Anzahl Betriebe nimmt weiter ab
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Viele Jahre hat Joachim Wiesner gemolken wie viele andere Landwirte auch. Abgesehen davon, dass er dabei auf die Zweinutzungsrasse Montbéliard gesetzt hat, war daran nichts aussergewöhnlich. Bis eines Tages 20 Dorperschafe auf dem Talackerhof in Tenniken BL eintrafen und Joachim Wiesner, der den elterlichen Betrieb gemeinsam mit seiner Frau Renate in fünfter Generation führt, zum Nachdenken und Träumen brachte. Wie schön es doch wäre, wenn er einen Weg fände, mit den Schafen sein Geld zu verdienen.
Er erfuhr per Zufall von einer Naturpflege GmbH ganz in seiner Nähe und durfte schon bald dort Aufträge übernehmen. Sprich: Wenn auf Firmengeländen oder bei Privaten, rund um Schulen oder an den Bahntrassees der SBB nicht landwirtschaftlich genutzte Flächen beweidet werden müssen, berechnet Joachim Wiesner wie viele Tiere es dort braucht und bringt die Tiere zur Naturpflege vorbei. Als eine Art «natürliche Rasenmäher» kommen dann seine Schafe zum Einsatz und tun dabei viel für die Biodiversität.
Wenn die Naturpflege-Saison im April wieder losgeht, kann es gut sein, dass Joachim Wiesner beim Einzäunen der abzuweidenden Parzellen, Hilfe hat: Lyliya Sutter. Sie stammt ursprünglich aus der Ukraine und führt in Oberdorf BL einen Bio-Milchbetrieb – bis vor Kurzem gemeinsam mit ihrem Mann. Bis eines Tages im November 2020 das Schicksal das Ruder übernimmt: Lyliyas Mann verstirbt völlig überraschend.
Zwar kann sie das Melken selber übernehmen und sich um die drei Kinder kümmern, aber wie soll es jetzt weitergehen? Gemeinsam mit dem befreundeten Ehepaar Joachim und Renate Wiesner überlegen die drei. Sie alle wünschen sich, dass die Kinder die beiden Betriebe eines Tages weiterführen können. So entsteht die Idee einer Betriebsgemeinschaft. Diese umfasst zwei Betriebe und weist eine Fläche von insgesamt 43 Hektaren auf.
Schnell zeigt sich, dass die Standbeine der beiden Betriebe sinnvoll ineinandergreifen. Und noch immer sind Joachim und Renate Wiesner und Lyliya Sutter daran, zu überlegen wie Synergien der beiden Betriebe künftig noch besser genutzt und man einander noch besser unterstützen könnte.
Joachim Wiesner hat in den letzten Monaten sein Naturpflege-Standbein weiter ausgebaut. Hatte er anfänglich nur Dorperschafe im Einsatz, so kann er mittlerweile je nach Fläche und Aufgabe die passenden Tiere auswählen aus etwa 30 Walliser Landschafen, 48 Dorperschafen, 3 Skudden, 21 Ziegen (vor allem Stiefelgeissen), 7 Alpakas und 9 Zebus.
Denn geht es zum Beispiel auf der zu bearbeitenden Fläche um das Entbuschen, leisten Ziegen den effektivsten Einsatz, soll hingegen das Gelände möglichst geschont werden, sind Alpakas ideal. So kann Joachim Wiesner je nach Auftrag entscheiden, wie viele seiner Tiere und von welcher Tierart oder Rasse zum Einsatz kommen.
Renate und Lyliya kümmern sich derweil um den Direktverkauf. Durch den grossen Obstbaumbestand auf dem Talackerhof können die Frauen ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Ebenfalls über Direktverkauf vermarktet die Betriebsgemeinschaft Fleisch, Eier von den eigenen Legehennen und Alpkäse von der Lombachalp - zwei der Montbéliard-Kühe verbringen den Sommer jeweils auf der Alp. Der Hauptverkaufspunkt befindet sich im Dorf Tenniken.
Dazu haben alle auch ausserhalb des Betriebs zu tun: Joachim schneidet Bäume und Sträucher, ist für Agro-Image in Schulklassen im Einsatz, wo er Wissen über Preisunterschiede von nachhaltig und nicht nachhaltig produzierten Nahrungsmittel vermittelt, Renate arbeitet mit einem 50%-Pensum in einer Kantine und Lyliya ist zu knapp 10% als Spielgruppenleiterin im Einsatz.
Es ist ebenfalls Lyliya, die Alpaka-Trekkings über den Belchen anbietet, in dessen Rahmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Genuss eines ukrainischen Essens kommen. Und, falls Lyliya mal nicht zum Melken kommt, springt Joachim ein.
So unterstützen sich die drei gegenseitig und es entstehen laufend neue Ideen. Und die beiden Betriebe beeinflussen sich gegenseitig auch von der Philosophie her. Weil Lyliyas Betrieb schon lange ein Biobetrieb ist und Wiesner Talackerhof durch eine naturnahe Produktionsweise ebenfalls nicht weit davon entfernt ist, befinden sich Renate und Joachim Wiesner aktuell in der Umstellung auf Bio.
«Mir ist es vor allem ein grosses Anliegen, dass wir möglichst viel hofeigenes Futter produzieren können. Bei den Kühen kaufen wir aktuell noch ein bisschen Futter dazu, der Rest stammt bereits ausschliesslich vom eigenen Betrieb», sagt Joachim Wiesner. Wobei es nicht immer einfach gewesen sei, das Heu auch rechtzeitig einzubringen. «Ich hatte mit der Naturpflege teilweise so viel zu tun, dass ich kaum zum Heuen gekommen bin», sagt Wiesner.
Und so müssen die drei auch herausfinden, wo ihre Grenzen sind und wo sie vielleicht noch Unterstützung brauchen. Mittlerweile bekommt Joachim Hilfe bei der Pflege seiner vielen Tiere. Vor allem während der Weidesaison von April bis Weihnachten, wenn die Tiere überall im Kanton und darüber hinaus auf Weiden verteilt sind, ist er froh, wenn er die Tiere nicht alle alleine kontrollieren und mit frischem Wasser versorgen muss. «Mancherorts übernehmen die Quartierbewohner oder der Schulhausabwart die Versorgung mit Wasser», sagt Wiesner. Doch müsse er trotzdem dort regelmässig vorbei, um zu überprüfen, ob mit dem Zaun noch alles stimmt oder ob ein Tier vielleicht lahmt.
Ausgelöst durch einen Schicksalsschlag ist aus zwei Betrieben eine innovative Betriebsgemeinschaft geworden, die sich laufend weiterentwickelt. Die beiden Familien helfen sich gegenseitig und suchen gemeinsam nach Wegen, damit die beiden Betriebe auch langfristig wirtschaftlich geführt werden können. Denn sowohl Joachim und Renate Wiesner hoffen darauf, dass eines ihrer fünf Kinder eines Tages den Talackerhof übernimmt, wie auch Lyliya Sutter. Sie fände es schön, wenn eines Tages eines ihrer drei Kinder einen voll funktionierenden Hof übernehmen und weiter in die Zukunft führen könnte.
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