Steiniger Weg zum Zweinutzungshuhn

Die hiesige Nutzgeflügelbranche, insbesondere die Legehennenhaltung, steht vor einem Wandel. Die Umorientierung ist bereits im Gange – Lösungsansätze werden verschiedene verfolgt. Unter anderem die Umstellung auf Zweinutzungshühner. Das Zweinutzungshuhn bietet der Geflügelbranche Chancen, steht bezüglich Zucht und der Eingliederung in ein etabliertes Produktionssystem aber auch vor Herausforderungen.
Zuletzt aktualisiert am 17. Juni 2022
von Renate Hodel
6 Minuten Lesedauer
Zweinutzungshuehner Coffee Cream 02 Ji

Die Geflügelfleisch- und Eierproduktion hat in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen. Allein in den letzten zehn Jahren hat der jährliche Pro-Kopf-Konsum von Geflügelfleisch um über 3 Kilogramm zugenommen und der Verbrauch an Schaleneiern ist um knapp 350 Millionen Eier gestiegen. Trotz anhaltend wachsender Nachfrage haben sowohl Geflügelfleisch als auch Eier aber einen relativ hohen Inlandanteil am Gesamtkonsum: Beim Fleisch stammte letztes Jahr fast 67 Prozent von Schweizer Nutzgeflügel – bei den Schaleneiern stammten 78 Prozent von Schweizer Hühnern.

Importeier aus Übersee

Insbesondere bei den Eiern war das aber nicht immer so. Wie aus dem Protokoll aus dem Jahre 1948 herausgeht, klagte unter anderem die Generalversammlung der SEG-Genossenschaft – eine bis heute bestehende Schweizer Selbsthilfeorganisation, welche die Nutzgeflügelhaltung und die Vermarktung deren Produkte fördert –, dass die Geflügelhaltungen unbefriedigende Legeleistungen erbringen würden und dass mindestens 150 Eier pro Huhn und Jahr erreicht werden müssten, um nur schon die Produktionskosten zu senken. Um die Nachfrage in der Schweiz zu decken, wurden damals unter anderem aus Argentinien und den USA Eier importiert. Diese Länder mussten aber ebenfalls alle Anstrengungen unternehmen, um der Nachfrage gerecht zu werden.

Von 150 zu über 320 Eiern im Jahr

Um der Eier- und später auch der wachsenden Geflügelfleischnachfrage zu begegnen, konzentrierte sich die Züchtung in der Folge auf die Leistungsmaximierung des Nutzgeflügels. Als Konsequenz spezialisierte sich die Geflügelwirtschaft in eine auf Fleischproduktion und eine auf Eierproduktion ausgerichtete Sparte. «Die Leistung der Hühner wurde dabei durch Zucht entweder auf hohen Fleischzuwachs und eine verkürzte Mastdauer oder eine hohe Legeleistung massiv gesteigert und die Entwicklung von leistungsfähigen Hybridhühnern für die Eier- und Fleischproduktion führte in den vergangenen Jahrzehnten dann auch zu grossen Erfolgen und Zuchtleistungen», erklärt Yves Santini, Geschäftsführer des Handelsunternehmen Ei AG, im Rahmen seines Vortrags an der STS-Nutztiertagung. Bei den Legehennen habe dies die Weiterentwicklung zu Hochleistungshybriden erlaubt, die heute mehr als 320 Eier pro Jahr produzieren können. Auch die Umstellung der Haltungsart auf Freilandhaltung sei mit diesen Tieren umgesetzt und optimiert worden.

Wenn die Lösung plötzlich zum Problem wird

Obwohl die Zuchtoptimierungen also die Probleme von vor 70 Jahren zu lösen vermochten, zogen sie neue Herausforderungen und Probleme nach sich. «So wurden Hybridzuchten angelegt, welche in Bezug auf die Legeleistung und Mastleistung Werte erreichen, die als biologische Grenzen des Systems betrachtet werden können», meint Yves Santini. Und im Laufe dieser Optimierungen wurden die männlichen Nachkommen der Legelinien zu Nebenprodukten, die nicht verwertbar sind. Männlichen Nachkommen würden keine Eier legen, aber genauso gerne und viel fressen wie ihre auf Mastleistung spezialisierten Artgenossen, ergänzt Inga Günther, Geschäftsführerin der Ökologischen Tierzucht GmbH im deutschen Augsburg, in ihrem Beitrag. Mit dem grossen Unterschied, dass sie dieses Futter deutlich weniger effizient in Schlachtgewicht und damit Umsatz übersetzen könnten. «Für Landwirtschaft und Wertschöpfungskette sind sie somit zu einem seltenen Phänomen geworden – Nutztiere ohne eigentlichen Nutzen», führt sie weiter aus.

Neue Lösungen müssen her

So hat sich weltweit die Praxis verbreitet, dass die männlichen Geschwisterküken von Legehennen am Tag des Schlupfes aussortiert und getötet werden, weil eine Mast wirtschaftlich nicht umzusetzen ist. «Die Tatsache, dass die männlichen Eintagsküken direkt nach dem Schlupf getötet werden, wurde lange Zeit hingenommen, da die Vorteile der wirtschaftlichen und ökologischen Effizienz offensichtlich waren», erklärt Yves Santini. Die zunehmende Beachtung der Aspekte des Tierwohls bei der Produktion von Nahrungsmitteln rücke diese allgemein verbreitete Praxis aber wieder ins Blickfeld der Kritik. Das Problem hat in den vergangenen zehn Jahren laufend an Bedeutung gewonnen und zwingt die Nutzgeflügelhaltung erneut dazu, sich zu wandeln.

