Reinrassige Flecken unter Druck

In der Schweizer Rinderzucht ist öfters von «funktionellen Kühen» die Rede. Zu ebendiesen funktionellen Kühen gehören die in der Schweiz verbreiteten Fleckviehrassen für deren reinrassige Zucht sich der Zuchtverband Swissherdbook einsetzt. Immer mehr Züchterinnen und Züchter züchten «ihre» funktionelle Kuh aber durch Kreuzungen heran.
Zuletzt aktualisiert am 14. April 2022
von Renate Hodel
6 Minuten Lesedauer

Rund eine halbe Million Herdebuchtiere der Rassen Red Holstein, Brown Swiss, Holstein, Swiss Fleckvieh, Original Braunvieh, Simmental, Eringer und weiterer Rassen sind in der Schweiz registriert und haben also einen Stammbaum respektive einen Abstammungsnachweis. Auf Milchviehbetrieben sind Fleckviehkühe in der Schweiz – vor allem im westlichen Teil – allgegenwärtig.

Acht Rassen machen die Mischung

Swissherdbook ist als grösster Rindviehzuchtverband in der Schweiz das Dach von rund 10’000 aktiven Viehzüchterinnen und Viehzüchtern und setzt sich für die rassentreue Zucht dieser Rassen ein. Acht Herdebuchrassen sind unter dem Dach von Swissherdbook vereint: Holstein und Red Holstein, Swiss Fleckvieh, Simmentaler, Evolèner, Montbéliarde, Normande, Pinzgauer und Wasserbüffel.

Der Spagat zwischen der Milchrasse Holstein und beispielsweise der kleinen Evolèner oder auch dem Wasserbüffel ist doch sehr gross, trotzdem werde Swissherdbook den einzelnen Rassen gerecht, meint Markus Gerber, Präsident von Swissherdbook. «Das Zuchtziel wird von einer Rassenkommission definiert, die aus Züchtern der jeweiligen Rasse besteht», erklärt er weiter. Im Herdebuch von Swissherdbook sind dann die Abstammung, die Milchleistung und das Exterieur der Kühe und Stiere festgehalten.

«Abstammung ist wichtig, um eine genügende genetische Varianz der Rasse zu erhalten und die Milchleistungsprüfung, bei der Kilogramm Milch, Prozentsatz Fett, Prozentsatz Eiweiss, Prozentsatz Laktose, Zellzahlen und Harnstoff ermittelt werden, gewährleistet wichtige Daten zur Verbesserung der Zucht und der Fütterung», führt Markus Gerber aus. Weiter werde das Exterieur festgehalten, um klar messbare und beurteilbare Kriterien zu erhalten. Bei allen Kriterien steht laut Swissherbook die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit der Rindviehzucht im Vordergrund.

Die sogenannte «Brünig-Napf-Reuss-Linie» trennt die Schweiz in zwei volkskundlich unterschiedliche Teile. Der westliche Teil gehörte um das Jahr 900 zum Königreich Burgund, der östliche zum Herzogtum Schwaben. Braunvieh stammt aus der Innerschweiz im östlichen Teil, Fleckvieh aus dem Berner Oberland im westlichen Teil. Die heutige geographische Verbreitung der beiden Rassen geht auf historische Ereignisse zurück, die sich während einer grösseren Expansion der Alten Eidgenossenschaft im 15. und 16. Jahrhundert abspielten.

Zur Zeit des Königreichs Burgund und des Herzogtums Schwaben war die Viehzucht auf die Alpen konzentriert und die Ausdehnung auf die tieferliegenden Gebiete der Schweiz kann auf ein späteres historisches Ereignis zurückgeführt werden: Beim Konzil von Konstanz (1414-1418) versuchte der Deutsche König Sigismund den Konflikt zu lösen, der durch drei Päpste entstand, die gleichzeitig die Kirche führen wollten. Dabei kam es zwischen dem König und dem Österreichisch-Habsburgischen Herzog Friedrich IV zum Streit, weil der Herzog sich mit einem der drei Päpste verbündete – gegen den ausdrücklichen Willen des Königs. Der König bestrafte den Herzog, indem er die Eidgenossen aufforderte, dessen Stammland im Aargau zu besetzen. Dabei eroberten die Berner 1415 grosse Teile des Aargaus entlang der Aare und westlich der Reuss, die anderen Eidgenossen marschierten in die Gebiete östlich der Reuss ein.

Durch diese und darauffolgende Eroberungen entstanden zwei grosse Gebiete, in denen sich die Fleckvieh- und Braunviehrassen unabhängig voneinander ausbreiteten, und diese Verteilung blieb über Jahrhunderte bestehen.
Quelle: Uni Bern

Hof Riedgut Rinder Rho
Kleine Vielfalt der Rinderrassen: Ein Normande, zwei Simmental sowie eine Swiss-Fleckvieh-Limousin-Kreuzung. (rh)

Funktionelles Rindvieh

Unter dem Begriff «funktionelle Merkmale» werden in der Tierzucht jene Merkmale zusammengefasst, die eine Auswirkung auf den wirtschaftlichen Erfolg durch Reduktion der Kosten bewirken. Darunter fallen beispielsweise Gesundheitsmerkmale und die Nutzungsdauer von Nutztieren. In den vergangenen Jahren wurde in der Rinderzucht ein verstärktes Augenmerk auf diese Merkmalskomplexe gelegt und so wird etwa die Nutzungsdauer von Kühen in den Zuchtprogrammen berücksichtigt.

