Zaghafte Revolution bei Braunvieh und Verband

Ungebremst schreitet ab Mitte des letzten Jahrhunderts die Entwicklung der Braunviehzucht und ihres Verbandes voran. Langsam halten technische Neuerungen Einzug in den Zuchtalltag. Neuerungen, die trotz anfänglicher Zurückhaltung schliesslich zu einer wahren Revolution führen.
Zuletzt aktualisiert am 30. Juni 2022
von Uli Schläpfer
4 Minuten Lesedauer
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Schweizer Kuh mit internationalem Ruf

Folge 6/12. Dieses Jahr feiert Braunvieh Schweiz sein 125. Verbandsjubiläum. Eine gute Gelegenheit, in den Archiven zu stöbern und einen Blick in die Geschichtsbücher zu werfen. In den nächsten zwölf Monaten werden wir Beiträge jeder Dekade von der Gründung bis heute publizieren und einen Blick in die Zukunft werfen.

Neben der langjährigen Zucht auf ein schönes Exterieur entwickelte sich immer mehr eine zweite Richtung: die Leistungszucht, die auf einen guten Milchertrag abzielt. Der steigende Stellenwert kann am deutlichsten in den Neuauflagen der «Anleitung zur Beurteilung des Braunviehs» herausgelesen werden, die 1928, 1940 und 1955 erschienen sind.

Sprach man anfänglich von einer Erscheinung der neuen Zeit und von Schwierigkeiten in der Durchführung der Leistungsprüfung, die kaum zur Regelmässigkeit werden könnte, so wurde später die Sprache schon deutlicher:

«Die Milchleistungsprüfung ist eine notwendige Ergänzung zur Exterieur-Beurteilung und kann umso weniger entbehrt werden, je hochstehender eine Zucht ist. Die Milchkontrolle sollte mindestens alle Herdebuchtiere erfassen.»

Weitere 15 Jahre später (1955) ist der eigentliche Durchbruch zu erkennen. Im Vorwort der Anleitung heisst es: «Form und Leistung sollen in Zukunft die gleiche Betonung erfahren.»

1948 wurde die Milchleistungsabstammung für die Stiere am Zuchtstiermarkt Zug als verbindlich erklärt. 1954 wurde die Eigentümerwägung durch die offizielle Milchkontrolle ersetzt und 1958 wurde die Bestandeskontrolle im Berggebiet eingeführt.

Wachstum der Rindviehzucht und des Verbands

In den 50er- bis Anfang 60er-Jahre zählte der Verband rund 820 Zuchtgenossenschaften mit etwa 36'000 Mitgliedern und knapp 200'000 Herdebuchtieren. Eine wichtige Zeit für die Schweizer Rindviehzucht war gekennzeichnet durch das Inkrafttreten der Verordnung über die Rindvieh- und Kleinviehzucht (TVO) im August 1958.

Trotz erheblichen «Geburtsschwierigkeiten» wurde schliesslich ein ausgesprochen zukunftsorientiertes Werk geschaffen. Neben grundlegenden Bestimmungen über die Beurteilung und Anerkennung der männlichen Tiere und das gesamte Zuchtwesen enthielt die Verordnung auch Angaben über die Ausrichtung und Verwendung der Bundesbeiträge. Mit der Bereitstellung von namhaften Mitteln beanspruchte der Bund aber auch die Oberaufsicht über die Ausführung der züchtungstechnischen und wirtschaftlichen Massnahmen. Er verpflichtete auch die Kantone zu Beitragsleistungen, zur Durchführung von Leistungsprüfungen, zu Beratungsdiensten und zur Anerkennung und Aufnahme der Tiere in das Herdebuch. Darüber hinaus enthielt die Verordnung auch fünf Artikel über die künstliche Besamung.

Künstliche Besamung: Vom Spott zum Siegeszug

Genau mit der künstlichen Besamung taten sich die Braunviehzüchter schwer. Diese neue Technik, die sich Mitte der 1940er-Jahre in den europäischen Ländern stark verbreitete, wurde als eine Folge des 2. Weltkrieges betrachtet, die den Züchtern zur raschen Vermehrung der Viehbestände aufgezwungen werde, aber sicherlich zeitlich begrenzt sein würde.

