Zuletzt aktualisiert am 22. August 2025
von Renate Hodel
6 Minuten Lesedauer
Gentech Lid
Aktuell sind neue gentechnische Züchtungsverfahren in der Schweiz nur in der Forschung erlaubt. (lid)

Die Schweiz bleibt beim Thema Gentechnik auf der Bremse – zumindest vorerst. Das seit 2005 bestehende Gentechmoratorium, das den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen verbietet, wurde in diesem Jahr bis Ende 2030 verlängert. Gleichzeitig arbeitet der Bund an einem neuen Spezialgesetz, das den Einsatz sogenannter neuer Züchtungstechnologien – etwa der Genom-Editierung mit CRISPR – künftig regeln soll. Während Befürworter darin einen notwendigen Innovationsschub sehen, warnen Kritiker vor unkalkulierbaren Risiken.

Was ist das Gentechmoratorium?

Vor knapp 20 Jahren stimmte die Schweizer Bevölkerung für ein befristetes Verbot gentechnisch veränderter Pflanzen im kommerziellen Anbau. Ursprünglich für fünf Jahre gedacht, wurde das Moratorium seither mehrfach verlängert – nun bis Ende 2030.

Ziel ist es, Risiken für Umwelt, Biodiversität und Konsumentengesundheit zu vermeiden, solange keine langfristigen Erfahrungen vorliegen. Forschung bleibt erlaubt, allerdings unter strengen Auflagen – etwa in geschlossenen Systemen oder bei klar begrenzten Freisetzungsversuchen.

Neue Züchtungsmethoden – Hightech im Pflanzenbau

Unter den neuen gentechnischen Züchtungsmethoden versteht man Verfahren wie die Genomeditierung mit der Genschere CRISPR/Cas. Anders als bei klassischer Gentechnik wird dabei kein artfremdes Erbgut eingebaut. Stattdessen lassen sich gezielt einzelne Gene ausschalten oder verändern – ähnlich wie bei einer punktgenauen Mutation, wie sie auch in der Natur vorkommen könnte.

Befürworter sehen darin enormes Potential: Unter anderem klimafeste Sorten, die besser mit Trockenheit oder Hitze umgehen können oder Resistenz gegen Krankheiten wie Mehltau oder Kraut- und Knollenfäule sowie weniger Pflanzenschutzmittel, weil Pflanzen robuster sind.

Kritiker befürchten dagegen unklare Langzeitfolgen, rechtliche Grauzonen bei Patenten und den Verlust an Sortenvielfalt. Auch mögliche Auswirkungen auf Ökosysteme sind noch nicht abschliessend erforscht.

Das geplante neue Gesetz

Um diese neuen Methoden gesondert zu regeln, hat der Bundesrat den Entwurf für ein «Bundesgesetz über Pflanzen aus neuen Züchtungstechnologien» in die Vernehmlassung geschickt.

Das Ziel: ein risikobasiertes Zulassungsverfahren. Dabei sollen Pflanzen, die sich nicht von konventionell gezüchteten unterscheiden, schneller zugelassen werden können. Für Verfahren mit höheren Risiken sind hingegen umfassende Prüfungen vorgesehen.

Die Vernehmlassung lief bis zum 9. Juli 2025. Nun hat der Bundesrat den Auftrag, den Entwurf zu überarbeiten und danach dem Parlament vorzulegen.

So gehen die Meinungen zum «Bundesgesetz über Pflanzen aus neuen Züchtungstechnologien» auseinander

Hier einige Reaktionen, die im Rahmen der Vernehmlassung zum Entwurf des «Bundesgesetzes über Pflanzen aus neuen Züchtungstechnologien» eingegangen sind:

 

Befürworterinnen und Befürworter – mit Vorbehalten

Economiesuisse

  • Unterstützt die Idee, neue Züchtungstechnologien in einem eigenen Gesetz zu regeln, findet den vorliegenden Entwurf jedoch zu restriktiv.
  • Warnt vor Handelshemmnissen bei einer «Alleingang‑Regulierung» der Schweiz und plädiert für eine Harmonisierung mit der EU-Regulierung.

