Arbeit im Umbruch: Vom Fachkräftemangel bis zur Hofnachfolge

Die Headhunterin und Mitte-Politikerin Christina Bachmann-Roth zeichnet ein klares Bild: Starre Lebensläufe gehören der Vergangenheit an. Der Strukturwandel trifft dabei nicht nur Handwerk und Pflege, sondern auch die Landwirtschaft – wo weniger, aber grössere Betriebe entstehen und die Nachfolgefrage drängt.
Zuletzt aktualisiert am 2. September 2025
von Jonas Ingold
4 Minuten Lesedauer
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Die Headhunterin und Mitte-Politikerin Christina Bachmann-Roth sprach in ihrem Referat am Agrarpolitik-Forum an der Hochschule HAFL in Zollikofen BE über die tiefgreifenden Veränderungen, die der Strukturwandel in der Arbeitswelt mit sich bringt.

Vom klaren Lebensweg zur Flexibilität

Früher seien die Menschen oft vom Beginn des Arbeitslebens in derselben Firma oder gar in derselben Position geblieben, die Lebensläufe waren früher vorgespurt. Heute hingegen sei die Berufswelt geprägt von Mobilität, Spezialisierung und permanenter Veränderung, so Bachmann-Roth.

Wenn Handwerker fehlen

Ein Beispiel aus ihrem Headhunter-Alltag: Ein Netzelektriker, der eigentlich mit Leidenschaft Leitungen baute, wurde von seinem Chef motiviert, sich auf eine Stelle als Projektleiter zu bewerben – und wanderte damit ins Büro ab. «Jetzt haben wir einen Netzelektriker weniger, denn ich dann aber suchen durfte», so Bachmann-Roth. Ein angefragter Kandidat erklärte ihr, er mache eine Auszeit vom Beruf, baue auf dem Hof seiner Eltern Wassermelonen an und wenn das Geld ausgehe, warte er einfach, der nächste Headhunter rufe dann schon an. «Und das ist eine Tatsache. Ich vermittle zwar auch CEOs, aber meistens suche ich Fachkräfte, Handwerkerinnen und Handwerker», so Bachmann-Roth. Das zeige den Strukturwandel deutlich. Bis 2040 könnten rund 430'000 Erwerbspersonen fehlen. In der Landwirtschaft sehe der Strukturwandel ganz ähnlich aus wie allgemein. In den nächsten 5 Jahren erreichen 7000 Betriebsleiterinnen und -leiter das Rentenalter und auf eine junge Betriebsleitung kommen fast 3 Betriebsleitungen. Eine junge Betreibsleiterin muss demzufolge 3 Betriebsleiter ersetzen.

Demografie als Knackpunkt

Gleichzeitig spürt die Gesellschaft die demografische Entwicklung überall: weniger Kinder, Fachkräftemangel, steigende Lebenserwartung und ein zunehmender Druck auf die mittlere Generation. Jährlich fehlen dem Schweizer Arbeitsmarkt rund 30.000 Erwerbspersonen – eine Lücke, die derzeit nur durch Zuwanderung geschlossen wird. „Das ist Fakt, auch wenn es politisch kontrovers diskutiert wird“, betonte Bachmann-Roth.

Lösungen liegen in Gesellschaft und Politik

Die Frage sei nun, wie die Gesellschaft reagieren solle. Zentral seien bessere Rahmenbedingungen für Familien, etwa durch den Ausbau von Tagesschulen und eine gerechtere Verteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit zwischen Männern und Frauen. Auch die Wertschätzung von Handwerk, Pflege und Landwirtschaft müsse sich in der Lohnstruktur niederschlagen.

«Jede Generation hat ihre Aufgabe»

Trotz aller Probleme warnte Bachmann-Roth vor Schwarzmalerei: «Wir haben eine der tiefsten Arbeitslosenquoten weltweit und eine Erwerbsquote von über 80 Prozent. Das ist ein riesiger Erfolg.» Wichtig sei, dass Generationen im Gespräch blieben und Verantwortung übernähmen.

Wie von Christina Bachmann-Roth angesprochen, erlebt die Schweizer Landwirtschaft seit Jahren einen kontinuierlichen Strukturwandel – doch dieser verläuft gemächlicher als im benachbarten Ausland, wie Pierrick Jan vom Forschungsinstitut Agroscope erklärte.

Weniger Betriebe, grössere Flächen

Im Kern bedeutet Strukturwandel: weniger Betriebe, dafür grössere Flächen pro Hof. Seit dem Jahr 2000 verschwinden in der Schweiz jährlich rund 1,7 % der Landwirtschaftsbetriebe. 1999 existierten knapp 68'000 Betriebe, 2024 waren es noch 43'700.

In den Nachbarländern wie Deutschland, Österreich, Frankreich oder Italien liegt die Rückgangsquote deutlich höher, zwischen 2,4 und 2,8 %. Die Folge: Während die Betriebe dort schneller wachsen, bleibt die Schweiz im internationalen Vergleich kleinteiliger. Ein Vergleich: Im benachbarten deutschen Bundesland Baden-Württemberg stieg die durchschnittliche Betriebsgrösse zwischen 1999 und 2024 von 19,4 Hektaren auf 37,7 Hektaren. In der Schweiz von 15,3 Hektaren auf 23,5 Hektaren.

