Robust, resilient, revolutionär

Der Druck, der auf der Ernährungsbranche lastet, ist gross: CO2-Emissionen, Tierwohl und Pflanzenschutz sind einige der Themen, die wiederkehrend für Schlagzeilen sorgen. Gleichzeitig drohen Missernten infolge von Wetterkapriolen oder nicht mehr zugelassenen Pflanzenschutzmitteln. Am Ostschweizer Food Forum ging es deshalb auch um Robustheit und Resilienz.
Zuletzt aktualisiert am 14. März 2024
von Harry Rosenbaum
4 Minuten Lesedauer
2021 Tafelpfel Lid

Die Veranstalter hatten für den Traditions-Event Referenten und Referentinnen eingeladen, die – gewissermassen als Druckausgleich – für Robustheit, Renitenz, Resilienz und Revolution in der Branche plädierten. Mit ihren engagierten Voten konnten sie denn auch bei den Besucherinnen und Besuchern des Forums für eine Bewusstseinserweiterung sorgen. Was sich in den anschliessenden Gesprächen und Diskussionen zeigte.

Robust – Sorten von Morgen

Wenn der Apfel eine marktgerechte Zukunft haben will, dann braucht es robustere Sorten. Darüber referierte Benno Neff. Er ist Geschäftsführer bei der Tobi Seeobst AG. Das Thurgauer Unternehmen mit Hauptsitz in Bischofszell und Standorten in Egnach und Güttingen versteht sich als Drehscheibe zwischen Produktion und Kunden. Es ist in den Bereichen Kernobst, Beeren und Steinobst tätig und beschäftigt über 100 Mitarbeitende. Rund 450 Produzenten beliefern die Tobi Seeobst AG. Zum Kerngeschäft des Unternehmens gehören die Lagerung, das Sortieren, das Verpacken und der Verkauf der Produkte.

Warum braucht es künftig robustere Apfelsorten? Pflanzenschutzmittel würden immer kritischer beurteilt und die Energie, die es für die Obst-Produktion brauche, werde immer teurer, sagte Benno Neff. Zudem würde die Klimaveränderung bei der Ernte für Unwägbarkeiten sorgen, und die Produzenten seien auch zunehmend mit neuen Schädlingen und Krankheiten konfrontiert. Auch müssten steigende Bioflächen für den Anbau bereitgestellt werden. Die Produzenten seien bei der Anpassung an diese Verhältnisse stark gefordert.

Anspruchsvolle Vermarktung

Auch die Vermarktung robusterer Apfelsorten ist anspruchsvoll. Die Bekanntheit etablierter Sorten falle dabei stark ins Gewicht, meinte Benno Neff. Aber auch der beschränkte Platz an den Verkaufsorten sei ein Problem. Eine Rolle spielten zudem partikulare Interessen, wie Sortenrechte und Kosten. Ebenfalls beachtet werden müssten staatliche Interventionen und die Kommunikation.

Mit welchen weiteren Herausforderungen sind die Produzenten robusterer Apfelsorten konfrontiert? Benno Neff erwähnte die langen Züchtungszyklen. Es gäbe auch wenig potente Züchtungsprogramme. Ferner müssten je nach Anbauregion auch unterschiedliche Züchtungsziele definiert werden.

Benno Neff verwies auch auf die neuen genomischen Züchtungsmethoden, die schnellere und gezieltere Ergebnisse bei Mehrfachresistenzen zeigten. Zudem könnten bestehende Sorten in diesem Zusammenhang auch verbessert werden. Aktuell bietet die Tobi Seeobst AG robuste Apfelsorten  unter den Marken Swing Apples, Bonita, Bloss und Magic an.

Renitent – Listerien, gefährliche Überlebenskünstler

Listerien (L. monocytogenes) stellen für die Lebensmittelindustrie eine ernsthafte Bedrohung dar. Rückrufe von Produkten in diesem Zusammenhang können ein Unternehmen in den Ruin treiben, wenn solche Aktionen wiederholt erfolgen. Die Bakterien sind sehr renitent. Haben sie sich einmal festgesetzt, bringt man sie nur schwer wieder aus den Betrieben heraus. Listerien werden vornehmlich durch Lebensmittel übertragen. Sie führen bei einer Infizierung zu Erkrankungen unterschiedlichen Grades. Schlimmstenfalls endet der Befall tödlich.

Prof. Lars Fieseler von der ZHAW Wädenswil kennt sich bei diesen gefährlichen Überlebenskünstlern unter den Bakterien bestens aus. Er beschrieb sie am Food Forum als stäbchen-förmig, ohne Sporenbildung. Entfernte Verwandte hätten sie bei den Milchsäurebakterien.

Schwer zu entdecken

Sind sie einmal da, sind sie nur schwer zu entdecken, können aber trotzdem nicht ganz inkognito ihr desaströses Werk betreiben. Auf Verdacht hin lassen sie sich mit dem Gram-Färbungstest aufspüren. Dabei verfärben sie sich bläulich und werden dadurch erkannt. Aber eben, Listerien haben einen Hang zur Renitenz, den sie durch Anspruchslosigkeit und Widerstandsfähigkeit untermauern. Sie können bei Temperaturen von 1 Grad Celsius immer noch wachsen. Kühlung hemmt sie nur wenig. Das Wachstumsoptimum liegt zwischen Temperaturen von 30 bis 37 Grad Celsius.

