Wenn Bäume und Felder gut zusammenpassen

Agroforst prägt die Schweiz seit Jahrhunderten und hat in einigen Regionen eine lange Tradition. Vor Herausforderungen wie dem Klimawandel, Biodiversitätsverlust oder Bodenerosion bringen moderne Agroforstsysteme auch in der produzierenden Landwirtschaft zunehmend Vorteile.
Zuletzt aktualisiert am 31. Mai 2023
von Renate Hodel
5 Minuten Lesedauer
Agroforst Betrieb Roggli Mamishaus Rho

Rund 9 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche werden heute agroforstlich genutzt. Dies hauptsächlich in Form von traditionellen Agroforstsystemen wie den Wytweiden im Kanton Jura, den Kastanienselven im Tessin oder in Form von klassischen Hochstammobstgärten. Auf intensiven bewirtschafteten Ackerflächen ist diese Mischform allerdings verschwunden, erhält durch die Klimaerwärmung aber wieder neuen Aufschwung: Je länger, je mehr, stösst die Agroforstwirtschaft, bei der Bäume und verschiedene Kulturen miteinander kombiniert werden, auch in der produzierenden Landwirtschaft verstärkt auf Interesse und entwickelt sich allmählich zu einer ökologischen Alternative mit durchaus ökonomischen Vorteilen.

Ökologische sowie ökonomische Vorteile

Die ökologischen Vorteile der Agroforstwirtschaft liegen auf der Hand: Agroforstwirtschaft leistet unter anderem einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz, denn im Holz der Bäume und Sträucher werden beachtliche Mengen an CO2 gebunden. Ausserdem sorgen die Gehölzstreifen für vielfältige Lebensräume und fördern damit die Biodiversität. Nicht zuletzt verstärken die Bäume und Sträucher auch die ästhetische Aufwertung der Kulturlandschaft. Aber auch ökonomisch sind die Systeme vielversprechend und darum liegen diese neuen Formen solcher Doppelnutzung von Land mit Bäumen und Sträuchern einerseits und als Acker- oder Grünland andererseits zunehmend auch bei der produzierenden Landwirtschaft im Trend.

Die modernen Agroforstsysteme unterscheiden sich von den alten und traditionellen Systemen dadurch, dass sie an die aktuelle landwirtschaftliche Produktionstechnik angepasst sind. Die landwirtschaftliche Nutzung soll dabei möglichst wenig durch die Bäume beeinträchtigt werden, sodass eine ökonomisch konkurrenzfähige Produktion von tierischen, ackerbaulichen und forstwirtschaftlichen Produkten möglich ist. Ein wesentlicher Vorteil von Agroforstsystemen in der produzierenden Landwirtschaft ist, dass sie länger anhaltende Trockenperioden besser überstehen, indem im Schutz der Bäume das Mikroklima auf dem Feld verbessert und die Verdunstung verringert wird. Die Förderung der Biodiversität begünstigt ausserdem die Rückkehr von Nützlingsarten, die Pflanzenschutzmittel wie Insektizide und Pestizide ersetzen. Darüber hinaus spenden die Bäume Schatten sowohl in Kombination mit Tierhaltung als auch in Verbindung mit Ackerkulturen und begrenzen die Bodenerosion. Ausserdem tragen der Laubfall, abgestorbene Feinwurzeln sowie Wurzelausscheidungen der Bäume dazu bei, dass Humus angereichert wird und so die Bodenfruchtbarkeit gesteigert wird. So konnte das landwirtschaftliche Forschungsinstitut Agroscope in einem Versuch eine Humusanreicherung von 18 Prozent in nur sieben Jahren unter Agroforstsystemen feststellen. Schlussendlich kann mit Agroforstwirtschaft die Produktpalette der Landwirtschaftsbetriebe erhöht werden – beispielsweise durch den Verkauf von Holzschnitzeln, Obst oder durch den langfristigen Kapitalaufbau in Form von Wertholz.

