Vom Schnitzelgeniesser zum Stallbesucher: Niks Reise in die Welt der Schweinebranche

Der Zürcher Nik ist in der Stadt aufgewachsen. 2021 wollte der Schweinefleisch-Liebhaber mehr darüber erfahren, wie das Fleisch produziert wird. Seither hat er zahlreiche Betriebe im In- und Ausland besucht und berichtet darüber auf seinem Instagram-Kanal «Stadtkind im Schweinestall».
Zuletzt aktualisiert am 10. November 2023
von Jonas Ingold
4 Minuten Lesedauer
Stadtkind Im Schweinestall Von Harold Fleisch U. Wurstwaren 2

Nik, welchen Bezug hattest du zu Schweinen, bevor du das erste Mal einen Betrieb besucht hast?

Es ist vor allem das Fleisch, zu welchem ich als fleischgeniessender Konsument einen Bezug hatte. Ich esse sehr gerne und auch regelmässig Schweinefleisch. Ansonsten kannte ich das Schwein vor allem als „Glücksbringer“ in Marzipanform oder als Stachelschwein aus dem Zoo. Zum klassischen Hausschwein hatte ich nie wirklich einen Bezug – woher auch, wenn man in der Stadt lebt?

Wie hat sich deine Einstellung gegenüber der Schweinebranche seit dem Start deiner Stallbesuche verändert?

Seit meinen Stallbesuchen esse ich viel dankbarer und wertschätzender Schweinefleisch. Dankbarer, weil ich durch mein Hobby unzählige Menschen kennenlernen durfte, die mit viel Engagement und Leidenschaft tagtäglich dafür arbeiten, dass ich und ganz viele andere Leute quasi rund um die Uhr Schweinefleisch geniessen dürfen. Wertschätzender, weil ich seit meinen Besuchen gesehen habe, was alles in Echtzeit wie ein Zahnrad ineinandergreifen muss, dass es von der Absamung im Eberstall über die ganze Zucht und Mast bis hin zur Schlachtung und der Weiterverarbeitung, verbunden mit allem, was dazu gehört wie Wasser, Futter, Stalleinrichtung, Management, Vermarktung, Transport und vielem mehr, zusammenspielen muss, bis schlussendlich das Fleisch auf dem Teller liegt. Insofern bin ich absolut positiv überrascht und beeindruckt, wie viel Arbeit, Wissen, Knowhow und vieles mehr, was man als normaler Konsument leider viel zu selten mitbekommt und oftmals fernab der Öffentlichkeit geschieht, hinter einem Schnitzel steckt.

«Seit meinen Stallbesuchen esse ich viel dankbarer und wertschätzender Schweinefleisch.»

Braucht es viel Überzeugungsarbeit, damit dir ein Betrieb die Türen öffnet? Und erhältst du aufgrund der Bekanntheit mittlerweile Einladungen, ohne dass du anfragen musst?

Bei den Betrieben, die ich dankenswerterweise besuchen darf, brauchts oftmals keine Überzeugungsarbeit. Sie zeigen gerne, was sie tagtäglich machen. Zudem haben sie ja auch nichts zu verbergen. Dennoch bleibt mir der Zutritt in 9 von 10 Betrieben verwehrt. Mit dieser Verschlossenheit sendet man natürlich ein starkes und nicht gerade positives Signal gegen aussen. Und dass ich von diversen Schweineprofis mehrfach unabhängig voneinander gehört habe, dass «jene Betriebe, die den Stall nicht zeigen wollen, etwas zu verbergen haben», stimmt mich schon sehr nachdenklich. Denn es gebe - so die Schweineprofis - keine sachlichen Gründe, interessierten Leuten wie mir den Stall nicht zu zeigen. Glücklicherweise haben mir aber inzwischen weit über 180 Betriebe die Türen geöffnet. Da die Schweinebranche sehr klein ist und man sich schnell untereinander kennt, und eigentlich alle Betriebe, bei denen ich zu Gast sein durfte, sehr positiv von meinem Besuch berichten, hilft mir diese gute Resonanz innerhalb der Branche, um an neue Betriebe zu kommen, die ich mir anschauen darf. Aber ich freue mich natürlich sehr über jede Einladung, es können nicht genug sein, denn ich habe längst noch nicht alles gesehen.

Du besuchst auch Betriebe im benachbarten Ausland. Welche Unterschiede zu Schweizer Betrieben fallen dir da auf?