Eine Delegation des Vorstandes reiste immerhin zur Abklärung nach England (1949) und kehrte mit einem negativen Ergebnis zurück, das zu einer scharfen Resolution gegen die KB an der Delegiertenversammlung 1950 führte. Zwei Jahre später wurde dennoch eine Anwendung zur Seuchenbekämpfung sowie zur besseren Ausnutzung wertvoller Vatertiere erlaubt. Im Jahre 1961 wurde der Schweizerische Verband für künstliche Besamung (SVKB) gegründet und erst in letzter Minute stimmte der Vorstand der Mitgründung und Zeichnung von 10 Anteilscheinen zu.

Zunächst in kleinem Rahmen

Die Anzahl Tiere, die mit KB-Stieren besamt wurden, blieb sehr klein; 1963 wurden lediglich 3% des deckfähigen Bestands künstlich besamt. Aus KB stammende Nachkommen wurden auf den Abstammungsausweisen deklariert und als zweitklassig eingestuft. Auch die KB-Stiereneinkaufs-Kommission versuchte man lächerlich zu machen, indem z.B. der am ZM Zug von 1966 gekaufte Stier Delwin demonstrativ keine Herdebuchberechtigung erhielt. Später, als Delwin trotzdem über Umwege in die KB gelang, wurde er zusammen mit Markus und Gallus zu einem der grossen Vererber der damaligen Zeit.

Erst nach der Vereinbarung zwischen dem Braunviehzuchtverband und dem SVKB über die Herdebuchzucht, die Beschaffung von Depotstieren, die gezielte Paarung und den Testeinsatz von Prüfstieren 1966, stieg die Anzahl Besamungen etwas an und erreichte 1968 etwa 29% der Anpaarungen. Der Siegeszug der künstlichen Besamung erreichte die Schweiz erst viel später, Ende der 70er-, anfangs 80er-Jahre. So wurden 1984 von den Stieren Improver und Markus fast 19'000, bzw. 15'000 Kälber markiert.

Neuerungen bei der Milchleistungsprüfung

1953 wurden erstmals die Ergebnisse der Milchkontrolle über das Lochkartenverfahren statistisch ausgewertet. Sechs Jahre später schaffte die Herdebuchstelle eine eigene Lochkartenanlage an. Bei der Revision des Regulativs betreffend der Milchleitungsprüfung im Jahre 1954 wurden die monatlichen offiziellen Kontrollwägungen anstelle der Eigentümerwägungen gesetzt sowie die Standardlaktation von 305 Tage eingeführt. Ein Jahr später wurden die ersten jährlichen Kurse für Milchkontrolleure durchgeführt. 1958 wurde die Bestandeskontrolle eingeführt. Die Einzelkontrolle blieb aber anfänglich noch zulässig.

1959 wurden erstmals Produktionsstufen für die Bewertung der Milchleistung nach Standort und Alpung benutzt und ein Jahr später wurde die Nachzuchtprüfung auf Milchleistung nach der Methode des Vergleichs der Töchterleistung mit den gleichaltrigen und gleichzeitigen Genossenschaftsgefährtinnen gemacht. Im selben Jahr wurde erstmals das Dauerleistungsabzeichen vergeben. Später, im Jahre 1963 konnte die Leistungsbewertung mittels Leistungspunkten (LP) eingeführt werden.

Weitere Geschehnisse zwischen 1952 und 1963

1953 wurden erstmals die Nachzuchtprüfungsergebnisse nach dem neuen Reglement veröffentlicht. Ein Jahr später wurden die Karteikarten in der Zuchtbuchführung eingeführt. 1956 wurden erstmals 25 Stück Braunvieh an der schweizerischen Viehausstellung an der OLMA präsentiert. Im Jahre 1958 wurden die Abstammungsausweise angepasst, wobei die vierte Ahnengeneration weggelassen wurde und dadurch die Eintragung sämtlicher Leistungen der Mutter und der beiden Grossmütter Platz fanden.
1960 wurde das Reglement über Halteprämierungen und Zuchtfamilienschauen revidiert, wobei die Leistungsanforderungen erhöht wurden und nur die erste Nachkommengeneration Berücksichtigung fand.