Tierwohl in der Schweizer Milchproduktion: Herausforderungen und Chancen

Die Förderung des Tierwohls hat weltweit an Bedeutung gewonnen, doch wie stehen die Bemühungen der Schweizer Milchproduzenten im Vergleich zu unseren Nachbarn? Und wie viel Tierwohl und Tiergesundheit will der Schweizer Milchmarkt?
Zuletzt aktualisiert am 12. Oktober 2023
von Renate Hodel
4 Minuten Lesedauer
Melken Mr

Das jährliche Milchforum der Schweizer Milchproduzenten SMP brachte in diesem Jahr Vertreterinnen und Vertreter aus der Milchproduktion, Milchverarbeitung, Forschung und Konsum zusammen, um das Thema Tierwohl und Tiergesundheit im Kontext des Schweizer Milchmarktes zu beleuchten. Die Diskussion bot Einblicke in die Situation in der Schweiz und im internationalen Vergleich.

Tierwohl in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern

Obwohl es in der Schweiz historisch gesehen durchaus beispielhafte Massnahmen zur Förderung von Tierwohl und Tiergesundheit gegeben habe, unterscheide sich die Schweiz in dieser Hinsicht heute nicht mehr so stark von ihren Nachbarn, erklärte Luc Mirabito, Projektverantwortlicher «Tierwohl» am Institut de l’Élevage in Paris. Die grundlegenden Ziele der Tierhaltung, nämlich mehr Gesundheit und Tierwohl für die Tiere, seien weltweit gleich: «Ob in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, der Schweiz oder auch anderswo – Landwirte teilen denselben Wunsch, sich stetig weiterzuentwickeln und obwohl sich die Wege zur Erreichung dieser Ziele je nach den Gegebenheiten unterscheiden mögen, bleibt das Endziel unverändert», so Luc Mirabito.

Beim emotionalen Aspekt, der für das Tierwohl auch von grosser Bedeutung sei, habe die Schweiz auch aufgrund ihrer Strukturen die Nase aber nach wie vor vorn, betonte Landwirt Nicolas Berger: «Wir geben unseren Kühen Namen und pflegen emotionale Bindungen zu den Tieren – auch das fördert das Tierwohl und ich glaube, dass die Schweiz diesbezüglich im Vergleich zu einigen Nachbarländern, insbesondere im Osten, ein höheres Tierwohl bietet.»

2023 SMP Milchforum Grangeneuve Rho
Im Rahmen des Milchforums der SMP gab es Einblicke in den Schulbauernhof am Landwirtschaftlichen Institut des Kantons Freiburg. (rho)

Wie viel kostet Tierwohl?

Dass die Bestrebungen weltweit Richtung mehr Tierwohl zielten, liege ausserdem auf der Hand: «Wenn die Tiere wohl und gesund sind, steigert das die Milchproduktion und verbessert die Milchqualität – es ist wirtschaftlich sinnvoll», erklärte Nicolas Berger. Daher könne im Bezug auf Tierwohl auch nicht von Kosten gesprochen werden, führte er weiter aus: «Es sind vielmehr die steigenden Strukturkosten und Arbeitskosten, die Landwirtinnen und Landwirte vor Herausforderungen stellen und auch Regelungen, Bürokratie und Beschränkungen verursachen enorme Kosten, tragen jedoch kaum zum Tierwohl bei.»

Dass zwischen den Konsumentenforderungen nach möglichst hohen Tierwohlstandards und ihrem tatsächlichen Kaufverhalten dann zusätzlich Diskrepanz herrsche, sorge weiter für Spannungen, ergänzte Babette Sigg Frank, Präsidentin des Schweizerisches Konsumentenforums. Die Preise für Lebensmittel in der Schweiz seien historisch niedrig, so würden Konsumentinnen und Konsumenten nur etwa 6 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben: «Uns ist bewusst, dass dies im Kontrast zu den Anstrengungen steht, die Landwirte für das Tierwohl unternehmen», sagte Babette Sigg Frank. Angesichts der steigenden Kosten in anderen Lebensbereichen würden die Menschen aber oft dort sparen, wo sie eine Wahl und den grössten Einfluss hätten – bei den Lebensmitteln.

