Kalettes: Nussiger Mix von Rosen- und Federkohl
Die Kreuzung zwischen Rosen- und Federkohl ist noch so neu, dass es eine Zeit dauerte, bis man sich auf einen Namen e...
Plastik oder Meer? Unterwegs zwischen den Gewächshäusern in El Ejido in Südspanien kann es tatsächlich passieren, dass auf den ersten Blick unklar ist, ob das Auge nun gerade Wasser oder Plastik sieht. Die Einheimischen in Almeria sprechen gerne vom «lokalen Gemüsegarten Europas».
Tatsächlich versorgt die Region vor allem in den Wintermonaten ganz Europa mit viel Peperoni, Auberginen, Gurken oder Tomaten. Die Kulturen profitieren hier von warmen Temperaturen und den sonnigen Tagen zwischen November und Februar. 70 Prozent der in der EU und in der Schweiz im Winter verkauften Auberginen kommen beispielsweise aus den Gewächshäusern von Almeria. Die Gemüse-Ernte nur aus dieser Region ist mehr als zehnmal höher als die gesamte jährliche Schweizer Frischgemüseproduktion.
Direktor Ramón Gil Pérez von der örtlichen Forschungsstation Las Palmerillas in El Ejido berichtet stolz, wie produktiv die Gemüsebranche in Almeria unterwegs ist: Die 33'000 Hektaren Gewächshausflächen bedeckten nur 0.24 Prozent von Spaniens landwirtschaftlicher Nutzfläche, erzielten damit aber 8 Prozent der Wertschöpfung des gesamten Agrarsektors.
Ein Wunder eigentlich in einer so trockenen, halbwüstenartigen Umgebung. Ohne Bewässerung geht da gar nichts. Aber war da nicht etwas mit einer Wasserknappheit in Spanien? Nicht in Almeria offenbar. Denn auch hier argumentiert Gil Pérez mit Effizienz: «Unsere Region benötigt für ihr Gemüse nur 1,8 Prozent des in ganz Spanien in der Landwirtschaft verwendeten Bewässerungswassers», erklärt er.
Von einem Wasserproblem will auch Jan van der Blom vom örtlichen Früchte- und Obsterzeugerverband Coexphal nichts wissen. Der holländische Entomologe lebt und arbeitet seit 30 Jahren in der Region. «Andere Regionen in Spanien haben sicher ein Wasserproblem», sagt er. Tatsächlich wurde in der Region Katalonien kürzlich der Wassernotstand ausgerufen, weil einige der wichtigen Stauseen für die Trinkwasserversorgung wegen der anhaltenden Dürre fast leer sind. Auch die Landwirtschaft muss dort nun mit weniger Wasser auskommen. Nicht so in Almeria.
Als vor über 50 Jahren die ersten Bauern in der zuvor kaum bewohnten Halbwüste um Almeria die ersten Gewächshäuser aufstellten, profitierten diese von einem riesigen natürlichen Grundwasserspeicher im Untergrund. Vor über 25 Jahren warnte der spanische Hydrologie-Professor Antonio Pulido von der Universität Granada noch vor einem drohenden Kollaps der Wasserversorgung als Folge einer absehbaren Übernutzung des Grundwassers.
Tatsächlich senkte sich der Grundwasserspiegel vorübergehend ab und das dort eindringende Meerwasser sorgte für eine Versalzung. Trotzdem ist der Kollaps ausgeblieben.
Weshalb? Wir fragen bei Antonio Pulido nach: «Heute ist das System tatsächlich wieder im Gleichgewicht», antwortet er. Was war passiert? Nach dem Bau mehrerer Entsalzungsanlagen kommt nun etwa 20 Prozent des Bewässerungswassers aus dem Meer, die Grundwasservorräte konnten sich so erholen.
Das Bewässerungswasser für die Gewächshäuser ist ein Mix von entsalztem Meerwasser, Grundwasser und überraschenderweise gesammeltem Regenwasser. Denn trotz trockenem Klima regnet es zwischendurch. Das Regenwasser decke einen Fünftel des Bewässerungswassers ab, sagt Jan van der Blom.
Digitale Hilfsmittel zur Bestimmung der Feuchtigkeit im sandigen Boden sorgen dafür, dass über die sparsame Tropfbewässerung nur so viel Wasser zu den Pflanzen gelangt, wie diese benötigen. Bei aller Effizienz und Technologie ist aber klar, dass der Bau von Hunderten von Entsalzungsanlagen an Spaniens Küste der eigentliche «Game-Changer» ist.
Rund drei Kilowattstunden Strom braucht es für die Entsalzung eines Kubikmeters Meerwassers. Würden dafür konsequent erneuerbare Energien aus Sonne und Wind verwendet – was noch nicht überall der Fall ist –, wäre das Ganze nachhaltig.
Für die regionale Gemüseproduktion ist die Meerwasserentsalzung auf jeden Fall überlebenswichtig. Nicht nur die Existenzen von über 14‘000 kleinstrukturierten Gemüsebetrieben stehen auf dem Spiel, sondern auch viele Tausend weitere Arbeitsplätze, die in direkter Verbindung zur Gemüseproduktion stehen.