Hauptinfektionsquellen seien kontaminierte Lebensmittel, sagte Lars Fieseler. In den letzten 10 Jahren hätte es in der Schweiz durchschnittlich pro Jahr 54 Fälle von Listeriose gegeben. Die Erkrankungen seien meldepflichtig und mit Antibiotika gut therapierbar.

Bei Listeriose erfolge keine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch, führte Lars Fieseler weiter aus. Die Krankheit könne direkt von Tieren (Zoonose) auf Menschen übertragen werden. Primär gelangten L.monocytogenese jedoch über kontaminierte Rohwaren (tierische und pflanzliche Produkte) in die Lebensmittel. Durch Pasteurisierung lasse sich L.monocytogenese gut abtöten.

Schnelles und strategisches Handel erforderlich

Tauchen Listerien in einem Lebensmittelbetrieb auf, muss schnell und strategisch überlegt reagiert werden. Darüber referierte Patrick Wirth, Geschäftsführer der Bamos AG. Das Unternehmen betreibt in Bazenheid (SG) ein modernes Labor für Analytik und bietet eine Vielzahl von mikrobiologischen und chemischen Methoden zur Untersuchung von Milch, Milchprodukten, Wasser, diversen Lebensmitteln und Futtermitteln an.

Als erste Massnahme bei Listerien-Befall rät Patrick Wirth eine Risikoeinschätzung, HCCP (Hazard Analysis and Critical Control Points). HCCP beinhaltet Gefahrenanalyse und kritische Kontrollpunkte. Ein systematischer Ansatz zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit.

Als zweite Massnahme empfiehlt der Fachmann das Pathogen-Monitoring. Das Risiko einer umfeldbedingten Kontamination kann so abgeschätzt und in definierte Massnahmen umgesetzt werden. Dritter Schritt ist die Versicherungsfrage und der vierte die Ausarbeitung eines Notfallplans für Listerien-Ereignisse.

Ein effizientes Listerien-Monitoring muss laut Patrick Wirth prioritär die Vermeidung von Listerien-Einschleppungen zum Ziel haben. Dazu gehöre u. a. die regelmässige Überwachung der Betriebsabläufe und ein Alarmsystem.

Resilient – Burnouts in der Land- und Ernährungswirtschaft

Die Ernährungswirtschaft ist in diesen technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchzeiten massiv unter Druck. Das schlägt nicht nur auf die Physis, sondern auch auf die Psyche, vielfach auf beides gleichzeitig durch. Folge für viele Beschäftigte in der Ernährungswirtschaft ist ein Burnout.

Darüber referierte Stephan Scherrer. Er ist mit eigener Praxis in Zürich als Psychologe, Coach, Dozent, Psychotherapeut, Supervisor, Team- und Organisationsentwickler tätig.

Burnout ist für Stephan Scherrer sehr komplex. Er definierte den Zustand als eine Stressfolge-Erkrankung. Die Ursache sei ein Erschöpfungs-Syndrom, eine Sinnkrise. Anthropologisch baue sich ein Burnout über längere Zeit auf. Und weiter: Die Burnout-Dynamik entstehe aus einer Wechselwirkung zwischen personenbezogenen (individuellen) und kontextabhängigen (organisatorischen, strukturellen, sozialen) Faktoren.

Soziales Netz hilft

Es gehe stets um einen Prozess, der multifaktoriell funktioniere. Arbeit und Partnerschaft wie Familie und Freunde, aber auch Gesundheit und Lebensumstände wie Wohnen, Finanzen etc. seien daran beteiligt.

Die Sinnkrise, die im Burnout stecke, sei auch eine Stagnations- und Entwicklungskrise, sagte Stephan Scherrer. Ein Burnout habe die Form einer modernen Lebenskrise. Menschen mit Burnout bräuchten Halt, Sicherheit und Klärung. Stephan Scherrer empfiehlt Normalisieren anstatt Katastrophisieren.

Was tun bei Verdacht auf ein Burnout? Transparenz schaffen, sagte Stephan Scherrer, den Zustand ansprechen, aber nichts forcieren. Möglichkeiten wo sich Handlungsspielraum zeige, sollten ausgelotet werden. Wichtig sei es bei einem Burnout Unterstützung zu holen beim Hausarzt oder beim Psychotherapeuten.

Wie kann man sich vor einem Burnout schützen? Der Zürcher Psychotherapeut rät zu regelmässigen körperlichen Aktivitäten, etwa dreimal 30 Minuten pro Woche. Wichtig seien auch erholsamer und genügend Schlaf, eine vernünftige Ernährung, ein tragfähiges soziales Netz und unterstützende Beziehungen aufzubauen.

Revolutionär? Kultiviertes Fleisch

Bei kultiviertem Fleisch geht es um die künstliche Herstellung von Fleisch, womit unter anderem Ressourcen eingespart werden sollen. Hergestellt wird es mittels Zellkulturen. In einigen Ländern, wie Singapur, Israel und den USA gäbe es bereits Zulassungen, hingegen hinke Europa diesbezüglich noch hinterher, erklärte Anna Bünter vom ETH-Spinn-Off Sallea. Sie wies daraufhin, dass die Herstellungspreise zuletzt massiv gesunken seien und mittlerweile bei unter 50 Dollar pro Kilo lägen. Die Akzeptanz bei den Konsumentinnen und Konsumenten hänge stark von der Kommunikation und den Informationen über die Technologie und die Produkte ab.

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