Um diese Kluft zu überbrücken, betonten sowohl Nicolas Berger als auch Babette Sigg Frank die Notwendigkeit einer verbesserten Kommunikation und Information über die Kosten und Anstrengungen, die mit der Produktion von hochwertigen, tierwohlorientierten Lebensmitteln einhergehen würden. «Wir müssen besser kommunizieren, welche Leistungen wir erbringen und was alles dahintersteckt, dann sind die Konsumentinnen und Konsumenten auch bereit, einen etwas höheren Preis zu zahlen», gab sich Nicolas Berger überzeugt.

2023 SMP Milchforum Diskussion Grangeneuve Rho
Milchforum-Podium unter der Leitung von Grégoire Nappey mit Matthew Robin, Babette Sigg Frank, Nicolas Berger und Luc Mirabito. (rho)

Tierwohl und Klima

Die Diskussion erörterte weiter auch die Frage, ob die Förderung des Tierwohls im Widerspruch zur Bekämpfung des Klimawandels steht. Hier betonte Luc Mirabito, dass es wichtig sei, einen ausgewogenen Ansatz zu finden, der sowohl Umweltschutz als auch Tierwohl berücksichtige: «Aus Tierwohlgründen sollen die Kühe unbedingt draussen weiden können – aus Klimaschutzsicht kann diese Aussage aber durchaus auch gegenteilig lauten.» Die Balance zu finden, sei eine Herausforderung, der sich Landwirtinnen und Landwirte sowie die Gesellschaft gemeinsam stellen müssten.

«Was gut ist fürs Tierwohl, ist oft nicht unbedingt gut fürs Klima und umgekehrt», gab Nicolas Berger zu bedenken. So sei sein Stall hinsichtlich Klimaschutz nicht optimal, mit Blick auf das Tierwohl aber schon: «Unser Stall ist sehr offen und die Emissionen gehen direkt in die Luft – aus klimatischer Sicht müsste der Stall komplett geschlossen sein, was das Tierwohl stark beeinträchtigen würde.» Um das Klima zu schützen, müsse darum zuerst in anderen Bereichen wie den Verkehrsemissionen angesetzt werden, glaubt er. «Aber auch in der Landwirtschaft gibt es sicher Ansätze für den Klimaschutz, die das Tierwohl nicht beeinträchtigen müssen», ergänzte der Landwirt. Er sieht Ansätze in der Zucht und Nahrungsergänzungsmitteln, um Emissionen zu reduzieren, ohne das Wohlergehen der Tiere zu gefährden.

Die Zukunft der Debatte

Abschliessend blickten die Teilnehmenden auf die zukünftige Entwicklung des Themas Tierwohl. Babette Sigg Frank warnte vor einer düsteren Perspektive, in der das Tierwohl möglicherweise in den Hintergrund gedrängt werde: «Ich befürchte, dass in fünf Jahren unser Weltgefüge so auseinandergefallen ist, dass das Tierwohl überhaupt kein Thema mehr sein wird und wir froh und dankbar sein werden, dass wir überhaupt noch etwas zu essen haben.»

Im Gegensatz dazu glaubt Matthew Robin, CEO der ELSA Group, dass das Tierwohl auch in Zukunft eine Rolle spielen wird, wenn auch im Spannungsfeld mit den wachsenden Anliegen des Klimaschutzes: «Tierwohl bleibt etwas Grundlegendes für Konsumentinnen und Konsumenten und die ganze Wertschöpfungskette wird in der Pflicht sein, Lösungen zu finden – ich bin aber überzeugt, dass die Branche Lösungen finden wird, um die Balance zwischen Tierwohl und Klimaschutz zu wahren.»

Die Herausforderung für die Branche besteht also darin, die Kluft zwischen den steigenden Anforderungen an Tierwohl und den niedrigen Lebensmittelpreisen zu überbrücken, indem die Öffentlichkeit besser über die Bemühungen der Landwirtinnen und Landwirte informiert wird. Gleichzeitig müssen Lösungen gefunden werden, die sowohl dem Tierwohl als auch dem Umweltschutz gerecht werden, um den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden.