Vogelgrippe: «Das Risiko ist weiterhin hoch»

Die Vogelgrippe-Massnahmen in der Schweiz wurden verlängert, in Europa treten weiterhin zahlreiche Krankheitsfälle auf. Interview mit Katharina Stärk, Leiterin Tiergesundheit des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV).
Zuletzt aktualisiert am 9. Februar 2023
4 Minuten Lesedauer

Agir: Die vorbeugenden Massnahmen gegen die Vogelgrippe werden bis zum 15. März verlängert. Weshalb?

Katharina Stärk, BLV: Weil das Risiko weiterhin hoch ist, vor allem während der Saison der Zugvögel.

Ist die aktuelle Situation in der Schweiz besorgniserregend?

Der aktuelle Ausbruch von HPAI H5N1 in Europa geht aktiv weiter. Die Zahl der Fälle bei Wildvögeln hat in ganz Europa zugenommen. Die Fälle haben sich in Mitteleuropa vervielfacht, was den Einfluss von Zugvögeln auf HPAI-Infektionen bestätigt. Es wird erwartet, dass sich die Zahl der Ausbrüche in Europa weiter erhöht, insbesondere entlang der beiden Zugrouten nach Afrika: im Westen über die Atlantikküste und Gibraltar und im Osten von Skandinavien über die Straße des Bosporus und die Mittelmeerküste. Experten gehen davon aus, dass das Virus weiterhin in die Schweiz importiert werden wird.

Wie steht es um das Vorkommen der Vogelgrippe in der Schweiz?

In diesem Winter gab es in der Schweiz vereinzelte Fälle bei Wildvögeln und zwei Ausbrüche in Tierhaltungen. Die Vogelgrippe ist in weiten Teilen Europas verstärkt aufgetreten. Sowohl Wildvögel als auch Nutzgeflügel waren betroffen. Das Risiko, dass die Vögel die Krankheit aus Europa einschleppen, ist hoch. Die Schweiz ist jedoch weniger gefährdet als Nordeuropa.

Warum ist die Gefährdung in der Schweiz tiefer?

Die grossen Zugrouten der Wasservögel meiden die Alpen, und die großen Brutgebiete der Wasservögel liegen in Nordeuropa.

Ursprünglich sollten die Massnahmen vom 28. November 2022 bis zum 15. Februar 2023 gelten. Wie wird entschieden, wie lange die sie gelten sollen?

Die Massnahmen wurden nach dem ersten Fall verhängt (d.h. auf einem Betrieb in Winterthur im November 2022). Experten haben die Situation beurteilt, das Risiko eingeschätzt und die Dauer festgelegt. Dies geschieht immer in enger Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen. Die Lage wird anhand der Entwicklung in Europa, der wichtigsten betroffenen Tierarten und der Analyse der Fälle aus den Vorjahren beurteilt.

Die wichtigsten Massnahmen gegen die Vogelgrippe

Die Massnahmen gelten für alle Geflügelhaltenden, auch private Hobbyhaltungen.

  • Beschränken Sie den Auslauf des Hausgeflügels auf einen vor Wildvögeln geschützten Bereich. Ist dies nicht möglich, stellen Sie sicher, dass Futter- und Wasserstellen für Wildvögel nicht zugänglich sind. Schützen Sie Auslaufflächen und Wasserbecken durch Zäune oder engmaschige Netze seitlich und oben vor Wildvögeln.
  •  Halten Sie Hühner getrennt von Gänsen und Enten.
  • Verhindern Sie das Einschleppen des Virus in die Tierhaltung über Personen und Geräte: Beschränken Sie deshalb den Zutritt zu den Tieren auf das Notwendigste und richten Sie eine Hygieneschleuse ein. Ziehen Sie saubere Schuhe und Kleider an und waschen und desinfizieren Sie die Hände vor dem Betreten.
  • Geflügelmärkte und -ausstellungen bleiben verboten.
  • Obwohl eine Übertragung des Vogelgrippe-Virus äusserst selten ist, berühren Sie vorsichtshalber keine Kadaver von Wildvögeln. Melden Sie deren Fund einer Polizeistelle oder der Wildhut.

