Schweizer Pflichtlagerhaltung: Stabilisierung und Zukunftssicherung in Krisenzeiten
Die Pflichtlagerhaltung sichert in der Schweiz wichtige Güter wie Getreide und Zucker. Zuletzt war die Pflichtlagerha...
Iurii Mykhaylov: Als ich die Farm betrat sah ich als erstes die Konstruktion eines Gebäudes. Was bauen Sie?
Serhii Iakovenko: Am 26. Februar 2022 eroberten Russen das Dorf, die sich auf dem Weg von Belarus nach Kyiv befanden. Vom 26. Februar bis zum 30. März 2022 besetzten sie den Hof. Die Russen kamen in der Überzeugung, sie hätten uns befreit. Aber als sie erfuhren, dass sie hier nicht willkommen waren und als Besatzer galten, begannen sie zu wüten. Als Vergeltung zerstörten sie das Eigentum der Farm. Sie sprengten Lagerhallen mit einer Fläche von 4500 Quadratmetern, in denen vier Tonnen Getreide gelagert waren und die komplett vernichtet wurden. In diesen Lagerhallen waren auch Pflanzenschutzmittel und 400 Tonnen Dünger gelagert. Fast alles verbrannte. Nach dem Brand konnte ich eine kleine Menge Dünger retten, die ich später bei der Aussaat im vergangenen Jahr verwendet habe. Aber bevor die Russen die Lagerhäuser in die Luft jagten, stahlen sie 70 Tonnen Diesel. Da ich das Getreide der neuen Ernte lagern musste, entschied ich mich, ein neues Lager zu bauen, anstatt zu versuchen, die zerstörten zu restaurieren. Vielleicht repariere ich sie später. Ich hoffe, den Bau des neuen Lagers vor Beginn der neuen Ernte abschliessen zu können.
Ich sah auch Gruppen von Arbeitern, die an der Konstruktion und Restaurierung von Maschinen beteiligt sind. Wie schwer wurde die Ausrüstung durch die Russen beschädigt?
Die Ausrüstung wurde komplett zerlegt. Die Russen entwendeten Batterien, Scheinwerfer, elektrische Geräte, Anlasser, Elektronik von Sämaschinen. Sie entfernten sogar die Sitze und die Lenkräder von Erntemaschinen und dem Sprühgerät. Vor der russischen Invasion standen auf dem Hof 15 Traktoren, 15 Lastwagen, sieben Erntemaschinen und ein Kverneland-Sprühgerät, das ich nur wenige Tage vor der Invasion bezahlt habe. Ich restaurierte die Ausrüstung, nutze einige zerlegte Maschinen für Ersatzteile. Ausserdem kaufte ich Ersatzteile überall in der Ukraine, bestellte im Internet, reiste persönlich durch die Ukraine auf der Suche nach den Teilen.
Beschäftigen Sie die gleiche Anzahl von Arbeitern wie vor der russischen Invasion?
Vor dem Krieg arbeiteten etwa 30 Arbeiter auf dem Hof. Fünf Arbeiter halfen dabei, die russischen Kriegsgeräte ausfindig zu machen und die Informationen an die ukrainischen Streitkräfte weiterzuleiten. Diese starteten dann Artillerieangriffe auf die identifizierten Ziele. Vier der fünf Arbeiter wurden von den Russen gefangen genommen und mitten im Dorf erschossen. Danach wurden an ihren Leichen Stichwunden festgestellt, sie wurden also zuvor gefoltert. Ein weiterer Arbeiter wurde in die Reihen der Streitkräfte der Ukraine eingezogen. Aktuell sind 25 Arbeiter auf dem Hof beschäftigt.
Ihr Hof befindet sich in der Nähe des Dorfes. Wie hat sich die Besetzung auf die Gemeinde ausgewirkt?
Vor dem Krieg lebten ca. 900 Menschen in unserer Gemeinde, heute sind es ca. 200 Menschen weniger. Die meisten von ihnen haben die Ukraine verlassen und sind bis heute nicht zurückgekehrt. Auch wurden mehrere Familien durch Beschuss und Bombenangriffe getötet. Mehrere Häuser wurden komplett zerstört, viele Häuser beschädigt. Obwohl wir vor dem Krieg eine eigene Kranken- und Hebammenstation hatten, war unsere Gemeinde nach der Ankunft der Russen komplett umzingelt und wir hatten grosse Probleme mit der medizinischen Versorgung, vor allem wegen des Mangels an Medikamenten. Es gab einen Fall, als wir einen Krankenwagen aus einer nahe gelegenen Stadt riefen, aber die Russen ihn nicht passieren liessen. Die Psyche der Menschen erlitt den grössten Schaden, sie erlitten ein gewaltiges Trauma.
Sie sind in der Getreideproduktion tätig. Wie haben sich Ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit dem russischen Angriff verändert?
Die Böden hier sind lehmig-sandig, daher habe ich vor der russischen Invasion etwas mehr als 2000 Hektar Land bestellt, auf dem ich Roggen, Weizen, Sonnenblumen, Mais und Raps anbaute, etwa 400 Hektar je Kultur. Nach dem Rückzug der Russen stellte sich heraus, dass grosse Flächen vermint waren. Das ukrainische Militär half, 1500 Hektar Land rasch von Minen zu befreien, so dass ich auf nicht verminten Feldern Feldfrüchte anbauen konnte. Aber noch immer sind etwa 500 Hektar vermint. Ich glaube, Sie haben die entsprechenden Warnzeichen auf dem Weg hierher bemerkt. Dennoch war es möglich, die Felder zu besäen, wobei die Kulturstruktur leicht verändert und die Maisanbaufläche verringert wurde, weil nicht genügend Düngemittel zur Verfügung standen.
«Noch immer sind rund 500 Hektaren meines Landes vermint.»
Es ging nicht so sehr darum, irgendeinen Gewinn zu erzielen, sondern vielmehr darum, zu verhindern, dass die Felder unwiederbringlich von Unkraut überwuchert werden. Darüber hinaus bot die Aussaat die Möglichkeit, den Lohnarbeitern Arbeit zu geben. Da es drei- bis viermal weniger Geräte gibt als vor der Invasion, mussten wir rund um die Uhr arbeiten. Wir haben letztes Jahr Ende Mai mit der Aussaat abgeschlossen – drei Wochen später als üblich. Glücklicherweise waren vor der Invasion noch nicht alle gekauften Betriebsmittel geliefert worden, darunter Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Wir erhielten diese nach der Befreiung. In diesem Jahr haben mir die Lieferanten, mit denen ich zusammenarbeite, kostenlos Saatgut zur Verfügung gestellt, um 100 Hektar Sonnenblumen und 100 Hektar Mais anzubauen.
Was haben Sie mit dem Getreide nach der Ernte gemacht, nachdem Ihre Lagerhäuser zerstört worden waren?
Da die Kornspeicher völlig zerstört waren, war ich gezwungen, den grössten Teil direkt nach der Ernte zu verkaufen. Glücklicherweise habe ich meine eigenen Getreidelaster, die schnell repariert wurden. Dadurch war es möglich, das Getreide im Hafen von Odessa unter Umgehung von Zwischenhändlern direkt an Exporteure zu verkaufen.
Wie werden Sie mit der diesjährigen Ernte umgehen?
Im Moment weiss ich nicht, wie und wo ich die Ernte verkaufen soll, da die Häfen von Odessa nicht in Betrieb sind. Wenn das Getreideabkommen, das am 18. Juli 2023 ausläuft, nicht verlängert wird, wird es grosse Schwierigkeiten beim Verkauf der Ernte geben, da es zu einem Zustrom von Getreideverkäufern in die Häfen an der Donau kommen wird (Anm. der Redaktion: Das Interview fand vor dem Entschluss Russlands, das Abkommen nicht zu verlängern und den Drohnenangriffen auf Donauhäfen statt). Autoschlangen an den Donauhäfen können sich über Dutzende oder gar Hunderte von Kilometern erstrecken. Obwohl die ukrainischen Donauhäfen ausgebaut werden, beträgt ihre Kapazität noch immer nur 20 Prozent der Kapazität der Häfen von Odessa. Die Situation wird der Situation im vergangenen Frühjahr vor dem Beginn des Getreidekorridors ähneln.
Was sind Ihre Pläne für die nächste Zeit?
Ich habe die Absicht, den Hof schrittweise wieder herzustellen. In der Ukraine ist es derzeit schwierig, einen Bankkredit zu bekommen. Deshalb muss ich den Hof auf eigene Kosten restaurieren. Vielleicht gibt es staatliche oder ausländische Hilfe. Ohne diese Hilfe kann die Erholung des Hofes Jahre dauern.
«Anfang Juni hatte ich die Idee, mehrere ukrainische Bauern zu interviewen, die von der russischen Invasion in der Ukraine betroffen waren. Meine Frau mochte die Idee von Anfang an nicht und argumentierte, dass es extrem gefährlich sei, Gebiete in der Nähe der Kampfzonen zu besuchen.
Leider tobt der Krieg und es gibt keine sicheren Orte in der Ukraine, wie die russischen Luftangriffe auf die Stadt Lwiw gezeigt haben, die keine hundert Kilometer von Polen entfernt liegt.
Hier muss ich eine Bemerkung zur Sicherheit in Kyiv machen, wo ich wohne. Kyiv ist häufig Raketenangriffen ausgesetzt. Die Inspektion der Schutzbunker hat gezeigt, dass die vorhandenen Schutzbunker höchstens 40 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner schützen können.
Zum Beispiel ist der sogenannte Bunker, der dem Wohnhaus, in dem ich wohne, am nächsten liegt, eigentlich nur eine unterirdische Strassenkreuzung, 200 Meter entfernt. Dieser hat Bunker keinerlei Annehmlichkeiten wie Sitze, Toilette etc. Die Russen bombardieren Kyiv vor allem nachts, und es ist sehr ermüdend, mehrmals in der Nacht zu diesem Bunker zu laufen und mehrere Stunden darin zu stehen, von allen Seiten zusammengepresst, wie ein Hering im Fass.
Gleichzeitig bietet meine Wohnung mit Betonwänden ungefähr den gleichen Schutz während des Bombenangriffs, es sei denn, es wird direkt die Wand getroffen, was unwahrscheinlich ist. Schliesslich gelang es mir, meine Frau davon zu überzeugen, dass es nicht gefährlicher ist, zu den Bauern zu gehen, als zu Hause zu bleiben.
Um Hilfe bei der Auswahl von Bauern für Interviews zu erhalten, wandte ich mich an die ukrainische Bauerngenossenschaft Agro Connection, die Bauern aus den Regionen Charkiw, Tschernihiv, Cherson und Mykolaiv empfahl.
Eine Reise in die Region Charkiw musste leider ausgeschlossen werden, da die empfohlene Farm nur 5 Kilometer von der russischen Grenze entfernt ist, wo auch heute noch aktive Militäroperationen stattfinden und das Gebiet unter ständigem Artilleriebeschuss steht.
Ich musste auch eine Reise in die Region Cherson ausschlagen, wo die Russen einige Tage zuvor den Damm von Kachowka gesprengt hatten und eine Massenevakuierung der Bevölkerung aus den überschwemmten Gebieten durchgeführt wurde. Das Gebiet war durch die Evakuierung der Bewohner, die durch heftigen Beschuss des russischen Militärs erschwert wurde, in Aufruhr geraten. Ein Ausflug in diese Gegend erwies sich als unmöglich.
Daher habe ich mich entschieden, Bauern in den Regionen Mykolaiv in der Südukraine und Tschernihiv in der Nordukraine zu besuchen. Da ich kein Auto habe, musste ich die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Zu dieser Zeit waren keine Sitzplätze in den Zügen von und nach Mykolaiv verfügbar, so dass ich den Nachtbus nehmen musste.
Die Ukraine bekämpft Invasoren im Land. Russische Saboteure werden daran gehindert, Sabotageakte und Störungsaktionen zu verüben und militärische Ziele für weitere Angriffe zu lokalisieren. Auf dem Weg zu den Bauern an den kritischen Strassenkreuzungen und Stadtgrenzen kontrollierten deshalb Milizen die Ausweise der Reisenden.
Fotografieren ist streng geregelt. Ich habe einen Presseausweis, darf aber keine militärischen Einrichtungen oder Gebiete fotografieren, in denen kürzlich Raketen gelandet sind und Schaden angerichtet haben. Der Grund dafür ist, dass Russland solche Fotos benutzen kann, um die Koordinaten anzupassen, was zu einem erneuten Angriff führen könnte.
Wen jemand mit einer Kamera fotografiert, rufen die Anwohner möglicherweise die Polizei, um eine verdächtige Person zu melden, und man wird möglicherweise in Gewahrsam genommen. Man darf nicht vergessen, dass die Ukrainer mitten im Krieg leben.
Unterwegs, weit weg von den Orten der Auseinandersetzungen zwischen der ukrainischen Armee und den Russen, sah ich zahlreiche Gebäude und Bauten, die durch Raketenangriffe zerstört wurden. Und das Bild der Zerstörung in den Dörfern, in denen Bauern lebten, löste Schock und Tränen aus: Wie konnte so etwas im Zentrum Europas im 21. Jahrhundert passieren?
Die Geschichten aller besuchten Bauern waren in etwa die gleichen: Ein friedliches und gut eingespieltes Leben, das nach dem 24. Februar 2022 abrupt unterbrochen wurde.
Die Verluste der Bauern waren entsetzlich. Was nicht durch Beschuss und Bombardierung zerstört wurde, wurde von russischen Soldaten geplündert. Und selbst was die Russen nicht stehlen konnten, haben sie einfach aus Spass vernichtet. Alle Bauern haben auch die extreme Grausamkeit der Russen gegenüber der einheimischen Bevölkerung zur Kenntnis genommen.
Der Schaden, den die russische Armee den Bauern zugefügt hat, ist so gross, dass es viele Jahre dauern wird, bis die Höfe wieder den Zustand vor dem Krieg erreicht haben.»
Folgende Bilder hat Serhii Iakovenko nach Abzug der Russen im Frühjahr 2022 aufgenommen.
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