Schweizer Kühe und Rinder müssen entsprechend der Produktionsform eine gute Weidetauglichkeit und eine optimale Raufutterverwertung mitbringen. Neben der Milchleistung mit guten Gehalten kommen dann auch funktionelle Merkmale wie Langlebigkeit, Eutergesundheit und gute Fruchtbarkeit zum Tragen. Aufgrund der unterschiedlichsten Produktionsstandorte vereint das Schweizer Rindvieh ausserdem ein gutes Fundament sprich das Gangwerk – also gesunde und starke Beine, Robustheit sowie Anpassungsfähigkeit.

Gekreuzt zur idealen Kuh?

Die funktionelle und wirtschaftliche Kuh wird nicht dem Zufall überlassen. Jede Viehzüchterin und jeder Viehzüchter kann auf die für den jeweiligen Betrieb passende Idealkuh mit gezielter Züchtung hinarbeiten. Hierbei wird oft gekreuzt: Wenn beispielsweise die genetische Veranlagung von milchbetonten Milchviehrassen die Futtergrundlage des Betriebes übersteigt, wird beispielsweise mit einer Rasse eingekreuzt, die fleischigere Kühe hervorbringt. Umgekehrt werden fleischigere Kühe mit milchbetonter Genetik belegt, um Nachkommen mit höherer Milchleistung hervorzubringen. Bei der Kreuzung zweier reinerbiger Eltern gehen Hybriden-Nachkommen hervor, die deutlich leistungsfähiger als die Eltern sind. Dieser sogenannte Heterosiseffekt nutzen Züchterinnen und Züchter gezielt zur Entwicklung widerstandsfähigerer oder vitalerer Tiere.

Kreuzungstiere werden international aber nicht als Rasse anerkannt und die nicht rassentreue Zucht setzt sowohl die Rasse als auch die Zuchtverbände unter Druck. Auch Swissherdbook ist von «Verwässerung» betroffen: Insbesondere bei der Rasse Swiss Fleckvieh wird öfters mit Red Holstein oder mit Simmental gekreuzt. Das bedeutet, dass es immer weniger reinrassige Swiss-Fleckvieh-Tiere im Herdenbuch gibt. Und das schwächt nicht nur die Rasse, sondern hat auch finanzielle Folgen.

