Mit Handwerk und Herzblut: Der Weg zum Winzer
Der Winzerberuf erfordert ein tiefes Verständnis für den Kreislauf der Natur, das Wachstum der Reben und die Weinprod...
Piwi – was wie der Name eines Kobolds aus einem Kindermärchen klingt, ist ein wichtiger Faktor im nachhaltigen Weinbau: Piwi steht für pilzwiderstandsfähig. Bei Piwi-Reben handelt es sich um Sorten, die in der Pflege deutlich weniger aufwändig und anspruchsvoll sind als konventionelle Trauben. «Während die meisten Reben – auch Bioreben – pro Jahr sieben bis acht Mal gespritzt werden müssen, behandeln wir die Piwi-Sorten mit zwei bis drei Spritzungen und verwenden dabei Backpulver und Schwefel sowie Gesteinsmehl», sagt Jürg Schönenberger.
Der Winzer und Weintechnologe ist Leiter der Rebstationen bei Rutishauser-Divino und steht vor einer besonderen Herausforderung: Ende Mai pflanzte er mit seinem Team auf einer Fläche von zwei Hektaren 10’350 Reben der Piwi-Sorte Muscaris. Es handelt sich dabei um die grösste zusammenhängende Muscaris-Rebfläche der Schweiz.
Muscaris ist eine Kreuzung aus den Traubensorten Solaris und gelbem Muskateller und wurde 1987 am Weinbauinstitut Freiburg in Deutschland gekreuzt. Muscaris weist gute Resistenzen gegen die häufigsten Pilzsorten Peronospora, Oidium und Botrytis auf. Der Reifezeitpunkt ist im September.
Der Start der Jungpflanzen sei nicht einfach gewesen, sagt Jürg Schönenberger: «Aufgrund des langanhaltenden Regens konnten wir sie erst spät setzen und kaum waren die Reben im Boden, regnete es nicht mehr und es wehte eine starke Bise – wir mussten 500’000 Liter Wasser zum Giessen verwenden.» Trotzdem bekamen die jungen Hochstammsetzlinge einen optimalen Start.
Eine spezielle durch GPS gesteuerte Pflanzmaschine setzte die Reben im rechten Winkel auf der leicht geneigten Fläche. Gestützt werden sie von 110 Kilometern Draht, gespannt an 3000 Pfählen. Denn auch pilzwiderstandsfähige Reben benötigen eine gute Ausgangslage. Jürg Schönenberger ist zuversichtlich, dass er übernächstes Jahr bereits etwa acht Tonnen ernten kann. Und wie bei Reben üblich, zählt er darauf, dass die etablierten Muscaris später keine Wässerung mehr erfordern.
Die Rutishauser-Divino ist eine der grössten Traubenverarbeiterinnen der Schweiz. Sie ist 2021 aus dem Zusammenschluss der traditionsreichen Rutishauser Weinkellerei und der Divino als Nachfolgerin der Volg Weinkellereien entstanden. Als Tochter der Fenaco sei sie der Landwirtschaft verpflichtet und wolle den nachhaltigen Weinbau in der Schweiz fördern, wie Geschäftsführer Hans Naegeli sagt. Das Unternehmen hat bereits folgende Piwi-Sorten angepflanzt: Solaris, Helios, Seyval Blanc, Cabernet Jura und Léon Millot im zürcherischen Wiesendangen und Neftenbach sowie im thurgauischen und Neunforn. Diese werden teilweise sortentypisch reinsortig angeboten, aber auch für Assemblagen genutzt.
Schönenbergers Arbeitgeber ist überzeugt, dass sich die Investition lohnen wird. Die Reben kosteten 70’000 Franken und bis zur ersten Ernte werden rund 330’000 Franken in diesen Rebberg investiert. «Aber Piwi ist uns wichtig, auch wenn diese Sorten in der Schweiz erst etwa drei Prozent der gesamten Rebenfläche ausmachen – in Deutschland sind es etwas mehr, aber ansonsten interessiert sich im Rest der Welt niemand für Piwi», sagt der Winzer, «und ich mache mir keine Illusionen, dass Pinot Noir und Riesling aussterben werden und nur noch Piwi-Sorten gepflanzt werden.»
