Das Direktzahlungssystem braucht frischen Wind – und weniger Bürokratie

Vor 30 Jahren führte die Schweiz Direktzahlungen ein. Ein Anlass zum Feiern oder zum Wandel? Zwar könne man die Entschädigung für nicht marktfähige Leistungen würdigen, jedoch nicht die allzu komplexe Ausgestaltung des aktuellen Direktzahlungssystems, so der Tenor einer Podiumsdiskussion.
Zuletzt aktualisiert am 16. November 2023
von Jonas Ingold
4 Minuten Lesedauer
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Lange Zeit bestimmte der Staat in der Schweiz, was, in welcher Menge und zu welchem Preis Landwirtinnen und Landwirte produzieren sollten. «Wenn der Staat alles lenkt, dann tut er das langsam und nicht immer richtig», bemerkte Bauernverbandspräsident und Nationalrat Markus Ritter am Seeländer Forum am Inforama in Ins.

Butterberge und Milchseen waren unter anderem die Folgen dieser damaligen Agrarpolitik. Die Einführung der Direktzahlungen im Jahr 1993 und die darauf folgenden Agrarpolitik-Reformen führten schliesslich zum neuen Landwirtschaftsgesetz, das 1999 in Kraft trat.

Hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung

Die Akzeptanz der Direktzahlungen in der Bevölkerung ist laut Ritter auch heute hoch. Gemäss Umfragen des SBV unterstützen rund 80% der Bevölkerung diese Zahlungen.

Andreas Wyss, Agronom und in der Berner Landwirtschaft bekannt als ehemaliger Geschäftsführer des Berner Bauernverbandes, betonte, dass zwar kaum jemand in der breiten Bevölkerung das genaue Direktzahlungssystem verstehe. Dennoch sei allgemein akzeptiert, dass Landwirtinnen und Landwirte für ihre Leistungen finanziell entschädigt werden. «Dies führt jedoch zu Erwartungen an die Landwirtschaft, die ganz unterschiedlicher Natur sind», sagte er.

«Das System muss schlanker und handhabbarer werden.»
Markus Ritter

Administrative Belastung wird immer grösser

Die Akzeptanz in der Landwirtschaft selbst sei zwiespältig, so Markus Ritter. Der Bauernverbandspräsident merkte an, dass die immer grösser werdende administrative Belastung Sorgen und Ängste bei den Bauernfamilien verursache. «Wir müssen diese Sorgen und Nöte der Direktbetroffenen sowie der vollziehenden Kantone ernst nehmen», erklärte Ritter. Daher sei es jetzt notwendig, die Weichen für ein einfacheres System bei der nächsten grossen Agrarpolitik-Reform im Jahr 2030 zu stellen.

Die zunehmende Bürokratie war ohnehin dominierendes Thema der Veranstaltung. Bei der Frage nach «Feiern oder Wandel» hob ein überwältigender Anteil des Publikums, hauptsächlich Landwirtinnen und Landwirte, die Hand für «Wandel».

«Es ist Zeit für einen Wandel. Gerade bei der jüngeren Generation sehe ich dieses Bedürfnis sogar noch stärker als hier im Saal», bekräftigte Winzerin Katja Riem, die kürzlich in den Nationalrat gewählt worden ist. Markus Ritter stimmte zu: «Das System muss schlanker und handhabbarer werden.»

«System neu bauen»

Andreas Wyss sieht Anlass fürs Feiern und einen Wandel: «Wir können feiern, dass die Landwirtschaft dank Direktzahlungen für nicht marktfähige Leistungen entschädigt wird. Aber das System, auf das die Direktzahlungen aufbauen, muss nicht weiterentwickelt, sondern neu gebaut werden.»

Ein grundlegender Fehler sei, dass beim aktuellen System alle Betriebe gleich angeschaut würden. Das sei eine vollkommen falsche Grundlage. «Die kompetentesten Personen – die Bäuerinnen und Bauern - werden in eine Richtung gelenkt. Beim Übergang zur heutigen Agrarpolitik wurde zu wenig darauf geachtet, dass der Staat nicht alles steuern kann.»

«Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen Schweizer Produkte. Und wir können sie nicht liefern, weil wir nicht bauern dürfen»
Katja Riem

Schwieriger Systemwechsel

Marcel von Ballmoos-Hofer, Landwirt und Geschäftsführer der Kontrollorganisation KUL/Carea, warf ein, dass ein Umbruch Verbesserungen bringen könne, aber dies sei alles andere als einfach, wenn man die Alternativen betrachte. Die Bäuerinnen und Bauern seien anpassungsfähig, aber das System werde immer schwieriger, bestätigte auch er. Die kommende Anforderung von 3,5% Biodiversitäts-Förderfläche sei eine grosse Herausforderung, auch für die Kontrollstellen.

Die Frage von Moderator Martin Freund an Katja Riem, ob die administrativen Hürden die Arbeit auf dem Betrieb erschweren, wurde bejaht: «Als Winzerin auf jeden Fall, wenn ich daran denke, wie viel Zeit ich deswegen im Büro verbringe, die ich für die Weinvermarktung nutzen könnte. Zudem ist die Ungewissheit über die künftige Ausgestaltung der Agrarpolitik sehr schwierig. Ich hoffe, dass wir künftig eine bessere Planungssicherheit haben.»

Ideen gefordert

Riem betonte auch, dass Ideen für eine neue Agrarpolitik dringend nötig seien. «Die Vorschläge, wie die neue Agrarpolitik ab 2030 aussehen soll, fehlen noch. Die müssen jetzt kommen», sagte sie als Appell an die anwesenden Landwirtinnen und Landwirte. Sie vertrat die Meinung, dass die Praktiker nicht nur mit ihren Sorgen zum Bauernverband gehen sollten – wie von Markus Ritter gefordert – sondern selbst Vorschläge einbringen sollten.

Allerdings waren sich Riem und Ritter in diesem Punkt nicht einig: «Die Bauernfamilien können nicht melken, ernten, die Buchhaltung führen, Formulare ausfüllen und dann noch selbst die Agrarpolitik gestalten. Das ist unser Job beim Bauernverband.»

Der SBV habe eine schwierige Rolle, da bei einem Neuanfang vielleicht jemand aus der Landwirtschaft etwas verlieren werde, so Riem. «Aber kein Bauer muss eine neue Agrarpolitik schreiben. Jedoch könnte z.B. die Landwirtschaftliche Organisation Seeland ein Positionspapier einreichen, womit wir dann arbeiten können. Wenn wir neue Strukturen wollen, braucht es die Inputs der Basis», so Riem.

Andreas Wyss kritisierte, dass die Landwirtschaft vor der Agrarpolitik 2014-17 zu wenig gesagt habe, was sie wolle. «Es ist falsch, immer jemanden zu haben, der uns sagt, wie es gehen soll, und wir lehnen das dann ab. Auch beim Absenkpfad haben wir Ja dazu gesagt, aber verpasst zu sagen, wie es funktionieren soll.» Er habe Respekt davor, dass man bei der AP 2030 wieder dasselbe mache. «Wir sollten uns nicht zu lange darüber sorgen, was nicht gut ist. Wir müssen vorwärts gehen und schauen, wie es besser geht.»

«Das System muss nicht weiterentwickelt, sondern neu gebaut werden»
Andreas Wyss

Konkrete Massnahmen?

Gegen Ende der Diskussion ergriff Jürg Iseli, Präsident des Berner Bauernverbandes, das Wort. Er wollte von den Podiumsteilnehmern konkrete Massnahmen wissen, was für die künftige Agrarpolitik getan werden müsse.

«Wir müssen unsere Regelungen den Bedürfnissen der Bevölkerung anpassen und marktnäher werden. Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen Schweizer Produkte. Und wir können sie nicht liefern, weil wir nicht bauern dürfen», so Katja Riem.

«Wir müssen den Betrieb ins Zentrum stellen und dessen Eigenverantwortung stärken. So können wir die Leistungen am Markt in Wert setzen», erklärte Andreas Wyss.

Marcel von Ballmoos-Hofer schlug vor: «Wir müssen bei den Programmen reduzieren, damit der Aufwand sinkt. Gute Betriebe sollten durch weniger Kontrollen entlastet werden. Die Branche soll mithelfen, schwarze Schafe zu finden. Ein gezieltes Kontrollwesen für diese entlastet die anderen Betriebe.»

Für Markus Ritter steht fest: «Wir müssen nicht nur Abstimmungen, sondern auch Wahlen gewinnen. Die besten Ideen bringen nämlich nichts, wenn wir keine Mehrheiten haben. Dank den erfolgreichen Wahlen kommen wir nun in eine Phase, in der wir agieren können. Die nächsten vier Jahre müssen wir nutzen, um positive Veränderungen hinzubekommen.»

«Gute Betriebe sollten durch weniger Kontrollen entlastet werden.»
Marcel von Ballmoos-Hofer