Deshalb wachsen Kirschen unter Netzen

Die Schweizer Kirschenproduktion hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Der Anbau wurde professionalisiert und die Niederstammkulturen haben die traditionellen Hochstammbäume mehrheitlich abgelöst. Daneben wurden enorme Summen in den Witterungsschutz und den Schutz vor Schädlingen gesteckt – denn ein einziges Hagelwetter oder die Kirschessigfliege können in kürzester Zeit die gesamte Ernte vernichten.
Zuletzt aktualisiert am 24. Juni 2022
von Renate Hodel
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Kirschernte Schlatter Chriesiland AG Rho

Der Schweizer Kirschenanbau präsentiert sich heute unverkennbar anders als noch vor ein paar Jahrzehnten und die Schweizer Kirschenproduktion hat in den letzten Jahren einen gewaltigen Innovationsschub erfahren. «Als die ersten Niederstammbäume kamen, hatten die Schweizer Obstbäuerinnen und Obstbauern noch absolut keine Erfahrung mit diesen Zuchtformen und man wusste nicht, wohin sich das entwickelt», erklärt Bruno Eschmann, Präsident des Produktezentrums Kirschen und Zwetschgen beim Schweizer Obstverband. Trotzdem hätten die Obstbäuerinnen und Obstbauern eine grosse Bereitschaft gezeigt, in diese Systeme zu investieren.

Gegen Frost, Hagel und zu viel Regen

Heute wachsen die Kirschbäume für Tafelkirschen in hochmodernen Produktionsanlagen – trotzdem erfordert der Anbau grosses Engagement. Die Anlagen werden unter anderem mit einer Wetterschutzvorrichtung versehen: Die Abdeckung soll die Kulturen vor Hagel und Regen schützen, damit die Kirschen nicht platzen und die Qualität einwandfrei bleibt. Daneben müssen die Kulturen insbesondere im Frühling und Frühsommer vor Frostgeschützt werden.

Insbesondere auch deshalb, weil sich der Blühzeitpunkt in unserem ändernden Klima durchschnittlich um drei Wochen nach vorne verschoben hat und die Wetterextreme in den letzten Jahren massiv zugenommen haben. So waren die Ernteausfälle 2017 und 2021 aufgrund von Spätfrost erheblich. Späte Schneefälle oder eben auch heftige Hagelwetter können Gerüste und Folien zerstören und müssen sofort wieder ersetzt werden, um den Schutz zu garantieren. Damit die Bäume unter der Abdeckung trotzdem das notwendige Wasser erhalten, sind die Anlagen oft mit einer Tröpfchenbewässerung ausgestattet, die das Wasser gezielt verabreichen können.

Schädlinge raussperren

Ein weiteres Netz wird kurz nach der Blüte aufgezogen und riegelt die Kirschbaumanlagen fast hermetisch ab. Mit dem steigenden grenzüberscheitenden Handelsverkehr haben sich neue, invasive Schädlingserreger verbreitet – nebst Läusen und dem Wurm kämpfen Obstbäuerinnen und Obstbauern zunehmend mit importierten Schädlingen wie der Kirschessigfliege, Wanzen oder Käfern.

Gleichzeitig sei der Obstbau aber dazu aufgerufen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln deutlich zu reduzieren, was zunehmend herausfordernd werde, da der Wegfall einiger Pflanzenschutzmittel die Produktion nicht einfacher mache, meint Bruno Eschmann. Bei der Reduktion von Pflanzenschutzmittel würden insbesondere ebendiese Schutznetze eine entscheidende Rolle spielen und es werde Verwirrungstechnik eingesetzt wo möglich.

«Daneben haben unsere Obstbauern auch schon gezeigt, dass sie auf ökologischeren Pflanzenschutz umstellen, wenn Alternativen vorhanden sind – so wurde beispielsweise schon 2013 freiwillig auf ein Mittel gegen den Wurm verzichtet, weil bessere, aber auch teurere und aufwendigere Varianten vorhanden waren», ergänzt Bruno Eschmann.

Kirschensorten Schlatter Chriesiland AG Rho
Die Kirschproduktionsanlagen von heute sind mit kleinwüchsigen Bäumen und gefragten Sorten bewachsen. (rho)

Der Schweizer Kirschenanbau

Die Wertschöpfung aus dem Schweizer Kirschenanbau beträgt heute rund 20 Millionen Schweizer Franken. Das ist rund doppelt so viel wie vor 20 Jahren. 1’200 Arbeitsstunden benötigt die Pflege einer Kirschenkultur mit 800 bis 1’000 Bäumen pro Hektare. 80 Prozent der Arbeitsstunden fallen bei der fünf- bis siebenwöchigen Ernte an.

