Ethanol: Heisse Phase in Aarberg

Im Berner Seeland soll auf dem Areal der Zuckerfabrik in Aarberg dereinst wieder Schweizer Ethanol hergestellt werden. Ob das Projekt gelingt, hängt davon ab, wie die aktuell laufende Testphase verläuft.
Zuletzt aktualisiert am 16. März 2022
von Renate Hodel
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Die erhöhte Nachfrage nach Desinfektionsmittel führte 2020 während der ersten Welle der Coronaviruspandemie zu einem Mangel und Versorgungsengpässen an Ethanol, welches Bestandteil von Desinfektionsmittel ist. Auch für Kosmetika oder Medizin und sogar in der Lebensmittelindustrie wird Ethanol eingesetzt.

Da es in der Schweiz aber seit 2008 keine Ethanolproduktion mehr gibt, ist die Schweiz beim Ethanol entsprechend stark vom Ausland abhängig und Pharma- und Lebensmittelindustrie sowie die Kosmetika- und Naturheilmittelhersteller produzieren mit importiertem Ethanol. Ausserdem wurde Ende 2018 auch noch das Ethanol-Pflichtlager aufgelöst. In Anbetracht dessen, was danach folgte, mutet dies heute fast ironisch an.

Testphase soll Klarheit bringen

In Zukunft in die Bresche springen wollen die Schweizer Zucker AG zusammen mit der Alcosuisse AG. Die beiden Unternehmen haben ein Verfahren entwickelt, mit dem aus Zuckerrüben der begehrte Alkohol hergestellt werden kann und so in Zukunft die Produktion von Ethanol auch in der Schweiz wieder möglich sein soll. «Dass aus der zuckerhaltigen Melasse – einem ‹Nebenprodukt› der Zuckerherstellung – auch Alkohol destilliert werden kann, war uns klar», erklärt Raphael Wild, Leiter Kommunikation der Schweizer Zucker AG. Ob dies technisch funktioniere, sei vorgängig auch mit einer Reihe von Tests überprüft worden.

Im Verlauf des letzten Jahres wurde schliesslich mit dem Bau einer entsprechenden Produktionsanlage begonnen. Die Destillationsanlage wurde in der Zwischenzeit auch fertiggestellt und befindet sich nun in der Testphase. Ob zukünftig wieder Ethanol aus Schweizer Produktion erhältlich sein wird, hängt entscheidend von dieser Phase ab: «Wir sind sehr zufrieden, dass wir jetzt in der Testphase sind – allerdings weisen die ersten Liter logischerweise noch keine befriedigende Qualität aus», relativiert Raphael Wild.

Die Aufgabe der Anfahrphase sei es nun, zuerst einen stabilen technischen Betrieb zu ermöglichen und erst dann werde an der Produktqualität gearbeitet. «Wir sind aber überzeugt, dass die Anlage nach ein paar Anfangsschwierigkeiten das gewünschte Ethanol produzieren wird», führt Raphael Wild weiter aus.

Zuckerrueben Ji
Schweizer Zuckerrüben sollen zukünftig nicht mehr nur Rohstofflieferant für Zucker, sondern auch für Ethanol sein. (ji) |

Hohe Qualität gefordert

Das Projekt befindet sich also in einer heissen Phase. Nicht nur weil in der Brennblase der Destillationsanlage aktuell fast 80° C herrschen, sondern insbesondere auch weil von diesen Tests und den entsprechenden Feinjustierungen nun abhängt, ob und in welcher Qualität in Zukunft allenfalls Schweizer Ethanol verfügbar sein wird. Für die Schweizer Zucker AG wäre der Erfolg des Projekts nicht unbedeutend: «Jedes zusätzlich veredelte Nebenprodukt hilft, die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu steigern», sagt Raphael Wild. Damit die Alcosuisse AG das Ethanol aber für den Einsatz in der Pharma-, Kosmetik- und Lebensmittelbranche zugänglich machen kann, braucht es eben ein Produkt von chemisch-analytisch reinster, organoleptisch feinster und hochwertigster Qualität.

Vorerst werden die ersten Destillationsversuche, welche aktuell aus dem Hahn laufen, abhängig von der Qualität entweder noch weitere Male destilliert oder das Versuchsprodukt landet in der Biogasanlage. Dereinst soll dann ein Niveau erreicht werden, dass für einfache Reinigungszwecke eingesetzt werden kann. Und so soll das Ethanol weiter optimiert werden, bis es irgendwann die verlangte Qualität aufweist. Auf dieses Ziel hin wird gearbeitet und gepröbelt.

Wieder mehr Ansehen schaffen

Würde mit hiesigen Zuckerrüben wieder hier produziertes, hochwertiges Ethanol gefertigt und beispielsweise zu Desinfektionsmittel weiterverarbeitet, wäre das aber nicht nur von wirtschaftlicher Bedeutung für die Schweizer Zucker AG, sondern auch ein Image-Boost für die ganze Zuckerrübenproduktion. Erst kürzlich wurde bekannt, dass für das laufende Jahr erneut rund 200 Landwirtinnen und Landwirte in der Schweiz dem Rübenanbau den Rücken gekehrt haben. Die Zahl der Zuckerrübenproduzentinnen und -produzenten ist bereits seit einigen Jahren rückläufig und die Schweizer Zucker AG sowie der Verband der Schweizer Zuckerrübenpflanzer bemühen sich schon länger in hohem Masse, dies wieder zu ändern.

Hätte die Schweizer Zucker AG aber überhaupt genug Rüben, um das Produktionspotential auszuschöpfen, sollte die Destillationsanlage in Zukunft tatsächlich voll anlaufen? Das wäre aktuell kein Problem, erklärt Raphael Wild. «Es wird nur ein kleiner Teil der gesamten Masse einer Kampagnenproduktion für Ethanol verwendet, deshalb sind wir guter Dinge, auch künftig genug Rohstoff für Ethanol und auch für andere Zwecke wie die Hefeproduktion oder Futtermelasse zu haben», erklärt er. Zudem würde sich die Ethanolproduktion nach der Nachfrage am Markt richten. Generell solle das Ethanolprojekt aber helfen, die Attraktivität des Schweizer Rübenanbaus wieder zu steigern, meint Raphael Wild abschliessend: «Einerseits, weil wir zusätzliche Wertschöpfung schaffen und andererseits, weil es Sinn macht auch beim Ethanol eine minimale Selbstversorgung aufzubauen.»