Viehschau: Punkten bei Profis und Publikum

An Viehschauen treffen sich Viehzüchterinnen und Viehzüchter, um sich auszutauschen und zu vernetzen. Da sie mit viel Tradition verbunden sind, geniessen Viehschauen auch ausserhalb der bäuerlichen Bevölkerung einen hohen kulturellen Stellenwert und sind mancherorts wahre Publikumsmagneten.
Zuletzt aktualisiert am 21. Oktober 2022
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Viehschau Schangnau 01 Lilian Reber

Schönheitswettbewerbe sind heute eher verpönt – nicht so in der Viehzucht. Dort betreiben Landwirtinnen und Landwirte viel Aufwand, um ihre Kühe für die Viehschauen herzurichten: Die Kühe werden gewaschen und geschoren, Blumengestecke vorbereitet und Glocken und Treicheln geputzt, um mit den schön geschmückten Kühen an der Viehschau aufzufahren.

Friedlicher Wettstreit

«Diese regionalen und kantonalen Schauen sind ein Motor der Viehzucht und bieten beste Vergleichsmöglichkeiten unter den Züchtern», erklärt Jörg Hähni von Braunvieh Schweiz, dem Verband der Braunviehzüchterinnen und -züchter. Die Jurierung und Prämierung der schönsten Braunviehtiere bildeten dabei den Rahmen für einen friedlichen Wettstreit. «Es geht für die Züchterinnen und Züchter vor allem darum, zu sehen, wo sie mit ihrer Zucht im Vergleich zu anderen Betrieben und Rassen stehen», bestätigt auch Christian Burkhalter, Geschäftsführer des Bernischen Fleckviehzuchtverbands.

Für Ruhm und Ehre

Monetär belohnt wird eine Züchterin oder ein Züchter für einen allfälligen Erfolg einer Kuh allerdings kaum. «Es locken keine grossen Preisgelder wie in anderen Branchen, sondern lediglich Ruhm und Ehre sowie die Bestätigung der Zuchterfolge und damit eine Plattform, als guter und erfolgreicher Züchter im Nachgang, während der Abkalbesaison, seine Tiere bestmöglich vermarkten zu können», erklärt Jörg Hähni. Insbesondere in Regionen, wo der Verkauf von Einzeltieren noch einen hohen Stellenwert geniesse und mit gut punktierten Kühen ein Mehrerlös erzielt werden könne, seien Viehschauen sehr wichtig, meint auch Christian Burkhalter.

Jährlich werden rund 40’000 Herdebuchtiere des Rindviehzuchtverbands Swissherdbook bei Beständeschauen gestellt und punktiert. Sicher werde diese Zahl in Zukunft eher abnehmen als zunehmen, meint Burkhalter. Der Aufwand sei schon beachtlich und in Gebieten, wo der Fokus eher auf dem Ackerbau liege und die Kuh einen weniger grossen Stellenwert habe, hätten die Viehschauen zuletzt auch abgenommen. «Trotzdem sprechen die aktuellen Teilnahmezahlen sowie die Emotionen, die man an diesen Anlässen beobachten kann, dafür, dass Viehschauen durchaus noch zeitgemäss sind», ergänzt er.

Kulturgut und Publikumsanlass

Daneben seien solche Anlässe auch von hoher kultureller Bedeutung, erläutert Jörg Hähni. In der Zentralschweiz, im Züribiet und der Ostschweiz seien im Herbst nach der Alpsaison und den dazugehörigen Alpabfahrten vor allem sogenannte Kantonal- oder Bezirksviehschauen bekannt. «Insbesondere in den Kantonen Uri, Ob- und Nidwalden, Glarus, den beiden Appenzell und in Schwyz haben dies Anlässe auch einen folkloristischen Charakter, gehören zum Kulturgut des jeweiligen Kantons und haben eine jahrzehntelange Tradition», erklärt er.

Sie seien oft mit einem stattlichen Umzug vor Hunderten oder gar Tausenden von Zuschauern verbunden. In den Kantonen St. Gallen, Zürich und Luzern würden die sogenannten Gemeinde- oder Regionalviehschauen zwar etwas kleiner ausfallen, aber auch diese Anlässe seien von einer langen Tradition geprägt und hätten teilweise auch Marktcharakter. «Es sind nicht nur Festtage für Landwirtinnen und Landwirte, sondern auch für sehr viele Dorfbewohner», sagt Jörg Hähni. Diese Schauen seien damit eine gute Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch.

Zurück zur Tradition

Dasselbe gelte für die Beständeschauen der Fleckviehzuchtvereine, bestätigt Christian Burkhalter: «Vielerorts sind die Viehschauen, die mit der Züglete, musikalischer Unterhaltung und einer Festwirtschaft umrahmt werden, der Hauptanlass, ja sogar der einzige kulturelle Anlass im Dorf und daher von grosser Bedeutung.» Ähnlich wie es aktuell bei diversen Schwingfesten zu beobachten sei, fügten sie sich Viehschauen ausserdem natürlicherweise in den aktuellen Trend ein, der sich wieder verstärkt zurück zu den Wurzeln und Traditionen besinne, meint Jörg Hähni. «Tatsächlich sind die Schauen heute mehr denn je Brückenbauer zwischen den Landwirtinnen und Landwirten und den Konsumentinnen und Konsumenten – die aufführenden Betriebe leisten wertvolle Öffentlichkeitsarbeit und fördern damit die Wertschätzung für die gesamte einheimische Landwirtschaft», ist er überzeugt.