    Quelle: BLV

Hühner sollen von Gänsen und Enten getrennt werden. Inwiefern verbessert sich dadurch die Situation?

Der Grund dafür ist, dass Wasservögel in der Regel weniger krank werden als Hausgeflügel. Daher ist die Gefahr größer, dass das Virus bei ihnen nicht entdeckt wird und sie es weitergeben.

Was passiert, wenn sich heute ein Tier in einer Zucht infiziert?

Die Massnahmen sind in der Gesetzgebung festgelegt. Der Bund und die Kantone entscheiden je nach Situation, welche Maßnahmen im Einzelnen zu ergreifen sind. Tiere, die direkten Kontakt zu infizierten Tieren hatten, werden geschlachtet und der Betrieb wird saniert.

Was geschieht bei Wildvögeln?

Es gibt keine Massnahmen für Wildvögel.

Warum ist das so?

Bisher sind die Wildvogelarten in der Schweiz nicht durch die Vogelgrippe bedroht, nur das Hausgeflügel ist gefährdet. Deshalb werden Massnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass es infiziert wird.

Die Verwendung der Bezeichnung "Freilandhaltung" ist trotz der Eindämmungsmassnahmen weiterhin erlaubt. Wie erklärt sich dies?

Das Ziel dieser Massnahmen ist es, die Gesundheit des Geflügels zu schützen und zu erhalten und das Risiko einer Ansteckung zu verhindern. Die Massnahmen sind zeitlich begrenzt.

Wie lange können die Massnahmen verlängert und die Bezeichnung "Freilandhaltung" beibehalten werden?

Die Bezeichnung kann bis zu 4 Monate lang verwendet werden.

Was passiert, wenn die Massnahmen länger als vier Monate dauern und der Geflügelhalter/Züchter, der die Bezeichnung "Freilandhaltung" nicht mehr verwenden darf, herabgestuft wird? Bekommt er eine finanzielle Entschädigung?

Das BLV diskutiert derzeit, welche Vorschriften danach gelten sollen und wie die Kennzeichnung erfolgen soll.

Wie kontrolliert das Bundesamt, ob die Massnahmen von allen umgesetzt wurden?

Die Kantone sind für die Einhaltung der Massnahmen verantwortlich. Es ist wichtig, dass die Massnahmen für alle gelten.

Kantone für Kontrolle verantwortlich

Für die Umsetzung der Massnahmen sind die Kantone zuständig. Wie kontrollieren sie, ob diese Massnahmen von allen Geflügelhaltern befolgt werden? Der Waadtländer Kantonstierarzt Giovanni Peduto sagt auf Anfrage: «Die Kontrollen werden stichprobenartig durchgeführt. Im Allgemeinen erfolgt die Überprüfung der Anforderungen an die Vogelgrippeprävention im Rahmen der anderen Kontrollen, die wir durchführen. Kontrollen können auch aufgrund von Berichten über die Nichteinhaltung durchgeführt werden, die wir von Dritten oder öffentlichen oder privaten Organisationen erhalten.»

Giovanni Peduto betont, dass es von entscheidender Bedeutung ist, dass sich alle Schweizer Geflügelhalterinnen und -halter an die Massnahmen halten: «Unsere Präventionsstrategie beruht auf einer kollektiven Anstrengung, bei der jeder einzelne Geflügelhalter zum Schutz des Schweizer Tierbestands beiträgt. Wer die Präventionsmassnahmen nicht umsetzt, setzt seine Herde unnötig der Vogelgrippe aus und riskiert strafrechtliche Sanktionen wegen Nichteinhaltung des gesetzlichen Rahmens.»

Wenn heute ein Tier in einem Betrieb infiziert wird, «ist das Interventionsschema durch die eidgenössische Tierseuchenverordnung vorgegeben», erinnert Peduto. «Dieser Text definiert die Vogelgrippe als eine hochansteckende Tierseuche. Der einzige Weg, die Herde zu sanieren, ist daher die Tötung des gesamten Bestandes. Um diese extrem belastende Massnahme zu vermeiden, ist es wichtig, die vorbeugenden Maßnahmen anzuwenden.»