Martin Rufer: «Am wichtigsten ist, dass die Schweizer Landwirtschaft ein Wirtschaftsfaktor ist»

Am 7. Juni 1897 wurde im Berner Rathaus der Schweizer Bauernverband gegründet. In Bern trafen sich zum 125-Jahr-Jubiläum deshalb das Präsidium und die Geschäftsleitung des SBV. Wir sprachen mit Präsident Markus Ritter und Direktor Martin Rufer.
Zuletzt aktualisiert am 10. Juni 2022
von Renate Hodel
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Jubilaeum SBV 2022

Seinen Sitz hat der Schweizer Bauernverband im aargauischen Brugg. Gegründet wurde der Verband aber in Bern. Dort fand am 7. Juni 1897 im Rathaus die Gründungsversammlung statt. Und zum 125-Jahr-Jubiläum kehrten das SBV-Präsidium und die Geschäftsleitung an diesen für Bäuerinnen und Bauern historischen Ort zurück. Die Geschäftsleitungs- und Präsidiums-Sitzungen fanden im Rathaus statt, im Grossratssaal, dem eigentlichen Entstehungsort des Verbandes, traf man sich zum Fototermin.

Im Rahmen seines Jubiläums pflanzen der Bauernverband und seine über 80 Mitgliedsektionen je einen Baum. Der SBV entschied sich für einen auf der Kleinen Schanze neben dem Berner Bundeshaus. Die SBV-Spitze besuchte am Jubiläumstag zusammen mit Stadtgrün Bern den Baum und pflanzte ihn symbolisch. Zudem wurde die Erinnerungstafel montiert.

In unseren Kurzinterviews sprechen SBV-Präsident Markus Ritter und SBV-Direktor Martin Rufer über die Rolle des Verbandes, seine Entwicklung und Herausfoderungen der Zukunft.

Kurz-Interview mit Markus Ritter

Markus Ritter, wo wäre die Schweizer Landwirtschaft heute ohne die Gründung des Schweizer Bauernverbandes im Jahr 1897?

Markus Ritter, Präsident SBV: Das ist schwer zu sagen. Wie sich etwas entwickelt, hängt von vielen Komponenten ab. Aber das Risiko für die Landwirtschaft in der Schweiz wäre gross gewesen: Wegfallender Grenzschutz, keine Direktzahlungen, keine Interessenvertretung, kein bäuerliches Bodenrecht, kein Raumplanungsrecht, das unseren Interessen Rechnung trägt. Da hätte eine grosse Wahrscheinlichkeit bestanden, dass die Schweizer Landwirtschaft völlig marginalisiert worden wäre.

Hat sich die Rolle des SBV über die Jahre verändert?

Die Rolle verändert sich immer. In den letzten 125 Jahren, aber auch aktuell. Wir haben immer veränderte Ansprüche der Märkte, aber auch von Seiten der Gesellschaft. Unser Verband muss sich deshalb anpassen mit seinen Positionen und der Ausrichtung. Auch personell haben wir aufgerüstet, wir haben die Jungen und die Bäuerinnen stärker eingebunden. Wir haben die Organe verbreitert und haben heute 25 Kantonal- und über 60 Fachorganisationen. Wir haben Organisationen aufgenommen die sich aufgrund von Änderungen von Produktionsrichtungen neu gebildet haben. Da ist wichtig, dass der Bauernverband mit der Zeit geht und sich auch neuer Instrumente bedient, die es gibt.

Wie bringt der Verband die vielschichtigen Anliegen der Schweizer Landwirtinnen und Landwirte auf einen Nenner?

Die Einigkeit ist Grundlage jedes Erfolges in der Schweiz. Überall, wo Organisationen zerstritten sind, sich nicht einig sind, da geschieht nichts mehr und man beschäftigt sich mit sich selbst. In der Schweizer Landwirtschaft war es die letzten Jahre und Jahrzehnte einer der grossen Erfolgsfaktoren, dass wir uns zusammengerauft haben, dass wir die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund gestellt haben. Diese gemeinsamen Positionen haben wir dann gefestigt und gemeinsam gegen aussen vertreten. Das ist die Grundlage jedes Erfolges. Dafür braucht es viele Gespräche und gute Vorarbeit.

