
Ernährungsinitiative: Mehr Pflanzen, weniger Abhängigkeit?
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Die Schweiz bleibt beim Thema Gentechnik auf der Bremse – zumindest vorerst. Das seit 2005 bestehende Gentechmoratorium, das den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen verbietet, wurde in diesem Jahr bis Ende 2030 verlängert. Gleichzeitig arbeitet der Bund an einem neuen Spezialgesetz, das den Einsatz sogenannter neuer Züchtungstechnologien – etwa der Genom-Editierung mit CRISPR – künftig regeln soll. Während Befürworter darin einen notwendigen Innovationsschub sehen, warnen Kritiker vor unkalkulierbaren Risiken.
Vor knapp 20 Jahren stimmte die Schweizer Bevölkerung für ein befristetes Verbot gentechnisch veränderter Pflanzen im kommerziellen Anbau. Ursprünglich für fünf Jahre gedacht, wurde das Moratorium seither mehrfach verlängert – nun bis Ende 2030.
Ziel ist es, Risiken für Umwelt, Biodiversität und Konsumentengesundheit zu vermeiden, solange keine langfristigen Erfahrungen vorliegen. Forschung bleibt erlaubt, allerdings unter strengen Auflagen – etwa in geschlossenen Systemen oder bei klar begrenzten Freisetzungsversuchen.
Unter den neuen gentechnischen Züchtungsmethoden versteht man Verfahren wie die Genomeditierung mit der Genschere CRISPR/Cas. Anders als bei klassischer Gentechnik wird dabei kein artfremdes Erbgut eingebaut. Stattdessen lassen sich gezielt einzelne Gene ausschalten oder verändern – ähnlich wie bei einer punktgenauen Mutation, wie sie auch in der Natur vorkommen könnte.
Befürworter sehen darin enormes Potential: Unter anderem klimafeste Sorten, die besser mit Trockenheit oder Hitze umgehen können oder Resistenz gegen Krankheiten wie Mehltau oder Kraut- und Knollenfäule sowie weniger Pflanzenschutzmittel, weil Pflanzen robuster sind.
Kritiker befürchten dagegen unklare Langzeitfolgen, rechtliche Grauzonen bei Patenten und den Verlust an Sortenvielfalt. Auch mögliche Auswirkungen auf Ökosysteme sind noch nicht abschliessend erforscht.
Um diese neuen Methoden gesondert zu regeln, hat der Bundesrat den Entwurf für ein «Bundesgesetz über Pflanzen aus neuen Züchtungstechnologien» in die Vernehmlassung geschickt.
Das Ziel: ein risikobasiertes Zulassungsverfahren. Dabei sollen Pflanzen, die sich nicht von konventionell gezüchteten unterscheiden, schneller zugelassen werden können. Für Verfahren mit höheren Risiken sind hingegen umfassende Prüfungen vorgesehen.
Die Vernehmlassung lief bis zum 9. Juli 2025. Nun hat der Bundesrat den Auftrag, den Entwurf zu überarbeiten und danach dem Parlament vorzulegen.
Hier einige Reaktionen, die im Rahmen der Vernehmlassung zum Entwurf des «Bundesgesetzes über Pflanzen aus neuen Züchtungstechnologien» eingegangen sind:
Befürworterinnen und Befürworter – mit Vorbehalten
Scienceindustries – Wirtschaftsverband Chemie, Pharma, Life Sciences
Akademien der Wissenschaften Schweiz
Kritikerinnen und Kritiker – teilweise fundamental ablehnend
Befürworter – darunter viele bürgerliche Parteien, Forschungseinrichtungen und Teile der Lebensmittelindustrie – argumentieren, dass die Schweiz ohne neue Züchtungsmethoden an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Innovation sei nötig, um Erträge zu sichern und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren.
Gegner – vor allem Bio Suisse, Umweltorganisationen und gentechkritische Verbände – sehen im Gesetzesentwurf ein «Trojanisches Pferd» für die Einführung von Gentechnik durch die Hintertür. Sie warnen vor Risiken für die Umwelt und pochen auf das Vorsorgeprinzip.
Die nächsten Monate werden zeigen, wie der Gesetzesentwurf angepasst wird und wie gross der politische Wille zu einer Lockerung des Moratoriums tatsächlich ist. Sicher ist: Die Schweiz steht vor einer Grundsatzentscheidung.
Bleibt sie bei ihrem restriktiven Kurs, könnte sie im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten – öffnet sie sich, geht sie ein Stück weit ins Risiko. Die Balance zwischen wissenschaftlichem Fortschritt, wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftlicher Akzeptanz wird entscheidend sein.
Auch die sogenannte Lebensmittelschutzinitiative widmet sich den neuen gentechnischen Züchtungsmethoden. Die Unterschriftensammlung zur eidgenössischen Volksinitiative «Für gentechnikfreie Lebensmittel» oder kurz Lebensmittelschutzinitiative hat im September 2024 begonnen und läuft noch bis März 2026.
Die Initiative wird von einem überparteilichen Komitee unterstützt, das sich aus Politikerinnen und Politikern der SP, EVP, Mitte, SVP und Grünen zusammensetzt. Die Trägerschaft der Lebensmittelschutzinitiative bildet der Verein für gentechnikfreie Lebensmittel. Zu den unterstützenden Organisationen zählen unter anderem die Kleinbauernvereinigung und Bio Suisse.
Laut der Webseite der Initiative soll die Schweiz vor den Risiken der Gentechnik geschützt werden. Die Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt seien unzureichend erforscht. Eine umfassende Risikoprüfung sei unerlässlich, denn auch die neuen Züchtungsverfahren seien Gentechnik. Der Begriff «neue Züchtungsverfahren» entspringe zudem der Gentechniklobby.
Die Initiative fordert eine Kennzeichnungspflicht entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Eine unkontrollierte Verbreitung gentechnisch veränderter Organismen durch die natürliche Bestäubung könne zu Verunreinigungen gentechnikfreier Felder führen. Die Freiheit der Bäuerinnen und Bauern, gentechnikfreien Anbau zu betreiben, müsse gewährleistet werden.
Neue Züchtungsverfahren würden zudem die Abhängigkeit von Grosskonzernen stärken, die daraus wiederum Profit schlagen würden. Landwirtinnen und Landwirte sollen nicht auf teureres Gentechniksaatgut angewiesen sein, da dieses im Anbau noch mehr Dünger und Pestizide benötige. Letztlich würden neue Züchtungsverfahren keinen erheblichen Beitrag zur Klimaanpassung und Ernährungssicherheit leisten.
In weniger als 12 Monaten seien bereits 90’000 Unterschriften für die Lebensmittelschutzinitiative gesammelt worden, heisst es in einer Medienmitteilung des Vereins für gentechnikfreie Lebensmittel am 19. August 2025. Der Verein plane die Einreichung der Volksinitiative noch vor Ende des Jahres.
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