Grössenvorteile bringen höhere Einkommen

Das hat laut Pierrick Jan Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit: «Grössere Betriebe erzielen im Durchschnitt deutlich höhere Einkommen pro Familienarbeitseinheit. Bei einem Milchviehbetrieb in der Bergregion liegt der Median bei einem Betrieb mit 10 bis 20 Grossvieheinheiten (GVE) bei 28'305 Franken, bei einem mit 40 bis 70 GVE hingegen bei 51'602 Franken und damit um 82% höher.

Ältere Betriebsleitende, unklare Nachfolge

Ein weiterer Befund: Die Betriebsleitenden sind immer älter. Das Durchschnittsalter stieg seit 1999 von 47 auf 51 Jahre. Heute wird bereits jeder dritte Hof von einer Person über 55 Jahren geführt. In den kommenden zehn Jahren ist daher mit zahlreichen Hofaufgaben zu rechnen. Ob genügend Nachfolgerinnen und Nachfolger bereitstehen, ist ungewiss.

Digitalisierung erhöht den Druck

Die Digitalisierung und Präzisionslandwirtschaft verstärken den Druck. Viele Technologien lohnen sich erst ab einer bestimmten Betriebsgrösse. Für kleinere Betriebe bleiben entweder Kooperationen oder die Gefahr, nicht mehr mithalten zu können.

Chancen und Risiken im Wandel

Agroscope sieht darin sowohl Risiken als auch Chancen: Der anstehende Generationenwechsel könnte zu einer Konsolidierung führen, welche die Einkommenssituation vieler Betriebe verbessert. Gleichzeitig eröffnet er die Möglichkeit, den Strukturwandel politisch zu nutzen – etwa für die Transformation hin zu einem nachhaltigeren Agrar- und Ernährungssystem.

Zukunft hängt von vielen Faktoren ab

Entscheidend werden laut Pierrick Jan die Erwartungen der jungen Generation (siehe auch Textbox) sein: Einkommen, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie weniger administrative Lasten. Ebenso spielen internationale Handelskonflikte, die Agrarpolitik und das Konsumverhalten eine Rolle.

Insgesamt sei das Umfeld unsicherer geworden, sagt Pierrick Jan. Die Fähigkeit der Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter, mit Risiken und unerwarteten Entwicklungen umzugehen, wird deshalb wichtiger.

Junge Generation will stabile und produktive Landwirtschaft

Die junge Generation der Schweizer Landwirtschaft spricht sich klar für eine produktive, vielfältige und zukunftssichere Agrarpolitik aus. Die Anliegen der jungen Landwirtinnen und Landwirte decken sich in weiten Teilen mit jenen der älteren Generationen. Zu diesen Erkenntnissen kommt eine Semesterarbeit zweier Bachelor-Studierenden an der BFH-HAFL.

Im Zentrum steht der Wunsch nach stabilen Produzentenpreisen und einer verlässlichen Marktordnung, sagte Jonas Zürcher, der die Arbeit zusammen mit Muriel Reimers durchgeführt hat. Junge Betriebsleitende betonen, dass etwa Grenzschutz und bestehende Beitragsinstrumente – wie BTS (Besonders tierfreundliche Stallhaltung), RAUS (Regelmässiger Auslauf im Freien) - sowie Beiträge für Steillagen und Hanglagen – für wichtig seien. «Es ist wichtig, dass nicht ständig an den Systemen geschraubt wird, sondern Massnahmen über längere Zeit Bestand haben», lautet eine der Forderungen.

Stabilität und Verlässlichkeit statt Wandel um jeden Preis

Die Junglandwirtinnen und -landwirte sprechen sich zudem für eine vielfältige Nahrungsmittelproduktion aus, rasche Systemwechsel oder radikale Kursänderungen in der Agrarpolitik stossen hingegen auf Skepsis. Vielmehr wünschen sich die Befragten eine Weiterentwicklung, die auf Stabilität und Verlässlichkeit setzt.

Einigkeit zwischen den Generationen

Überraschend sei, wie stark die Meinungen der jungen Generation mit den Resultaten einer schweizweiten SBV-Umfrage übereinstimmen, so Muriel Reimers. Sowohl Junglandwirtinnen und -landwirte als auch die ältere Generation sehen die Sicherung des Selbstversorgungsgrades und eine verlässliche Marktpolitik als Priorität.

Zugang zu Betrieben bleibt Thema

Bei Thema Hofübernahme zeigten sich: Junge Leute wünschen sich einen leichteren Zugang zu ausserfamiliären Betrieben. Künftig könnte es ihrer Meinung nach auch für Investoren einfacher sein, Strukturen aufzubauen und in die Landwirtschaft einzusteigen.

Bildung als Schlüssel

Neben Markt- und Strukturfragen ist die Ausbildung ein zentrales Anliegen. Viele angehende Betriebsleiterinnen und -leiter fühlen sich ungenügend vorbereitet auf die administrativen und finanziellen Herausforderungen der Betriebsführung.

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Agrarpolitik-Forum widmete sich dem Thema Strukturentwicklung

Vom 28. bis 29. August 2025 fand das diesjährige Schweizer Agrarpolitik Forum an der HAFL in Zollikofen statt.

Diskutiert wurde zum Thema: «Strukturentwicklung: wie kriegen wir die Kurve?».

Das Agrarpolitik-Forum im Video

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