Journalistinnen und Journalisten sind nicht so gerne gesehen in Almeria. Es sei denn, geführt in einer Gruppe mit Agrarjournalisten. Gegenüber dieser beklagt sich Juan-Carlos Pérez-Mesa von der interprofessionellen Organisation für Obst und Gemüse Hortiespaña über die oft unfaire Berichterstattung der Medien.
Ihm setzen vor allem die unschönen Bilder von illegalen, ausgebeuteten Migrantinnen und Migranten in schäbigen Unterkünften unter zerfetztem Plastikplanen zu. Doch diese seien eine Minderheit, sagt er. Je nach Quelle sind es nach Aussagen von Gewerkschaften zwischen 4000 und 5000 Menschen. Genaue Zahlen dazu gibt es allerdings nicht.
Die grosse Mehrheit der ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter in Almeria seien mit festen Arbeitsverträgen ausgestattet und lebten in fixen Behausungen, sagt der Verbandsvertreter. Der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn betrage über 1100 Euro bei einer 40 Stunden-Woche.
Die Kehrseite der Medaille: Wegen höheren Lohn- und Produktionskosten können die Tomaten preislich nicht mehr mit denen aus Marokko mithalten, weshalb die Exporte stark rückläufig sind. Viele Abnehmer in Europa verlangen zwar hohe Umwelt- und Sozialstandards, sind aber nicht bereit, die Mehrkosten dafür zu bezahlen.
Die örtliche Regierung unternehme einiges gegen die illegalen Migranten, sagt Jan van der Blom im persönlichen Gespräch am Telefon im Nachgang an den Besuch vor Ort. So seien viele der slumartigen Migrantencamps durch Containersiedlungen ersetzt worden. «Zudem werden Betriebe mit hohen Bussen bestraft, wenn sie Menschen illegal beschäftigen.»
Ganz verhindern lasse sich das Elend aber nicht. Dafür sei der Strom von verarmten Migranten aus dem nahen Afrika schlicht zu gross. Van der Blom spricht von einem unlösbaren, globalen Problem, von dem die Region Almeria mit seiner Nähe zu Afrika, den milden Temperaturen und der starken Nachfrage der Gemüseproduktion nach Arbeitskräften besonders betroffen sei.
«Es ist schon bedrückend, wenn das Elend aus diesen armen Ländern plötzlich bei dir ankommt», sagt er. Und es sei auch klar, dass es unter den Betrieben immer schwarze Schafe gebe, welche die Situation der illegalen Flüchtlinge ausnutzten. Trotz des für spanische Verhältnisse hohen Ausländeranteils von 21 Prozent spüre er aber in der Gegend keine Spannungen unter den vielen Nationen. Die meisten Leute seien gut in der Gemeinschaft integriert, so van der Blom. Das lassen wir an dieser Stelle einmal so stehen.
Neben der Wasserknappheit und ausgebeuteten Migranten in den Slums steht auch eine vermeintlich mangelnde Qualität des Gemüses zur Diskussion. Als vor vielen Jahren viel zu hohe Pestizidwerte in Paprika nachgewiesen wurden, brach der Absatz dramatisch ein.
«Das führte zu einer radikalen Umstellung der Produktionsmethoden», erklärt Jan van der Blom. Heute würden laut dem Entomologen die meisten Gewächshäuser nach den Prinzipien des kontrollierten, biologischen Pflanzenschutzes gemanagt.
Das heisst: Hummeln bestäuben die Kulturen oder Raubmilben bekämpfen Schädlinge. Der Klimawandel ist aber auch in den Gewächshäusern von Almeria spürbar. Beispielsweise wenn sich Blattläuse plötzlich viel früher und massenhaft vermehren, oder bisher unbekannte Schädlinge und Pilze auftreten. In solchen Extremfällen kämen zwar immer noch Pflanzenschutzmittel wie beispielsweise Schwefel zum Einsatz, erklärt van der Blom. Doch die Branche in der Region habe sich für einen «agrarökologischen» Weg entschieden, der ohne chemische Pestizide auskommt. Er weist darauf hin, dass rund 15 Prozent der Anbauflächen die Vorschriften des biologischen Landbaus erfüllten.
Auswärtige verirren sich leicht zwischen den Gewächshäusern in El Ejido. Das Gemüse bleibt für diese unsichtbar hinter dem Plastik, die Umgebung ist trostlos. Die Sicht der Einheimischen ist eine andere: Sie produzieren hier mit technischer Raffinesse auf sonst unwirtlichem Boden frisches, qualitativ hochstehendes Gemüse. Dieses verhalf der Region zu einem ansehnlichen Wohlstand.
Diesen wollen sie behalten, weshalb die Branche so einiges unternimmt, um die hohen Erwartungen der Abnehmer im restlichen Europa zu erfüllen. Trotzdem orientiert sich beispielsweise der Schweizer Detailhändler Coop bei den Tomaten wegen der in bestimmten Regionen in Spanien herrschenden Wasserproblematik in Richtung Albanien, wie der Coop-Chef in einem Zeitungsinterview ankündigte. Im Winter sind die Temperaturen dort offenbar ähnlich wie in Südspanien. Und: Diskussionen über knappes Wasser oder ausgebeutete Wanderarbeiter sind von dort bisher noch nicht zu hören.
Der Niederländer Jan van der Blom arbeitet seit 30 Jahren für die Gemüsebranche in Almeria. (ep)
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