Eitel Einigkeit gibt es aber nicht immer?

Das ist normal. Verschiedene Meinungen gehören in einem Meinungsbildungsprozess dazu, um erfolgreich sein zu können. Nur kritische Stimmen und Voten ermöglichen es, dass man eine Vorlage oder ein Geschäft gut diskutieren und in der Tiefen so ausgestalten kann, dass man im politischen Prozess eine Chance hat. Diese kritischen Stimmen, Voten und auch Fragen sind wichtig.

Was halten Sie als grösste Errungenschaft seit Gründung des SBV?

Das Wichtigste ist, dass die Schweizer Landwirtschaft heute noch ein Wirtschaftsfaktor ist. Dass wir es geschafft haben, dass die Landesfläche, was das Kulturland betrifft, noch immer flächendeckend bewirtschaftet wird. Dass wir auch in der Lage sind, die Sömmerungsgebiete zu bewirtschaften. Und ganz wichtig ist, dass wir Einkommen erwirtschaften, dass wir auch künftig mit der Familie von der Landwirtschaft leben können und die Betriebe sich auch in Zukunft entwickeln können.

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Kurz-Interview mit Martin Rufer

Martin Rufer, ist die Arbeit des SBV über die Jahre herausfordernder geworden?

Der Bauernverband wurde aus der Not heraus gegründet. Damals gab es einen riesigen wirtschaftlichen Druck. Schon bei der Gründung war die Situation sehr herausfordernd. Und auch jetzt sind wir in einer Phase, in der wir sehr viele politische Themen haben. Volksinitiativen, Raumplanungsthemen, Agrarpolitik 22+, die Themenvielfalt ist heute riesig.

Sehen Sie den SBV künftig in einer veränderten Rolle?

Ich glaube nicht. Interessenvertretung ist nach wie vor wichtig. Es geht darum, die Interessen in der politischen Diskussion zu vertreten, aber auch darum, die Interessen der Landwirtschaft in Marktthemen zu vertreten. Eine wichtige Aufgabe ist die Kommunikation gegenüber der Gesellschaft, wo wir immer wieder aufzeigen müssen, was die Landwirtschaft macht, warum die Schweizer Landwirtschaft so arbeitet. Das ist eine Aufgabe, die auch künftig wichtig sein wird.

Wie bringt der Verband die vielschichtigen Anliegen der Schweizer Landwirtinnen und Landwirte auf einen Nenner?

Wir haben eine sehr vielfältige Landwirtschaft betreffend Betriebsstrukturen und Ausrichtungen. In 90 Prozent der Fragen haben aber die Bäuerinnen und Bauern dieselben Interessen und es ist wichtig, dass wir uns auf diese Gemeinsamkeiten fokussieren. Und dort die Energie reinsteckt und nicht dort, wo es allenfalls gewisse Differenzen gibt.

Die aktuelle Weltlage stellt auch die Ernährungssicherheit wieder stärker in den Fokus. Ist das mehr Chance oder Herausforderung für die Landwirtschaft?

Schon die Corona-Krise und jetzt auch der Ukraine-Krieg zeigen, dass es nicht gottgegeben ist, dass wir immer alle Produkte zur Verfügung haben. Ich glaube auch im Bereich Lebensmittel ist in der Schweiz und in ganz Europa die Erkenntnis gewachsen, dass es eben Sinn ergibt, eine inländische Nahrungsmittelproduktion zu haben. Es liegt nun auch an uns, aufzuzeigen, dass wir zur inländischen Produktion Sorge tragen müssen, weil diese gerade in Krisenzeiten einen grossen Wert hat.

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