Herdebuchrassen von Swissherdbook

Zu den acht Rassen unter dem Schirm von Swissherbook gehören die schwarz gefleckten Holsteiner und die rot gefleckte Red Holstein, die sich insbesondere durch eine hohe Milchleistung auszeichnen. Die schwarze Holsteiner Kuh stammt ursprünglich aus dem Gebiet Nordholland. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden tausende Tiere nach Nordamerika exportiert, wo die Rasse stark weitergezüchtet wurde. Mitte des 20. Jahrhunderts überquerte die Holsteinrasse wieder den Atlantik, um in ihren Ursprungskontinent zurückzukehren. Ab den 1960er-Jahre wurden hierzulande Holstein- und Red-Holstein-Stiere mit Simmentaler oder Schwarzfleckvieh gekreuzt und so entstand die Schweizer Red Holstein.
Beim Swiss Fleckvieh handelt es sich um eine Zweinutzungsrasse, bei der die Milch- und die Fleischleistung gleichermassen eine Rolle spielen. Die noch relativ junge Schweizer Rasse entstand aus der Kreuzung von Red Holstein und Simmentaler und das eigene Zuchtprogramm begann durch die künstliche Besamung mit Swiss-Fleckvieh-Stieren in den 1970er-Jahren. Die Genetik der heutigen Swiss-Fleckvieh-Population setzt sich zirka zu zwei Dritteln aus der Rasse Red Holstein und zu einem Drittel aus Simmentaler zusammen.
Das Simmentaler Rind hat, wie es der Name vermuten lässt, seinen Ursprung im Simmental, im Berner Oberland. Die Schweizer Rindviehrasse war ursprünglich sogar eine Dreinutzungsrasse und wurde nicht nur zur Milch- und Fleischproduktion eingesetzt, sondern auch als Zugtier. Ab dem 19. Jahrhundert wurde die Simmentaler Rasse gar zum Berner Exportschlager: Damals wurden Simmentaler Tiere nach Süddeutschland, Österreich und bis nach Russland exportiert. Heutzutage findet man die Simmentaler Rasse in über 30 Ländern und auf allen Kontinenten der Welt – meist allerdings nur als Kreuzungsprodukt. In Schottland beispielsweise wird das dort typische Hochlandrind oft mit Simmentaler gekreuzt, um die ideale hybride Mutterkuh hervorzubringen. So ist die Reinzucht in der Schweiz weltweit einzigartig.
Die Evolènerrasse hat den gleichen Ursprung wie die Eringer, die für den Kuhkampf bekannt sind. Die berggängigen Evolèner sind im Gegensatz zum Eringerrind aber mehrfarbig und als Zweinutzungstype ebenfalls auf die Milch- und Fleischproduktion gezüchtet. 1990 war die Rasse kurz vor dem Aussterben – durch engagierte Zuchtarbeit hat sich die Rasse aber wieder erholt und ist heute im ursprünglichen Zuchtgebiet im Wallis, aber auch im Berner Oberland und vereinzelt in der ganzen Schweiz anzutreffen.
Die Zweinutzungsrasse Montbéliarde stammt ursprünglich aus dem französischen Jura und aus der Region rund um Montbéliard in Frankreich. Durch die Kreuzung einer französischen Landrasse mit Simmental entstand das Montbéliarde-Rind.
Die französische Zweinutzungsrasse Normande stammt aus der Normandie und der Bretagne – dort ist sie bis heute am stärksten verbreitet. In der Schweiz ist die Rasse Normande erst seit wenigen Jahren auf einzelnen Betrieben verbreitet. Die Milch der Normande-Rasse trumpft mit starken Inhaltsstoffen auf – vor allem viel Fett.
Das österreichische Pinzgauer-Rind aus dem Salzburger Bezirk Pinzgau und wurde durch jahrhundertelange Zuchtarbeit unter kargen Bedingungen zu einer besonders widerstandsfähigen und robusten Zweinutzungsrasse geformt. Heute ist die Rasse in über 30 Staaten der Welt verbreitet – in der Schweiz ist sie aber noch relativ selten.
Die Wasserbüffel stammen ursprünglich aus dem asiatischen Gebiet. In Europa sind die Wasserbüffel vor allem in Italien und Rumänien anzutreffen. Durch Importe aus Rumänien fand die Hausbüffelrasse ihren Weg auch in die Schweiz und ist hier seit 1996 heimisch. Der erste Zuchtbetrieb befand sich in Schangnau im Emmental und bis heute gibt es dort mehrere Betriebe, die sich den Wasserbüffeln verschrieben haben. Einzelne Herden sind mittlerweile aber auch im Jura und in anderen Teilen der Schweiz anzutreffen. Wasserbüffel haben relativ tiefe Milchleistungen, produzieren aber eine sehr reichhaltige Milch mit 8 Prozent Fett und 4,5 Prozent Eiweiss. Daraus wird unter anderem Schweizer Mozzarella hergestellt.

Unter Druck

Zwar kommen alle Kälber von Swiss-Fleckvieh-Kühen ins Herdebuch – es wird aber abgestuft. Reinrassige Tiere, bei denen sowohl die Mutter als auch der Vater reinrassige Swiss Fleckvieh sind, werden als sogenannte A-Tiere geführt. Ist der Vater aber ein Red-Holstein- oder ein Simmentaler-Stier, dann werden die Nachkommen als C-Tiere geführt. A-Tiere werden vom Bund mit 12 Franken pro Tier und Jahr unterstützt. Das Bundesamt für Landwirtschaft unterstützt eine eigenständige Schweizer Tierzucht, da es den Auftrag hat, die Erhaltung der Rassenvielfalt bei den landwirtschaftlichen Nutztieren zu gewährleisten.

Entsprechend werden für tierzüchterische Massnahmen wie Herdebuchführung, Leistungsprüfungen (hier werden unter anderem Zwischenkalbezeit, Geburtsverlauf und Anzahl Kalbungen erfasst) und Zuchtwertschätzungen sowie für Projekte im Zusammenhang mit der Erhaltung der einheimischen Rassenvielfalt Beiträge ausgerichtet. Für C-Tiere zahlt der Bund folglich kein Herdebuchbeitrag und seit der AP22+ – auch wenn diese seither sistiert wurde – steht auch die Unterstützung bei der Leistungsprüfung auf der Kippe, von denen auch C-Tiere bisher noch profitieren konnten.

A- vs. C-Tiere

Trotz finanziellen Einbussen scheint für viele Bäuerinnen und Bauern aber die Kreuzung das ideale Tier zu sein. Daher stellt sich die Frage, ob die rassentreue Zucht überhaupt zukunftsträchtig ist. Unbedingt, beteuert Markus Gerber: «Rassentreue hat den Vorteil von einer kleinen genetischen Varianz und ist daher klar zukunftsträchtig.»

Der Ausschluss der Unterstützung von Herdebuch-C-Tieren durch den Bund komme von der nahtlosen Übernahme der europäischen Gesetzgebung und werde von Swissherdbook nicht gerne gesehen. Auch wenn der Hintergrund dieser Massnahme wohl ist, die reinrassige Zucht zu schützen. «Swissherdbook setzt sich hier klar für eine degressive Abstufung des Herdbuchbeitrages für C-Tiere ein. Eine Streichung wie es jetzt vorgesehen ist, ist für uns keine tragfähige Lösung, da die gelieferte Zahlenbasis eine Nachhaltigkeit der Zucht garantiert», gibt Markus Gerber aber zu bedenken.