Ich sehe verschiedene Unterschied. Noch immer nehme ich in der Schweiz mir gegenüber eine Verschlossenheit wahr. Während ich etwa in unseren Nachbarländern und darüber hinaus unter Einhaltung aller Hygienevorschriften problemlos in die Eberställe durfte, ja selbst schon mehrmals Eber auf unterschiedlichen Besamungsstationen absamen durfte, wurde mir der Zugang in der Schweiz trotz mehrmaligem Nachfragen noch nie gewährt. Viele Schweizer Betriebe könnten sich hier noch von ihren offenen und transparenten Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland eine Scheibe abschneiden. Ausserdem sehe ich, dass das Thema «Biosecurity» in der Schweiz in meinen Augen teils noch stiefmütterlich behandelt wird. In diesem Bereich könnten gewisse Betriebe gerade von Deutschland noch sauviel lernen. Sicherlich hat die Schweiz bezüglich Tierwohl andere Standards als Deutschland. Themen wie Langschwanz oder die freie Abferkelung sind in der Eidgenossenschaft schon lange Standard, während man im grossen Kanton sich mit eher langsamen Schritten an diese Herausforderungen wagt. Hier spüre ich auch die Neugier vieler deutscher Betriebe, die sich unter anderem auch auf meiner Instagram-Seite über verschiedene Schweizer Abferkelbuchsysteme informieren.

«Meiner Meinung nach ist der wichtigste Weg, die Konsumentinnen und Konsumenten aktiv in die Ställe zu holen.»

Die von dir besuchten EU-Betriebe sind wohl auch deutlich grösser als jene in der Schweiz?

In ostdeutschen Betrieben, wo ich schon in mehreren Stallkomplexen mit 3000 und mehr Muttersauen war, hat man nur ein müdes Lächeln übrig für die begrenzten Bestandsgrössen in der Schweiz. Die Kleinstrukturiertheit der Schweizer Schweinebranche hat viele Vorteile, aber beispielsweise auch die Herausforderung, gerade für Familienbetriebe, sich so aufzustellen, dass eine Bewirtschaftung auch mit Blick auf Themen wie Work-Life-Balance langfristig möglich ist. Auch der Markt unterscheidet sich. Dadurch, dass die Schweiz nicht in der EU ist, existiert in der Eidgenossenschaft ein relativ geschlossener Markt im Schweinebereich, um welchen wir von unseren Nachbarländern benieden werden. So müssen unsere Nachbarländer mit hohen staatlichen Vorschriften mit anderen EU-Ländern konkurrieren, in welchen sehr oft weniger strenge Vorschriften gelten.

Der Schweinefleisch-Konsum ist rückläufig, die Preise lagen zuletzt tief. Was können deiner Ansicht nach die Betriebe tun, um die Konsumenten von Schweizer Schweinefleisch zu überzeugen?

Meiner Meinung nach ist der wichtigste Weg dazu die Konsumentinnen und Konsumenten aktiv in die Ställe zu holen. Nur durch solche Einladungen können die Schweinefleischgeniesserinnen und -geniesser sehen, wer und was hinter dem Schweinefleisch steckt und bekommen wieder einen Bezug zum Schwein, den viele praktisch nicht mehr haben. Im direkten Kontakt kann man sich austauschen und den Leuten aufzeigen, unter welchen hohen Standards ein hochwertiges Lebensmittel produziert wird – gerade auch mit Blick auf Themen wie Kreislaufwirtschaft, Nebenprodukte oder auch ganz grundlegend: Tierwohl, Regionalität oder Arbeitsplätze. Denn hinter jedem Schweinebetrieb steckt ja nicht nur eine Familie, sondern viel mehr, vom örtlichen Handwerksbetrieb, der für Reparaturen vorbeikommt, bis hin zur Tierarztpraxis und dem Tiertransport. Je mehr man sich in seinen Stall zurückzieht und versteckt, desto weniger wird sich was ändern. Je mehr Betriebe offen und proaktiv zeigen, wie saugut die Schweinehaltung ist, desto eher kann man was bewirken, auch wenn dies eine Generationenaufgabe ist und bleibt. Das braucht Zeit, die man sich dafür nehmen muss – aber es lohnt sich.

«Die Arbeit, die in der Branche geleistet wird, ist nicht nur streng und herausfordernd, sondern auch sauwichtig.»

Reizt es dich, selbst in die Branche einzusteigen?

Ehrlich gesagt habe ich diesen Gedanken auch schon gehabt, weil mir die Einblicke in die Schweinebrache sehr gut gefallen. Und erstaunlicherweise habe ich auch schon diverse Jobangebote bekommen. Dies führe ich jedoch eher auf den immensen Fachkräftemangel für die Arbeit im Schweinestall zurück als auf meine Person, schliesslich bin ich ja Laie mit zwei linken Händen. Aktuell möchte ich mein Hobby eigentlich gerne noch ein bisschen als solches behalten, da es mir unheimlich gefällt, die Vielfalt der Schweinebranche zu entdecken und ganz viele unterschiedliche Betriebe im ganzen deutschsprachigen Raum anzuschauen. Doch «sag niemals nie», vielleicht ergibt sich irgendeinmal etwas Spannendes, sei es in einem Schweinestall, im Bereich Öffentlichkeitsarbeit oder sonst was. Doch davor habe ich natürlich auch Respekt, denn die Arbeit, welche tagtäglich dankenswerterweise von hunderten von Personen in der Branche geleistet wird, ist nicht nur streng und herausfordernd, sondern auch sauwichtig.

Mehr zu Niks Stallbesuchen gibt es auf seinem Instagram-Kanal.

Hinweis: Nik möchte in den Medien nicht mit vollem Namen genannt werden. Der Name ist der Redaktion bekannt.