Strauss Bioagrikultur Schaelsonnenblumen 03 Rh
Auf dem Biobetrieb der Familie Strauss in Rickenbach wird Agroforst mit Ackerbau kombiniert. (rho)

Agroforst im Aufschwung

Immer mehr Landwirtinnen und Landwirte entdecken diese Vorteile für sich und integrieren Agroforst in ihre Produktionssysteme. Und die Agroforstwirtschaft gibt es in allen Variationen, was in erster Linie vor allem von den Merkmalen des Betriebs abhängt, den man verändern will, sowie von den Fähigkeiten und Zielen der Landwirtinnen und Landwirte. So gibt es in der Westschweiz Winzerinnen und Winzer, die in ihren Rebzeilen Obst- und andere Laubbäume gepflanzt haben. Der sogenannte Vitiforst soll den Boden nähren, die Biodiversität erhöhen und die Reben vor Frost und Hitze schützen. Und im zürcherischen Rickenbach setzt Landwirt Jürg Strauss auf die Kombination von Agroforst mit Ackerkulturen wie Sonnenblumen: «Unser Ziel ist es, längerfristig pro Fläche die Biodiversität und die Produktion zu vereinen und beides zu steigern.» Ähnliche Ziele verfolgt auch Landwirt Matthias Roggli, der mit der Agroforstfläche auf seinem Betrieb oberhalb von Mamishaus anstrebt, ebenfalls die Biodiversität zu erhöhen, ohne die Produktion von Nahrungsmitteln zu reduzieren.

60 junge Apfel- und Birnbäume – nicht mehr als zwei von der gleichen Pro-Specie-Rara-Sorte – hat Matthias Roggli in fünf langen Reihen auf sein Ackerland gepflanzt. Zwischen zwei Baumreihen gedeiht Urdinkel; auf einem anderen Streifen weiden Hühner, die später als Weidepoulet verkauft werden. Er hätte auch andere Baumarten wie Linden pflanzen können, welche die höhere Biodiversität aufweisen, aber der wirtschaftliche Anreiz wäre so zu gering gewesen. Denn wenn das Vorgehen nachhaltig sein soll, muss es auch finanziell nachhaltig sein. So werden die Obstbäume, wenn sie dann mal grösser sind, nicht nur Schatten spenden und den Wind abschwächen oder mit ihren Wurzeln den Boden und Wasserhaushalt verbessern, sondern auch Früchte für die Direktvermarktung als Tafel-, Most- und Trockenobst hervorbringen.

Agroforst und Vitiforst

Die moderne Agroforstwirtschaft (im Rebbau Vitiforst) ist ein nachhaltiges, an die Mechanisierung angepasstes Produktionssystem, das mehrjährige Holzpflanzen einbezieht, die auf der Landwirtschaftlichen Nutzfläche oder im Sömmerungsgebiet angebaut werden. Sie ermöglicht es, die landwirtschaftliche Produktion und den Schutz der natürlichen Ressourcen miteinander in Einklang zu bringen und gleichzeitig die Umweltauswirkungen der Landwirtschaft zu verringern und zur Abschwächung der Auswirkungen des Klimawandels beizutragen.

Bei Agroforstsystemen wird unterschieden zwischen der Unternutzung mit Wiesen und Weidehaltung oder mit Feldkulturen. Die Agroforstsysteme in Kombination mit Tierhaltung werden «sylvopastoral» genannt. Agroforstsysteme in Kombination mit Feldkulturen werden «sylvoarabel» genannt.

Herausforderungen und Hürden meistern

Tatsächlich liege der grosse Vorteil von Agroforst in der Multifunktionalität, sagt Michel Darbellay, Leiter des Departements Produktion, Märkte und Ökologie des Schweizer Bauernverbandes: «Zum einen fördert Agroforst die Biodiversität und prägt zugleich als traditionelles Landschaftselement die Schweizer Kulturlandschaft – zum anderen zeigt sich im Rahmen des Klimawandels, dass sich Agroforst als Anpassungsmassnahme für Betriebe eignet und zugleich das Klima schützen kann.»

