Der Gegensatz nimmt zu - die meisten stehen dazwischen

Stadt und Land: Ein Gegensatz, ein Zusammenstehen oder gar ein Graben? Die Fenaco hat einen umfangreichen Stadt-Land-Monitor publiziert.
Zuletzt aktualisiert am 17. Dezember 2021
von Jonas Ingold
3 Minuten Lesedauer
Stadt Land Jin

Stadt und Land durch einen Graben getrennt? Das Thema ist alles andere als neu. Aber es scheint brisanter denn je, blickt man auf Abstimmungen der letzten Zeit zurück. Ob Jagdgesetz, Agrarinitiative oder CO2-Gesetz: Die Kluft zwischen Stadt und Land zeigt sich oft bei den Resultaten und im Abstimmungskampf.

Die Genossenschaft Fenaco hat das Thema aufgegriffen und dem Forschungsinstitut Sotomo den Auftrag erteilt, einen umfassenden Stadt-Land-Monitor zu verfassen. Präsentiert wurde der Studienbericht Mitte Dezember – mit teils überraschenden Resultaten.

Der politische Gegensatz wird grösser

Gleich vorweg: Die Studie zeigt, dass es in den letzten zwei Jahren gemäss Abstimmungsdaten tatsächlich zu einer massiven Ausweitung des Stadt-Land-Gegensatzes gekommen ist. So gab es bei 14 von 22 Abstimmungen eine Stadt-Land-Differenz, die deutlich über dem langjährigen Schnitt liegt.

Tatsächlich nehmen auch zwei Drittel der 3000 befragten Personen den Stadt-Land-Gegensatz als gross und relevant wahr. Aber nur ein Viertel sieht darin für die Schweiz auch eine Belastungsprobe.

Kein wirklicher Graben

Und: Einen harten Stadt-Land-Graben gibt es gemäss Studie nicht. Es handle sich vielmehr um ein Spannungsfeld zwischen den grösseren Städten – das sind solche mit über 50'000 Bewohnerinnen und Bewohnern - und dem ländlichen Raum. Aber nur eine Minderheit sieht sich einem der Pole zugehörig. Lediglich 8 Prozent sehen sich jeweils als Teil einer sehr städtischen resp. sehr ländlichen Gemeinde. Dieses Dazwischen ist laut Studienautoren die schweizerische Normalität. Die kleineren Städte und die Agglomerations-Gemeinden nehmen eher eine intermediäre Position ein.

Städte werden überstimmt - dominieren aber sonst

Blickt man auf die Abstimmungsergebnisse, so zeigt sich, dass die grossen Städte am häufigsten überstimmt werden. Aus Sicht der Befragten ist diese Unterlegenheit aber auf politische Entscheidungen beschränkt, also eine Ausnahme. So wird die Stadt in gesellschaftlichen Fragen als besonders dominant wahrgenommen. Sie bestimmt laut 57% der Befragten die gesellschaftlichen Trends. 40% gehen auch davon aus, dass die Stadt bei den Medieninhalten bestimmend ist, nur 8 Prozent sehen dort das Land in der Leaderrolle. Auch bei der Wirtschaft sieht eine deutliche Mehrheit die Stadt in der dominanten Rolle.

Unterschiedliche gegenseitige Zuneigung: Zwischen arrogant und sympathisch

Sowohl die städtische als auch die ländliche Bevölkerung werfen sich jeweils mangelndes Interesse an der anderen Bevölkerung vor. So gehen nur 37% der Stadtbewohnerinnen und -bewohner davon aus, dass die Stadt bei der Landbevölkerung genügend Beachtung findet. Und nur gerade 30 Prozent der ländlichen Bevölkerung sagt dies von den Städterinnen und Städtern.

Ganz anders sieht die gegenseitige Zuneigung aus: Städterinnen und Städter beschreiben die Landbevölkerung als «sympathisch», «gesellig» und «hilfsbereit». Von der anderen Seite hingegen wird die Stadtbevölkerung als «arrogant», «oberflächlich» oder «egoistisch» wahrgenommen. Das Bild des entwurzelten Stadtmenschen, das schon in den Heidi-Romanen gezeichnet worden sei, bleibe bis heute tief in den Köpfen verankert.

Das Land ist ein Sehnsuchtsort

Nach dem Land besteht eine Sehnsucht. Während nur 14% am liebsten in einer grösseren Stadt leben würden und es sich weitere 16% gut vorstellen könnten, möchten ganze 38% am liebsten auf dem Land leben und weitere 24% können sich dies gut vorstellen. Grossstädtisches Wohnen sei in der Schweiz ein Nischenprodukt, schliesst die Studie. Das Land ist also für breite Teile der Bevölkerung ein Sehnsuchtsort – die Pandemie hat dies noch gesteigert.

Und wie könnte nach Ansicht der Befragten ein besseres Verständnis zwischen den Polen geschaffen werden? Der persönliche Kontakt mit Personen aus der anderen Lebenswelt ist dabei für die Befragten am bedeutendsten. Ebenfalls auf Zuspruch stossen Besuche oder Beiträge und Porträts in den Medien.

Die Fenaco unterstützt Projekte finanziell

Die Fenaco will nun Projekte fördern, die für mehr Verständnis zwischen Stadt und Land sorgen. «Das Bild des Stadt-Land-Grabens mag zu weit gehen. Trotzdem, zwischen dem Leben einer Landwirtin im Entlebuch und eines IT-Entwicklers mitten in Zürich liegen Welten», so Martin Keller, Vorsitzender der Fenaco-Geschäftsleitung, an einer Medienkonferenz in Bern. Er zeigte sich überzeugt davon, dass für ein langfristig gutes Verständnis zwischen Stadt und Land die Begegnungsmöglichkeiten erweitert und der Dialog intensiviert werden müsse. «Für uns ist klar: Die Stadt braucht das Land und das Land braucht die Stadt», so Keller.

Die von der Fenaco gesprochenen 10 Millionen Franken – möglich macht dies das gute Geschäftsjahr 2020 – sollen einer Stiftung zufliessen. Aktuell klärt die Fenaco ab, ob eine neue Stiftung gegründet oder eine bestehende damit betraut wird. Nicht die Fenaco selbst führt die Projekte durch, vielmehr sollen schon existierende Projekte oder neue finanziell unterstützt werden. «Wir sind sehr offen für Kooperationen», so Keller. In erster Linie will die Fenaco Initiativen unterstützen, die den persönlichen Austausch und die direkte Begegnung zwischen Bevölkerung und Bauernfamilien fördern.

DieSotomo-Umfrage gibt erste Anhaltspunkte, welche Projekte die Bevölkerung für sinnvoll hält. Unter den Befragten sind Massnahmen zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Stadt und Land breit abgestützt. So bewerten 92 Prozent die Einführung von obligatorischen Schulbesuchen auf dem Bauernhof positiv. Ebenfalls auf viel positives Feedback stösst die Einführung eines Stadt-Land-Begegnungstages oder die Einführung von Stadtschulwochen.