Scienceindustries – Wirtschaftsverband Chemie, Pharma, Life Sciences

  • Hält restriktive Vorschriften und Moratorien wissenschaftlich nicht gerechtfertigt.
  • Forderung: Pflanzen ohne transgenes Erbmaterial und mit herkömmlich möglichen Mutationen sollten über bestehende Sortenzulassungsverfahren zugelassen werden können.

Akademien der Wissenschaften Schweiz

  • Unterstützen den risikobasierten Regulierungsansatz, empfehlen aber eine produktorientierte statt prozessorientierte Herangehensweise.
  • Fordern mehr wissenschaftliche Fundierung, klare Rechtstexte und weniger administrative Komplexität – etwa eine Präzisierung oder Streichung des Mehrwertnachweises.

Schweizer Bauernverband

  • Der Schweizer Bauernverband befürwortet ein eigenes Gesetz für neue Züchtungstechnologien, um klar zwischen Verfahren mit und ohne transgenes Erbmaterial unterscheiden zu können. Er sieht im neuen Rahmen das Potenzial, aktuelle Herausforderungen – etwa durch Reduktion von Pflanzenschutzmitteln oder erhöhte Klimaanpassungsfähigkeit – besser zu bewältigen.
  • Gleichzeitig verlangt der Schweizer Bauernverband, dass solche Technologien einen klaren agronomischen, ökonomischen und ökologischen Mehrwert bieten und praxistauglich ausgestaltet sind. Die Wahlfreiheit soll durch Warenflusstrennung und Kennzeichnung gesichert bleiben. Eine Harmonisierung mit der EU wird als sinnvoll erachtet.

 

Kritikerinnen und Kritiker – teilweise fundamental ablehnend

Verein «Sorten für morgen»

  • Der Verein kritisiert die Vorlage als praxisfern und wissenschaftlich veraltet, da sie stark an das Gentechnikgesetz von 2003 angelehnt sei. Er fordert einen neuen Anlauf mit risikobasierter Gesetzgebung, die das Potential der Technologien nutzt und die Schweiz nicht zum internationalen Schlusslicht werden lässt.
  • Der Verein fordert daher die Vermeidung technischer Handelshemmnisse und Diskriminierung bei internationaler Anbindung, insbesondere zur EU und plädiert für die Förderung privater, branchenbasierter Lösungen zur Wahrung der Wahlfreiheit.

Kleinbauernvereinigung

  • Lehnt das «Bundesgesetzes über Pflanzen aus neuen Züchtungstechnologien» ab: Es führe dazu, das Gentechnikthema zu verharmlosen, und überschätze den Nutzen der Technologien.
  • Plädiert für die Integration der neuen gentechnischen Züchtungsmethoden in das bestehende Gentechnikgesetz und für Sicherung der gentechnikfreien Produktion als Qualitätsmerkmal sowie für die klare Wahlfreiheit und das Vorsorgeprinzip.

Schweizer Obstverband

  • Der Schweizer Obstverband spricht sich grundsätzlich für ein eigenes Gesetz für neue Züchtungstechnologien aus — allerdings stellt er sich gegen den vorliegenden Entwurf. Der Gesetzesentwurf verhindere Innovationspotential für die Obstproduktion verhindere und lehne sich zu stark an die veraltete Gentechnikregulierung von 2003 an.
  • Der vorliegende Gesetzesentwurf ignoriere den wissenschaftlichen Konsens, dass die neuen gentechnischen Züchtungsmethoden mindestens genauso sicher seien wie konventionelle Methoden und der Verband verlangt des Weiteren einen praxistauglicheren Ansatz.

