Chinakohl: Der milde Kohl
Chinakohl stammt ursprünglich tatsächlich aus China. Der in der Schweiz verkaufte Kohl stammt jedoch zum grössten Tei...
Was macht ein Gewächshausproduzent mit Gasheizung, wenn der Brennstoff plötzlich drei Mal teurer ist als noch im Vorjahr? Glücklich ist in diesem Frühling, wer einen fixen Gas-Liefervertrag besitzt oder bereits mit erneuerbaren Energien unterwegs ist. Wer hingegen normal über das Verteilnetz Gas bezieht, kann eigentlich nur auf milde Temperaturen hoffen, oder dass er die Mehrkosten auf den Abnahmepreis abwälzen kann.
Energieeinsparmöglichkeiten gibt es gerade bei den aktuell gesetzten Tomatensetzlingen kaum: Einige zögern das Ganze um zwei bis drei Wochen heraus, um Heiztage einzusparen. Ob sich das in der gesamten Endabrechnung wirklich lohnt, ist aber höchst unsicher. Mit der Optimierung der Temperaturen lässt sich allenfalls zusätzlich noch etwas Gas einsparen. Betroffene Tomatenanbauer rechnen in diesem Jahr mit 20 Prozent höheren Kosten in der Produktion. Allerdings nicht nur wegen den höheren Gaspreisen, sondern weil die Preise für viele andere Produktionsmittel ebenfalls gestiegen sind.
Unmittelbar abhängig vom Gaspreis ist beispielsweise die Produktion des Diesel-Abgasreinigers AdBlue, ohne den die neueren Traktoren und Lastwagen die Vorschriften nicht mehr erfüllen können und vor allem gar nicht mehr richtig funktionieren. Bei AdBlue handelt es sich um eine einfache Mischung von Wasser und Harnstoff, der mit Hilfe von Gas hergestellt wird. Grosse Hersteller wie BASF drosselten die Produktion, weil sie das teure Gas lieber für profitablere Erzeugnisse verwendeten. Gemüsegärtner, die sich vorsorglich einen Vorrat anlegen wollten, müssen sich zurzeit mit Teillieferungen zufriedengeben, weil es an Mengen fehlt. Auch AdBlue-Anbieter Agrola beliefert nur noch ihre Stammkundschaft mit grösseren Mengen. An den Tankstellen sowie als Stückgut bleibe AdBlue aber weiterhin verfügbar, teilt Agrola auf Anfrage mit. Die Preise für AdBlue hätten sich aufgrund des geringeren Angebots aber nach oben entwickelt.
Dramatisch sind die Preissteigerungen für mineralische Stickstoffdünger, die in den Fabriken mit viel Gas hergestellt werden. Einige Stickstoffwerke schlossen die Tore, weil die Produktion wegen den hohen Energiekosten plötzlich nicht mehr rentierte, was zu einer weiteren Verknappung auf dem Weltmarkt führte.
Die Schweiz ist wie beim Gas auch bei den Stickstoffdüngern zu 100 Prozent auf Importe angewiesen. Und diese Abhängigkeit stellt sich nun als fatal heraus: Da auf dem Weltmarkt kaum noch Ware verfügbar ist, hat der Bund Pflichtlager freigegeben. «Ohne diese könnten wir zurzeit keinen Stickstoff mehr ausliefern», sagt Landor-Verkaufsleiter Hansueli Schaufelberger auf Anfrage. Als sich die schwierige Situation im Spätsommer abzuzeichnen begann, habe man bestehende Kunden auf die Problematik aufmerksam gemacht. Viele Landwirte und einige Gemüsebetriebe hätten sich damals noch rechtzeitig zu tieferen Preisen mit Waren eindecken können.
Doch gerade die Gemüseproduktion ist bekannt dafür, dass sie ihre Dünger spät bestellt, wenn die Saison vorbei ist. Deshalb ist die Gemüsebranche hier von der Preisexplosion eher noch mehr betroffen als die restliche Landwirtschaft. «Eine Tonne Ammonsalpeter kostet heute im Einkauf 600 Euro statt wie noch vor einem Jahr 200 Euro», erklärt Schaufelberger. Solche Mehrpreise müsse man leider an die Kundschaft weitergeben.
Knapp und entsprechend hochpreisig sind übrigens auch organische Stickstoffdünger, wie beispielsweise das im Biogemüsebau oft verwendete Federmehl. Diese Situation trete hier zwar im Frühling oft auf, sagt Schaufelberger. Aber die Tendenz zeige beim Preis trotzdem seit Jahren aufwärts, auch weil die Bioproduktion und damit die Nachfrage ansteigt.
Die Teuerungswelle setzt sich bei den Jungpflanzen fort. Je nach Kultur rechnet Martin Löffel von SwissPlant GmbH in Müntschemier mit einer Preiserhöhung von drei bis vier Prozent. Der Hauptgrund liege im zehn Prozent höheren Preis von Torf, dessen Abbau energieintensiv sei und immer noch den grössten Anteil im Substrat ausmache.