Interview mit Christian Reber, Viehschauexperte von Swissherdbook


LID: Wie funktioniert die Bewertung vor Ort an der Viehschau?
Christian Reber: An einem Schautag werden die Kühe in acht verschiedene Klassen oder auch Kategorien eingeteilt und auf dem Viehschauplatz entsprechend angebunden. Das Alter und die Anzahl Abkalbungen der Kuh sind dabei ausschlaggebend, in welcher Klasse das Tier bewertet wird. Einem Experten werden dann je nach Anzahl der Kühe je Klasse eine bis drei Klassen zugeteilt und die Kühe dann nacheinander einzeln begutachtet und nach vier Aspekten punktiert. Unter dem Aspekt «Typ» wird unter anderem bewertet, ob die Körpergrösse der Rasse entspricht. Daneben werden beispielsweise aber auch die Beckenbreite und -länge bewertet und bei Simmentaler und Swiss Fleckvieh als Zweinutzungsrassen spielt auch die Bemuskelung eine Rolle. Und dann zählt auch der Ausdruck: Dazu gehören bei Simmentaler beispielsweise die Hörner und bei allen Rassen wird auf die Farbe und Zeichnung geachtet. Zuletzt ist unter diesem Aspekt auch ausschlaggebend, ob das Tier gepflegt und sauber daherkommt. Unter dem Aspekt «Fundament» werden die Schultern, die Stellung der Vorder- und Hinterbeine, aber auch die Klauen oder der Bewegungsablauf bewertet. Unter dem Aspekt «Euter» wird unter anderem die Länge und Festigkeit des Vordereuters, die Beaderung oder die Hintereuterhöhe und -breite angeschaut. Unter dem Aspekt «Zitzen» werden die Länge und die Struktur der Zitzen begutachtet: Die Zitzen sollten beispielsweise nicht trichterförmig, sondern von oben bis unten die gleiche Breite haben und in der Mitte des Euterviertels mit leichter Stellung nach innen platziert sein. Bei den Tieren bis und mit der ersten Laktation ist die maximale Einzelposition eine 4, was vorzüglich bedeutet. Das Minimum und ungenügend wäre eine 0, dies wird aber laut meinen Kenntnissen praktisch nicht mehr vergeben. Eine 1 wird aber schon auch noch vergeben und bedeutet genügend. Bei den älteren Tieren ab der zweiten Abkalbung ist die maximale zu vergebene Einzelposition dann eine 5. Zuletzt wird noch eine Gesamtpunktzahl vergeben. Bei Kühen mit einer Abkalbung beträgt diese maximal 90 Punkte, bei Kühen mit einer abgeschlossenen Laktation 94, bei Kühen mit zwei abgeschlossenen Laktationen 96 und bei Kühen mit drei und mehr abgeschlossenen Laktationen beträgt die maximale Gesamtpunktzahl 98 Punkte. Ein gewisser Anteil der Kühe pro Klasse kommt am Schluss dann in den Ring – das sind immer die Tiere mit den höchsten Punktzahlen.

LID: Kann man in den wenigen Minuten, in der man eine Kuh anschaut, wirklich eine zuverlässige Bewertung machen?
Christian Reber: Es braucht sicher genug Erfahrung und Routine. Ausserdem sind die meisten Experten selbst Züchter und sind daher jeden Tag um Kühe herum. Eine fundierte Bewertung ist darum problemlos möglich.

LID: Viele der bewerteten Schönheitsmerkmale haben einen wirtschaftlichen Hintergrund – garantiert Schönheit also auch Leistung, Fitness oder Gesundheit?
Christian Reber: Die bewerteten Aspekte haben einen stark wirtschaftlichen Hintergrund. So ist ein guter Beckenausbau beispielsweise ein Hinweis auf eine gute Fruchtbarkeit und verspricht einfache Geburten, ein gutes Fundament und eine parallele Beinstellung bedeuten einen sicheren Gang, was Unfälle vorbeugen kann und ein schönes Euter hat gute Voraussetzungen für mehr Laktationen. So bringt eine schöne Kuh grundsätzlich alle Voraussetzungen mit, um entsprechend leistungsfähig und auch möglichst lange fit und gesund zu bleiben. Allerdings kann mit der Bewertung an der Viehschau beispielsweise keine Aussage zur Qualität der Milch gemacht werden. Wir Experten können auf dem Datenblatt zwar sehen, wie viel Milch die Kuh gibt – die Zellzahlen sind aber nicht ersichtlich. Auch die Geburten werden aufgeführt, gibt es aber Lücken, muss das nicht unbedingt bedeuten, dass die Kuh eine schlechte Fruchtbarkeit aufweist. Vielleicht war sie trotzdem trächtig, hat das Kalb aber erworfen sprich bei einer Fehlgeburt verloren.

LID: Was nützt der Landwirtin oder dem Landwirt die gut punktierte Kuh im Stall?
Christian Reber: Sicher kommen neben einer guten Punktierung auch noch andere Qualitätsmerkmale hinzu, die eine Kuh wertvoll machen – wie die Qualität der Milch. Mit einer guten Punktierung an einer Viehschau ist aber ein gutes Gerüst gegeben und junge, gut punktierte Kühe sind gefragt und erzielen gute Preise.