Der Zuckerhut: Frisch durch die kühle Zeit
Der Herbst ist da, der Winter naht: Der Zuckerhut bringt auch in den kühleren Jahreszeiten Frische auf den Teller.
Eine der wenigen Bio-Chicorée-Produktionsstätten der Schweiz liegt im Berner Seeland. Der "Tannenhof" in Gampelen. Eine Heim- und Wiedereingliederungsstätte, die Frauen und Männer mit psychischen und sozialen Problemen verschiedenster Art aufnimmt. Menschen, die keine Therapie brauchen, aber betreuungsbedürftig sind und etwas mehr Zeit benötigen für ihre Tätigkeiten als ihnen in anderen Betrieben zugestanden wird.
In der grossen Anlage ausserhalb des Dorfes nahe dem Neuenburgersee finden bis zu 87 Personen neben einem Zuhause vielfältige Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Wie die Landwirtschaft und die Mitarbeit in der Chicorée-Produktion.
Hier wird auf der rund 140 Hektaren grossen Landwirtschaftsfläche beides produziert, die Wurzel und der Chicorée-Zapfen. Aufgrund der hohen Investitionskosten für die Produktionshallen eine Seltenheit in der Schweiz. Für den "Tannenhof" in Gampelen ist aber die Gesamtproduktion ein ausgesprochener Vorteil und mit ein Grund, weshalb auf dem Betrieb Chicorée angepflanzt wird. Die verschiedenen Anbauphasen von der Saat im Frühjahr über die Wurzelproduktion samt der Pflege bis im Herbst und der anschliessenden Zucht des Zapfens generiert für die Bewohner das ganze Jahr über Arbeit.
Die Felder um den "Tannenhof" liegen im Winter brach. Auf ihnen eine dünne Schneeschicht. Im Frühjahr werden von Gemüsebauleiter Markus Schumacher und seinem Team rund 270'000 Chicoree-Körner pro Hektar ausgesät, 1 cm unter die Erde gebracht und angedrückt. Nach gut acht Tagen spriessen die ersten grünen Blätter über der Erde. Sie ähneln Löwenzahn, der derselben Familie entstammt.
Bis die Wurzel des Chicorée geerntet wird, wächst diese mit einer sorgfältigen Wasserversorgung kniehoch heran. Erst Ende September werden die Chicorée-Wurzeln auf dem "Tannenhof" mit einem umgebauten Kartoffelvollernter aus dem Boden geholt, geputzt und in Paloxen im Kühlraum säuberlich gereiht bei -1 bis 0 Grad eingelagert. "Hier bleiben sie mindestens für 10 Tage wie in einem vermeintlichen Winter", erklärt Markus Schumacher. Werden die Wurzeln ausreichend kalt gelagert, kann aus ihnen bis Mai/Juni Chicorée getrieben werden.
Soll nun der Chicorée spriessen, kommen die Wurzeln in die Treiberei. In absoluter Dunkelheit und in Wannen mit gut temperiertem Wasser gestellt, lagern sie reihenweise in grossen Regalen. Dass der Chicorée in der Finsternis wächst hat einen guten Grund: würden die Blätter grün, würde er zu bitter. Die heutige Zucht der gelben Zapfen ist meist bitterarm. Der dunkle Raum, in dem die feinen, hellgelben Chicoréeblätter aus den Wurzeln spriessen, ist klimagesteuert und der mit Sauerstoff angereicherte Wasserkreislauf durch die Reihen sorgt für eine feuchtwarme Atmosphäre. Es sprudelt und brodelt wie in einem Spa.
In der bis zu 13 Grad temperierten Treiberei verbringen die Wurzeln bis zu 28 Tage. Schon bald spriessen aus dem dunklen Wurzelstock die Blätter. Ist der hellgelbe Spross voll ausgewachsen, wird die Wurzel abgeknickt.
Auf dem "Tannenhof" wandert diese auf den Kompost, auf anderen Betrieben werden sie den Kühen verfüttert. In einer grossen Halle werden die Zapfen von den Bewohnern für den Verkauf von Hand gereinigt, sortiert, gerüstet und abgepackt. Der "Tannenhof" liefert pro Jahr rund 50 Tonnen Chicorée an die Bio-Produzentenorganisation Gemüsehändler Terraviva.
Der "Tannenhof" grenzt an das Fanel, ein Naturschutzgebiet mit nationaler Bedeutung für Zugvögel. Das Fanel ist ein Feuchtgebiet nahe des Neuenburgersees, das eines der wichtigsten Brut- und Überwinterungsgebiete für Wasservögel in der Schweiz ist. Das ist ein Grund, warum die gesamte Gemüseproduktion auf dem Betrieb nach einer zweijährigen Planungsphase im Jahr 2016 auf Bio umgestellt wurde.
Die ökologische und nachhaltige Landwirtschaft ist zudem Lukas de Rougement, Betriebsleiter Landwirtschaft auf dem "Tannenhof", ein grosses Anliegen. "Sie ist enkeltauglich und auf einen sozialen Betrieb wie unserem passt der Bioanbau einfach hin", ist er überzeugt. "Auch wenn gerade die Bio-Chicoréeproduktion hohe Schule und mit sehr vielen Risiken verbunden ist." Beim Bio-Chicorée darf kein künstlicher Flüssigdünger beigemischt werden und so braucht der gelbe Zapfen eine Woche länger zum Spriessen als bei der konventionellen Aufzucht.
Ein Risiko zeigte sich im letzten Jahr. Der Chicorée wurde im Treibraum von einem Krautfäulepilz befallen, der Schäden von mehreren 10'000 Franken anrichtete. Die hellgelben Zapfen faulten in der gut temperierten Halle, wuchsen nicht mehr und der gesamte Wasserkreislauf verschleimte. Nun experimentiert Lukas de Rougemont mit einem Komposttee, den er dem Wasserkreislauf beimengt. Ein Cocktail aus Pilzen, Bakterien und Protozoen. Dieser Versuch zeigt bis jetzt einen positiven Effekt. Etwas vom Wichtigsten im gesamten Produktionskreislauf ist aber der gute Start: das gesunde Gedeihen der dunklen Wurzel, die Grundlage aus dem die hellgelben Chicorée-Köpfe spriessen.
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