Zudem seien die Transportkosten gestiegen, unter anderem weil wegen den grundsätzlichen Logistikproblemen in Europa die Retourfahrten in die Torflieferländer nicht mehr voll ausgelastet werden könnten. Die Saatgutkosten würden schon seit längerem jährlich um 1.5 bis 3 Prozent ansteigen, unter anderem weil die Anforderungen immer höher würden, erklärt Löffel.
Neben der Energie- erlebt die Welt zurzeit eine Transport- und Logistikkrise, die ihren Anfang mit der Corona-Pandemie und den Lieferengpässen aus Fernost nahm. Sie hält seither an, unter anderem auch, weil es immer öfter ganz einfach an Lastwagenchauffeuren mangelt, was beispielsweise in Grossbritannien im letzten Jahr zu Versorgungsengpässen führte.
Gemüsegärtnerinnen und -gärtner müssen seit zwei Jahren ihre Produktion grundsätzlich noch besser planen und die teilweise markant längeren Lieferfristen miteinberechnen. Verpackungen beispielsweise müssen anstatt wie noch vor zwei Jahren ein paar wenige Wochen heute mehrere Monate im Voraus bestellt werden. Die Preise sind je nach Produkt um ein Vielfaches gestiegen. Das Geschäft mit den Verpackungsmaterialien sei unberechenbarer geworden, bestätigt Sandro Capone von Permapack.
Das Granulat als Ausgangsstoff kostet wegen der höheren Energie- und Transportpreisen heute viel mehr, zudem seien auch die Rohstoffe für die zunehmend verlangten alternativen Verpackungen äusserst knapp. «Eine Schale aus Karton ist deutlich teurer als eine aus rezykliertem Kunststoff», sagt er. Dank langjährigen guten Beziehungen zur Kundschaft und zu Lieferanten gelinge es ihm, trotz allem meistens befriedigende Lösungen zu finden. «In erster Linie geht es am Ende darum, dass das Gemüse verpackt werden kann.» Oft könne er aber bei langfristigen Bestellungen den Gemüsegärtnern nicht mehr wie früher einen festen Preis offerieren, weil sich diese in den Ausgangsstoffen schnell ändern könnten.
Wer sich neue Transportfahrzeuge anschaffen will, muss sich ebenfalls in Geduld üben. Die Fahrzeugproduktion läuft zurzeit weltweit auf Sparflamme, unter anderem weil es an wichtigen Rohstoffen wie Aluminium und Stahl fehlt. Auf einen neuen Lastwagen wartet man heute ein Jahr. Fast noch problematischer sind allerdings die Lieferschwierigkeiten bei den Ersatzteilen für Arbeitsgeräte.
Ein Alternator beispielsweise konnte in normalen Zeiten am Vorabend bestellt werden und lag dann am nächsten Morgen vor der Werkstatt. Heute dauert das bis zu vier Tage. Der betroffene Traktor steht in dieser Zeit still, was einen Gemüsebaubetrieb in der Hauptsaison in eine schwierige Situation bringen kann.
Nur schon die Suche nach einer Schraube kann mehrere Stunden Internetrecherche in Anspruch nehmen, was sich eigentlich niemand leisten kann. Betriebe mit eigenen Werkstätten bauen deshalb ihre Lager mit Ersatzteilen wenn möglich vorsorglich aus, was aber wieder mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Auch wer zurzeit eine neue Heizanlage oder ein Gewächshaus baut, muss mit monatelangen Verzögerungen rechnen, weil es an Material fehlt.
Experten rechnen damit, dass sich der Gaspreis wieder normalisiert und damit auch die Kosten für den Stickstoffdünger. Doch klar ist: Die Produktionskosten werden auch sonst weiter ansteigen. Einen immer grösserer Posten werden in der intensiven Gemüseproduktion – auch ohne die aktuellen Energie- und Versorgungskrise – die Arbeitskosten einnehmen.
Die Schweizer Gemüsebranche ist zwar noch etwas besser dran als andere Länder wie Grossbritannien, wo es zusätzlich zur ohnehin bestehenden Personalknappheit mit dem Brexit bereits zu erheblichen Produktionsausfällen kommt. Der aktuell hohe Frankenkurs mag die Attraktivität der Schweizer Gemüsefelder zudem etwas zu verstärken.
Doch grundsätzlich wird es auch hier immer schwieriger, geeignetes Personal zu finden, schon gar nicht zum in der Branche festgelegten Mindestlohn. Dazu kommt das vieldiskutierte Thema der maximalen Wochenarbeitsstunden, die kantonal sehr unterschiedlich sind und von 45 Stunden im Kanton Genf bis zu 55 Stunden im Kanton Zürich reichen. In mehreren Kantonen gibt es politische Vorstösse, welche eine Reduktion der maximalen Wochenarbeitsstunden bei gleichem Lohn anstreben. Die Branche muss sich mittelfristig wohl oder übel auch hier auf höhere Kosten einstellen.
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