Der Schwingsport und das ESAF: Tradition bewahren, Wandel gestalten

Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest wächst – doch es bleibt seinen Wurzeln treu. Zwischen Sägemehl, Schwinghosen und moderner Eventkultur meistert es den Spagat zwischen Brauchtum und Zeitgeist.
Zuletzt aktualisiert am 29. April 2025
von Martina Graf
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Rolf Gasser 2024 0491 (1)

Seit der Durchführung des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes (ESAF) in Nyon im Jahr 2001, mit 110'000 Festbesuchern, hat die Veranstaltung stetig an Grösse und Popularität gewonnen. Mit dem ESAF 2004 in Luzern gewann der Anlass an Ausstrahlung – mehr mediale Aufmerksamkeit, grösser als je zuvor und ein wirtschaftlicher Schub machten es zum Vorbild für alle folgenden Feste. Heute zählt das Fest mit einem Budget von 40 Millionen Franken und 400'000 Besucherinnen und Besuchern (ESAF 2022) zu den bedeutendsten Sportanlässen der Schweiz.

Trotz steigendem Medieninteresse und verändertem Publikum bleibt der Kern des Schwingsports unverändert – die Schwinger, die Gaben, die Ehrendamen und der Stolz auf ein Brauchtum mit klaren Werten. «Das ESAF bleibt dem Schwingsport treu – trotz Wandel und Wachstum», so Rolf Gasser, Geschäftsführer des Eidgenössischen Schwingerverbandes (ESV) seit 2011. Selbst im Sägemehl gross geworden, hat er die Entwicklung des ESAF über Jahrzehnte begleitet und miterlebt.

«Der Spagat zwischen Wachstum und Tradition gelingt nur, wenn das ESAF seinen Wurzeln treu bleibt.»

Der Schwingsport hebt sich als Schweizer Kulturgut bewusst von internationalen Wettkampfarten ab und setzt auf Authentizität. So gibt es keine Sponsorenlogos auf der Wettkampfkleidung der Schwinger, Ehrendamen überreichen die Gaben in traditioneller Tracht, und eine VIP-Lounge gibt es in der Arena nicht. Die Schwinghose bleibt das unverkennbare Markenzeichen der Sportler. «Wir versuchen, unsere Wurzeln aktiv zu bewahren», sagt Rolf Gasser. Diese klare Abgrenzung sei mitverantwortlich für den Erfolg des ESAF und des Schwingsports.

Gleichzeitig erfordert der Zeitgeist Anpassungen. Die zunehmende Medienpräsenz ist ein Schlüsselfaktor. Während vor 40 Jahren Fernsehteams bei Schwingfesten für ganztägige Liveübertragungen undenkbar waren, ist dies heute Normalität. Die Akzeptanz des Schwingsports in der Gesamtbevölkerung ist enorm gestiegen. «Vergleichen wir es mit dem Super Bowl der US-Amerikaner», sagt Rolf Gasser. «Die Leute identifizieren sich damit. Genauso ist das beim Schwingsport: Er hat sich als fester Bestandteil der Schweizer Sportkultur etabliert.»

«Schwingen ist hip»

Nicht nur ist das Interesse der Bevölkerung heute viel vielfältiger, sondern der Schwingsport spricht – gerade auch wegen der Akzeptanz – auch ein jüngeres Publikum an. Gasser ergänzt: «Heute haben wir an den Schwingfesten viele junge Zuschauer, die flexibel zwischen verschiedenen Sportarten wechseln: Am Freitag schauen sie ein Fussballspiel, am Samstag einen Eishockey-Match, und am Sonntag besuchen sie ein Schwingfest. Der Begriff «Schwinger-Hipster» beschreibt diesen neuen Besuchertyp treffend. Die ursprüngliche Form des Sports, der Kampf Mann-gegen-Mann, wird bei den Jungen wieder geschätzt.»

 

«Wir sind regional, nachhaltig, vielfältig.»

Auch heute noch gehören Bier und Bratwurst zum ESAF. Dennoch hat sich das Essensangebot mit einem breiteren Publikum und dem Zeitgeist gewandelt. «Unsere Lebensmittelpyramide enthält noch immer Fleisch», sagt Rolf Gasser mit einem Augenzwinkern. «Aber wir haben uns weiterentwickelt. 2001 in Nyon, auf dem Gelände des Paléo Festivals, gab es erstmals asiatische, mexikanische und internationale Küche – heute ist das der Standard. Auch vegetarische Menüs sind inzwischen fest etabliert. Zudem spielt Regionalität eine wichtige Rolle, selbst wenn ein grosser Sponsor im Foodbereich vertreten ist.»

