«Die Landwirtschaft darf nicht auf die Politik warten»

ETH-Agraringenieur und langjähriger Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft Manfred Bötsch hält die Schweizer Landwirtschaft dazu an, offensiver und mutiger zu sein. Wer für die AP 2030+ und darüber hinaus geschickte Ideen einbringen wolle, müsse diese jetzt aufgleisen.
Zuletzt aktualisiert am 24. Februar 2023
von Renate Hodel
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Manfred Boetsch Rho

Um den Forderungen von Gesellschaft und Politik künftig zu begegnen, plädiert Manfred Bötsch anlässlich der Mitgliederversammlung der Vereinigung Schweizerischer Kartoffelproduzenten für eine offensivere Haltung von Landwirtinnen und Landwirten.

Forderungen der Gesellschaft

Die gesellschaftlichen Forderungen an die Landwirtschaft würden sich zuletzt durch zum Teil absolute Forderungen auszeichnen, erläutert Manfred Bötsch: Keine Nutztiere mehr; keine chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel; gleichzeitig keine Rückstände und keine Emissionen im Boden, in der Luft, im Wasser; keine Grossbetriebe und keine Arten auf der roten Liste. «Gleichzeitig muss auf der Produktebene alles immer noch schön makellos sein, es muss frisch sein, des Weiteren sollten es am liebsten auch noch alles alte Sorten aus der Region sein und natürlich möglichst billig», veranschaulicht der ETH-Agraringenieur die teilweise widersprüchlichen und radikalen Forderungen, die aktuell aus der Gesellschaft zu spüren sind.

Und je länger, je mehr spiegelten sich diese Positionen auch im Parlament. Aber auch dort seien die Forderungen sehr absolut, meint Manfred Bötsch: Es genüge nicht mehr, besser zu sein und ausgewogene Lösungen hätten es schwer – ausserdem werde sehr monothematisch diskutiert. «Beim Tierwohl fallen so zum Beispiel Zusammenhänge wie Ernährung oder Nutzung der Grünfläche in den Hintergrund, was austarierte Lösungen verunmöglicht», erklärt er.

Ignoranz ist auch keine Lösung

Sich sträuben bringe allerdings auch nichts: «Es ist eine Tatsache, dass die urbane Gesellschaft heute die Mehrheit in der Schweiz ausmacht und sich diese von der Landwirtschaft entfremdet hat respektive das Agrarische nicht mehr kennt», sagt Manfred Bötsch. Die gesellschaftlichen Forderungen manifestierten ein Stück weit, das fehlende Vertrauen und die Gesellschaft suche nach Sicherheit, Klarheit, dem inhärenten archaischen Lebensgefühl und nach Natürlichkeit.

«Wenn die Landwirtschaft nun diese Themen aber als Spinnerei abtut und nicht implizit adressiert, dann werden wir nicht weiterkommen», meint Manfred Bötsch. Ständig Sachen abwehren und bekämpfen zu müssen, brauche ausserdem Energie und viel Geld – aber bewegt werde schlussendlich nicht viel. «Deshalb muss die Landwirtschaft in den Lead gehen – wir haben die Aufgabe, voranzugehen», ist der Agraringenieur überzeugt. Innovationstreiber sei nämlich nicht etwa die Politik, sondern findige, offene und leidenschaftliche Landwirtinnen und Landwirte. «Es ist nicht die Politik, die Innovationen bringt – es sind Bauern und Organisationen, die Hors-sol oder Hackroboter vorangetrieben haben», erläutert Manfred Bötsch und ergänzt: «Wenn die Landwirtschaft auf die Politik wartet, wird sie immer zu spät sein.»