Die modernen Agroforstsysteme bergen aber auch Herausforderungen: So ist im Vergleich zu einjährigen Kulturen bei Agroforstsystemen nicht nur mit einem erheblichen Initialaufwand, sondern auch mit etwas höheren Bewirtschaftungskosten sowie erhöhtem Arbeitsaufwand zu rechnen. «Um sich ein gesamtheitliches Bild über Agroforst zu schaffen, müssen Bauernfamilien nebst ökologischen, ästhetischen und kulturellen Komponenten auch agronomische, ökonomische und soziale Überlegungen miteinbeziehen», erläutert Michel Darbellay weiter. Auch zukünftige Kosten und Arbeitsaufwände müssten weit im Voraus eingeplant werden, denn Agroforst lege die Landwirtin oder der Landwirt nicht nur für sich an, sondern auch für die nächste Generation.

Tatsächlich müssten solche Projekte genauestens durchdacht sein, bestätigt Victor Egger, Mitglied der Kommission des Fonds Landschaft Schweiz FLS, welcher unteranderem das Agroforst-Projekt in Mamishaus unterstützt hat. So sei beispielsweise die Standortwahl des Agrofrostsystems entscheidend und müsse im Vorfeld gewissenhaft geprüft werden: «Aus Sicht des Fonds Landschaft Schweiz ist das Agroforstprojekt von Matthias Roggli sehr gut ins Gelände eingepasst – die Baumreihen fügen sich gut in die Topografie ein und ergänzen vorhandene Landschaftselemente sinnvoll.» Eine vertiefte Auseinandersetzung mit Agroforst und folglich eine professionelle Beratung und Begleitung sei bei solchen Projekten entsprechend von grosser Bedeutung.

Agroforst Matthias Roggli Mamishaus Rho
Junge Apfel- und Birnbäume in langen Reihen – und dazwischen Streifen mit Getreide, Kräutern oder Weidehühner, die rund um ihre mobilen Ställe herum im Gras picken und scharren: So präsentiert sich das Agroforstprojekt von Matthias Roggli im Schwarzenburgerland. (rho)

Förderung gewinnt an Gewicht

Herausforderungen wie der Klimawandel, Biodiversitätsverlust oder Bodenerosion haben Produktionssystemen wie der Agroforstwirtschaft zu neuem Schwung verholfen und stossen auf grosses Interesse. Die Förderung von Agroforstsystemen findet vorläufig aber erst auf kantonsebene oder im Rahmen von Projekten wie dem «FLS-Fokus Agroforst» des Fonds Landschaft Schweiz statt. So wurde in den Kantonen Genf, Jura, Neuenburg und Waadt 2020 das interkantonale Projekt «Agro4esterie» zur nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen gestartet. Das Ressourcenprojekt hat zum Ziel, die Praxis der modernen Agroforstwirtschaft zu fördern: Das Projekt und die Agroforstsysteme sollen widerstandsfähig, an die lokalen Bedingungen angepasst, wirtschaftlich interessant und auf gezielte Umweltprobleme ausgerichtet sein. Und mit dem «FLS-Fokus Agroforst» hat der Fonds Landschaft Schweiz einen Sensibilisierungs- und Förderakzent lanciert, damit der landwirtschaftliche Trend zur Anlage neuer Agroforstflächen vermehrt auch zur ästhetischen und ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft beiträgt. Im Rahmen dieses Fokus beteiligt er sich auch am interkantonalen «Agro4esterie»-Projekt, unterstützt daneben aber noch weitere Projekte.

Des Weiteren wird die Förderung von modernen Agroforstsystemen auch auf Bundesebene geprüft. Die gesetzlichen Grundlagen für die Förderung von modernen Agroforstsystemen mit Direktzahlungen seien vorhanden, sagte Bundesrat Parmelin kürzlich im Nationalrat. Eine solche Förderung werde auf der Grundlage der Erfahrungen aus dem Ressourcenprojekt «Agro4esterie» geprüft. Eine Motion, die ein rascheres Vorgehen fordert, hat der Nationalrat am 2. Mai 2023 mit 109 zu 83 Stimmen aber abgelehnt.