Auch in Sachen Nachhaltigkeit hat sich einiges getan. «Plastikbecher und Plastiklöffel gehören der Vergangenheit an, stattdessen setzen wir auf Mehrwegbecher. Beim Bier gibt es aber eine Ausnahme: dort arbeiten wir mit Glasflaschen – sie sind einfach praktischer. Zum Glück haben wir ein sehr anständiges Publikum, sodass das problemlos funktioniert.»

«Das ESAF ist mehr als ein Fest – es ist ein einzigartiges Gemeinschaftsgefühl.»

Die Grösse des ESAF erfordert neue Organisationsformen. «Wenn man sich heute verabreden will, braucht es das Handy», erklärt Rolf Gasser die Veränderung. Dennoch bleibt der Verbandsgedanke als wichtiger Bestandteil bestehen. «Wir versuchen, Orte zu schaffen, wo sich die Vereinsschwinger treffen können. Es gibt 5 Verbandszelte mit einem Platzangebot von je 250 Sitzplätzen, wo sich der Kern der Schwingerszene versammelt.» Auch die Stimmung in der Arena bleibt einzigartig. «Wenn am Samstagmorgen um 8:15 Uhr die Nationalhymne erklingt und 50'000 Zuschauer mit einstimmen, dann ist das einmalig. Das sind fantastische Elemente, die den Anlass prägen und für Gänsehaut sorgen.»

Mit einem jüngeren Publikum ist auch mehr Lebendigkeit ins Eidgenössische gezogen, ohne das Traditionelle zurückzudrängen. «Wenn ein Schwinger gewinnt und dann in seiner Fangemeinde eine Welle anreisst, kann er das machen. Das macht Stimmung. Und wenn er seinen Gegner respektvoll aufhilft und ihm den Rücken abklopft, dann zeigt das den Geist des Schwingsports. Besonders imposant ist es, wenn die ganze Arena mit 50'000 Zuschauern mitgeht.»

«Das ESAF soll ein authentisches Fest bleiben, das Tradition und Moderne verbindet.»

Die Nachfrage nach Austragungsorten bleibt hoch: 2028 findet das ESAF in Thun statt, 2031 in der Westschweiz, und für 2034 sowie 2037 gibt es bereits Interessenten für eine Bewerbung. «Standortwahl, Verkehr, Sicherheit, Nachhaltigkeit – diese Faktoren sind entscheidend», gibt Rolf Gasser zu bedenken. «Die Machbarkeitsstudien der Bewerber zeigen, ob ein Standort diesen Anforderungen gerecht wird.»

Auch Grösse und Wirtschaftlichkeit sind zentrale Themen. «56’000 Zuschauer sind der Standard, in manchen Regionen wären 45’000 sinnvoller. Eine Vergrösserung auf 70’000 ist in der Schweiz kaum machbar. Auch finanziell braucht es Augenmass: Das ESAF trägt als Marke des ESV die Verantwortung, doch es gibt keine Defizitgarantie seitens des Verbandes. Höhere Kosten – etwa für Infrastruktur oder Sicherheit – könnten die Ticketpreise weiter steigen lassen. Das letzte ESAF konnte nur dank enormer Anstrengung von verschiedenen Seiten nach dem Fest von einem Defizit in Millionenhöhe bewahrt werden.»

Dazu kommen Organisation und Identität. «Nach aussen muss das Bild positiv sein, aber nicht künstlich – Authentizität ist entscheidend», betont Rolf Gasser. Tausende Freiwillige und Sponsoren tragen das Fest – eine gewaltige Aufgabe. «Jedem Organisator, der sich dem stellt, muss ich ein Kränzli winden.»

Und auch wenn sich das Drumherum verändert – eines bleibt auf jeden Fall: Rund 40 Schwinger werden am ESAF 2025 und allen, die noch folgen, mit einem Kranz zum «Bösen» geehrt. Der Sieger des ESAF darf sich zusätzlich Schwingerkönig nennen. Wie bei den Olympiasiegern auch gibt es keine ex-Schwingerkönige, der Titel gilt für alle Ewigkeit.

Die Herausforderung der Zukunft: Tradition und Moderne im Gleichgewicht halten und dabei die Wirtschaftlichkeit nicht aus dem Blick verlieren. Oder, wie Rolf Gasser es auf den Punkt bringt: «Es gilt, das Feuer zu erhalten – nicht die Asche.»