Trotzdem ist seine Hoffnung gross, dass mit dem Muscaris wie auch mit anderen Piwi-Sorten eine grosse Kundschaft angesprochen wird. Denn mit Blick auf den Klimawandel seien solche robusten Reben, die Wetterextreme aushalten und kaum gespritzt werden müssen, eine echte Chance. «Nachhaltigkeit ist uns wichtig, schliesslich sollen diese Muscaris-Trauben auch in 20 Jahren noch gut wachsen», sagt Jürg Schönenberger. Völlig anspruchslos seien diese Reben allerdings nicht. «Die Muscaris treibt früh aus und erfriert rasch, aber sie treibt auch bald wieder nach – mir persönlich wären andere Sorten aber lieber gewesen», gesteht der Winzer mit einem Schmunzeln.
Doch Nachhaltigkeit allein überzeugt keine Kunden, den Wein zu kaufen. Er muss auch gut schmecken. Deshalb entschied nicht der Winzer über die anzubauende Sorte, sondern das Marketing. Und so fiel die Wahl aufgrund von Recherchen der Marketingverantwortlichen auf Muscaris. «Wir wollen mit diesem Wein in den Detailhandel und der aromatische Weisswein Muscaris kommt bei den Kundinnen und Kunden an», sagt Hans Naegeli, Geschäftsführer von Rutishauser-Divino.
«Mit Piwi-Weinen setzen wir ein Signal an den Handel und an die Kundschaft, dass es uns ernst ist mit der Nachhaltigkeit», ergänzt er. Ins Boot genommen werden sollen auch die Produzenten, die mit dem Unternehmen zusammenarbeiten. «Wir nutzen die Erfahrungen, die wir am Rebberg Hard hier bei Winterthur machen, nicht nur für unsere eigenen rund 50 Hektaren Rebberge, sondern geben sie auch an unsere 300 Produzenten weiter», sagt Hans Naegeli und begründet mit dieser grossen Zahl an Partnern auch, weshalb eine Umstellung auf Bioweine für seine Firma keine Option ist: «Unter diesen Produzenten hat es grössere und ganz kleine Betriebe – es ist fern der Realität, dass alle auf Bio umstellen können.» Hier sieht er die Chance von Piwi-Reben.
Gemäss Ernteregister des Bundes beträgt die Piwi-Anbaufläche rund 456 Hektaren. Im Vergleich dazu beträgt die Reben-Gesamtfläche 14’605 Hektaren. Bezüglich Nachhaltigkeit schreibt der Verein Piwi International: «Piwis sind ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig – deutlich weniger Behandlungen gegen Pilzkrankheiten bedeuten weniger Durchfahrten, signifikant weniger Pflanzenschutzmittelbedarf, weniger Bodenverdichtung, weniger CO2-Ausstoss, deutlich geringere Behandlungskosten sowie weniger Gefahr für die Gesundheit des Anwenders.»
Die Rebensorte und ihre Pflege entscheiden aber nur zum Teil über die Qualität des Weins. Was aus Piwi-Trauben wird, liegt letztlich in der Hand des Kellermeisters. «Die Kelterung ist eine Herausforderung – beim Muscaris beträgt die maximale Ausbeute 60 Prozent, da die Traube einen hohen Fleischanteil hat», erklärt Thomas Wettach, Betriebsleiter der Kellerei von Rutishauser-Divino. «Wir müssen lernen, mit der Sorte umzugehen, wie wir sie keltern müssen, damit der Wein ein gutes, gefälliges Aroma hat», ergänzt er. Denn je nach Kelterung schmeckt Muscaris eher süss oder eher herb.
Doch er könne sich auch mit anderen Önologen austauschen und von deren Erfahrungen profitieren. «Was zählt, ist, dass der Konsument den Wein mag und ihn kauft», sagt Thomas Wettach und verweist auf eine weitere Herausforderung bei den Piwi-Weinen: die Akzeptanz. Und da das Wort «Pilz» in Zusammenhang mit Wein nicht sehr angenehm sei, verwende man lieber den Begriff «robuste Sorten». Kommunikation sei sehr wichtig, damit Sorten wie Muscaris, Solaris, Helios und Seyval Blanc bekannter werden und nicht nur gekauft werden, weil die Trauben nachhaltig angebaut werden, sondern weil der Wein mundet.
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