Schweizer Allianz Gentechfrei

  • Lehnt den Gesetzesentwurf des Bundesrates entschieden ab und betont, dass auch die sogenannten «neuen Gentechnologien» weiterhin Gentechnik bleiben.
  • Die Schweizer Allianz Gentechfrei drängt darauf, das Vorsorgeprinzip verbindlich zu verankern, eine risikobasierte Zulassung sicherzustellen und eine umfassende Kennzeichnungspflicht entlang der gesamten Wertschöpfungskette einzuführen.

Fronten im politischen und gesellschaftlichen Streit

Befürworter – darunter viele bürgerliche Parteien, Forschungseinrichtungen und Teile der Lebensmittelindustrie – argumentieren, dass die Schweiz ohne neue Züchtungsmethoden an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Innovation sei nötig, um Erträge zu sichern und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren.

Gegner – vor allem Bio Suisse, Umweltorganisationen und gentechkritische Verbände – sehen im Gesetzesentwurf ein «Trojanisches Pferd» für die Einführung von Gentechnik durch die Hintertür. Sie warnen vor Risiken für die Umwelt und pochen auf das Vorsorgeprinzip.

Der Spagat zwischen Innovation und Vorsorge

Die nächsten Monate werden zeigen, wie der Gesetzesentwurf angepasst wird und wie gross der politische Wille zu einer Lockerung des Moratoriums tatsächlich ist. Sicher ist: Die Schweiz steht vor einer Grundsatzentscheidung.

Bleibt sie bei ihrem restriktiven Kurs, könnte sie im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten – öffnet sie sich, geht sie ein Stück weit ins Risiko. Die Balance zwischen wissenschaftlichem Fortschritt, wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftlicher Akzeptanz wird entscheidend sein.

Lebensmittelschutzinitiative

Auch die sogenannte Lebensmittelschutzinitiative widmet sich den neuen gentechnischen Züchtungsmethoden. Die Unterschriftensammlung zur eidgenössischen Volksinitiative «Für gentechnikfreie Lebensmittel» oder kurz Lebensmittelschutzinitiative hat im September 2024 begonnen und läuft noch bis März 2026.

Die Initiative wird von einem überparteilichen Komitee unterstützt, das sich aus Politikerinnen und Politikern der SP, EVP, Mitte, SVP und Grünen zusammensetzt. Die Trägerschaft der Lebensmittelschutzinitiative bildet der Verein für gentechnikfreie Lebensmittel. Zu den unterstützenden Organisationen zählen unter anderem die Kleinbauernvereinigung und Bio Suisse.

Laut der Webseite der Initiative soll die Schweiz vor den Risiken der Gentechnik geschützt werden. Die Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt seien unzureichend erforscht. Eine umfassende Risikoprüfung sei unerlässlich, denn auch die neuen Züchtungsverfahren seien Gentechnik. Der Begriff «neue Züchtungsverfahren» entspringe zudem der Gentechniklobby.

Die Initiative fordert eine Kennzeichnungspflicht entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Eine unkontrollierte Verbreitung gentechnisch veränderter Organismen durch die natürliche Bestäubung könne zu Verunreinigungen gentechnikfreier Felder führen. Die Freiheit der Bäuerinnen und Bauern, gentechnikfreien Anbau zu betreiben, müsse gewährleistet werden.

Neue Züchtungsverfahren würden zudem die Abhängigkeit von Grosskonzernen stärken, die daraus wiederum Profit schlagen würden. Landwirtinnen und Landwirte sollen nicht auf teureres Gentechniksaatgut angewiesen sein, da dieses im Anbau noch mehr Dünger und Pestizide benötige. Letztlich würden neue Züchtungsverfahren keinen erheblichen Beitrag zur Klimaanpassung und Ernährungssicherheit leisten.

In weniger als 12 Monaten seien bereits 90’000 Unterschriften für die Lebensmittelschutzinitiative gesammelt worden, heisst es in einer Medienmitteilung des Vereins für gentechnikfreie Lebensmittel am 19. August 2025. Der Verein plane die Einreichung der Volksinitiative noch vor Ende des Jahres.