Der gesamte Konsum beträgt jedes Jahr zwischen 5’000 und 6’000 Tonnen Kirschen – Tendenz steigend. Die Hälfte davon kommt jedoch aus Ländern wie Italien, Spanien oder der Türkei. Schweizer Produzentinnen und Produzenten produzieren die andere Hälfte.

Dieses Jahr rechnet der Schweizer Obstverband mit einer guten Ernte von über 2’500 Tonnen Kirschen in herausragender Qualität. Die Ernte liege so um 25 Prozent über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre.

Sorgfältige Sortenauswahl

All diese Massnahmen würden ergriffen, um den Konsumentinnen und Konsumenten die verlangte Qualität zu liefern. «Heute werden möglichst grosse, feste und knackige Kirschen verlangt, die möglichst so beim Endkonsumenten ankommen sollen, wie sie am Baum gepflückt werden», sagt Bruno Eschmann. Für diese Nachfrage gebe es auf der ganzen Welt sehr viele Züchtungsanstrengungen und was die Sortenwahl betreffe, werde zuweilen auch viel Lehrgeld bezahlt. «Im Moment dreht sich das Sortenkarussell relativ schnell und die Obstproduzentinnen und -produzenten müssen immer wieder neu evaluieren, auf welche Sorte sie setzen wollen und gute Entscheidungen treffen – denn diese diese Entscheide werden für die nächsten 15 Jahre gefällt», erläutert er weiter. Wichtig sei, dass die Kirschen gut schmeckten, optisch rot oder dunkelrot daherkämen und die Qualität müsse hochstehend sein.

Und der Hochstammkirschbaum?

All diese Entwicklungen sind nicht spurlos am Baumbestand verbeigegangen – unter den hohen Qualitätsanforderungen haben insbesondere die Hochstammbäume gelitten, die sich für Tafelkirschen kaum mehr eignen. Und auch die Nachfrage nach Verarbeitungskirschen wie Brenn-, Saft- oder Konservenkirschen ist geschrumpft: Bestand früher eine Nachfrage nach 10’000 Tonnen Brennkirschen und rund 2’500 Tonnen schwarzen Kirschen, die in die Verarbeitung gingen, sind es heute noch je rund ein Drittel davon.

Unter gewissen Voraussetzungen seien Hochstammbäume aber bis heute wirtschaftlich zu bewirtschaften, meint Bruno Eschmann: «Wenn man die Ernte maschinell machen kann, wenn man wenige Schädlinge wie die Kirschessigfliege hat und wenn man einen Absatz am Markt hat, dann sind auch die Hochstämmer durchaus wirtschaftlich zu bewirtschaften – und dann wäre es natürlich schön, wenn es im Fondue wieder mehr Schweizer Kirsch hätte.»

Im Kanton Aargau leiste unter anderem die Interessengemeinschaft IG Schüttelkirschen hier Innovatives: 20 Verarbeitungskirschenproduzenten mit je einer Hektare Fläche Hochstammkirschen produzierten Konserven- und je nach Jahr auch einen Tel davon Brennkirschen. Der Zusammenschluss mit der gemeinsam organisierten Ernte mit zwei Erntezügen und Ernteteams bringe den Vorteil des gebündelten Auftretens und Verhandelns mit der verarbeitenden Industrie.

Baumunabhängige Biodiversität

Schweizer Obstbäuerinnen und Obstbauern produzieren also was die Konsumentinnen und Konsumenten verlangen. Neben perfekten Früchten, die am besten in modernen Niederstammanlagen produziert werden, wollen Konsumentinnen und Konsumenten aber zunehmend mehr Biodiversität und hier wird des Öfteren der Hochstammbaum als besonders biodiversitätsfördernd ausgelobt – ein Widerspruch?

«Kaum», meint Bruno Eschmann, «man glaubte lange, dass die eingepackten Niederstammanlagen extrem steril sind – in den letzten Jahren hat sich das aber gewandelt, auch weil in diesen Anlagen auf verschiedene Insektizide verzichtet wird.» Interessanterweise finde man in abgedeckten Kirschenanlagen heute nebst einigen Vögeln wieder Fledermäuse, Schmetterlinge, Wildbienen und sonst eine grosse Anzahl verschiedenster Insekten.

«Wenn man die neusten Untersuchungen anschaut, wo solche Anlagen untersucht wurden, zeigen diese, dass in diesen Anlagen sehr viel Biodiversität herrscht», erläutert Bruno Eschmann weiter. «Wenn diese Anlagen nicht mehr wären, würden wir sehr viel Biodiversität verlieren», ist er überzeugt. Grundsätzlich sei der Obstbauer jemand, der der Biodiversität sehr gut schaue – baumunabhängig.