Lösungsansätze für die Neu- und Umorientierung sind vorhanden und werden mit Hilfe von Forschung und Entwicklung auch verfolgt. Seit Januar 2022 ist das systematische Kükentöten zumindest in Deutschland offiziell verboten. Die dortige Branche setzt aktuell auf eine vorgezogene Geschlechtsbestimmung durch In-Ovo-Technologie, um nicht Küken, sondern Eier entsprechend zu sortieren. Eine ähnliche Lösung strebt auch die Schweizer Branche als Ganzes an, um bis Ende 2023 aus dem Kükentöten auszusteigen.

Das sind Zweinutzungsrassen der Hühner

Insbesondere in der biologischen Landwirtschaft werden bereits jetzt Zweinutzungshühner als Alternative zu konventionellen Hybridzüchtungen eingesetzt und aufgrund des Ausstiegsplans von Bio Suisse, bis Ende 2025 aus dem Kükentöten auszusteigen, wird für Knospen-Produzentinnen und -Produzenten der Wechsel auf ein Zweinutzungshuhn eine zentrale Rolle spielen.

Noch bis in die 1950er-Jahren waren Zweinutzungshühner, die sich sowohl für die Mast als auch für die Eiablage eigneten, die Regel. Entsprechend gibt es bis heute alte Rassen wie das Appenzeller Spitzhaubenhuhn, das Altsteirerhuhn, Bresse Gauloise oder das Sussex.

Seit einigen Jahren gibt es eine verstärkte Entwicklung in der Züchtung von neuen Zweinutzungshühner. So hat das sonst auf Hybridhühner spezialisierte Legehennenzuchtunternehmen Lohmann Tierzucht GmbH das Zweinutzungshuhn Lohmann Dual hervorgebracht und die Ökologische Tierzucht GmbH hat die Zweinutzungsrassen Coffee und Cream gezüchtet und züchtet aktuell an einer weiteren Rasse mit dem Namen Caramel.

Zweinutzungshuehner Coffee Cream 01 Ji
Coffee und Cream sind neue Zweinutzungshühnerrassen. Cream entsteht aus der Anpaarung der Rassen Bresse und White Rock und Coffee aus der Anpaarung der Rassen Bresse und New Hampshire. Die Cream ist eine weisse Henne mit weissem Hahn. Die Coffee ist eine bunte Truppe mit braunen, weissen und zum Teil auch schwarz-gemusterten Tieren. (ji)

Mast- und Legeleistung vereinen

Ein weiterer sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland verfolgter Lösungsansatz ist die Umstellung auf Zweinutzungsrassen. Unter anderem Bio Suisse will bei ihrem Ausstiegsszenario unter anderem auf diesen Ansatz setzen, um die Praxis des Kükentötens abzuschaffen. Tatsächlich liege eine grosse Chance zum einen in einer Neuausrichtung der Zucht, die zum einen bekannte Probleme bei Hochleistungshennen angehe und zum anderen in der neuen Beurteilung des Zuchterfolgs, die alle Aspekte einer nachhaltigen Produktion berücksichtige, meint Yves Santini. Vor etwas mehr als acht Jahren habe die Ei AG gemeinsam mit ihren Partnern deshalb ein Projekt gestartet, bei dem Bio-Eier mit einer Zweinutzungsrasse produziert würden.

Schwierige Zuchtbedingungen

Die Zucht von solchen Zweinutzungshühnerrassen voranzubringen, ist aufgrund einer starken Konzentration der Züchtungsaktivitäten auf wenige Konzerne weltweit allerdings auch mit Schwierigkeiten verbunden. «Diese Zuchtunternehmen produzieren nämlich, was nachgefragt wird und weltweit lebt die Mehrheit der zur Konsumeiererzeugung gehaltenen Legehennen immer noch in klassischen, in der Schweiz und der EU nicht mehr zugelassenen Käfigen», erklärt Inga Günther.

Die Nachfrage nach robusten und wenig krankheitsanfälligen Hühnern, die genug Fitness mitbringen, um sich wie in der Schweiz in der Halle oder draussen bewegen zu können, an verschiedene Fütterungssysteme angepasst sind und neben einer guten Eierleistung nun neu gar auch noch die Eigenschaft einer ansprechenden Mastleistung mitbringen sollen, sei für diese Unternehmen entsprechen unbedeutend klein. «So ist beispielsweise der Ökolandbau nach wie vor auf Tiere angewiesen, die nach Gesichtspunkten selektiert wurden, die weder an ökologische Fütterungsregime und Haltungsformen noch an einen reduzierten Einsatz von Antibiotika angepasst sind» führt sie weiter aus.

Mit welchem Huhn geht’s in die Zukunft?

Die Selektion der Zuchttiere müsse zukünftig darum unter Haltungs- und Fütterungsbedingungen erfolgen, die möglichst nah an der Praxis der neuen, ökologischeren und nachhaltigeren Betriebssysteme seien. «Die Zuchtziele müssen völlig neu formuliert werden – nicht allein die Leistung, sondern die Eierleistung und -qualität im Zusammenspiel mit Futterverwertung, Krankheitsresistenz, sozialem Verhalten und Reaktion auf Umwelteinflüsse muss im Vordergrund stehen und in die entsprechenden Zuchtwertschätzungen gleichberechtigt mit einfliessen», meint Inga Günther. Und die Tiere müssten langsamer wachsen und sich angepasster entwickeln können, denn nur so könne eine Resilienz gegen schwankende Fütterungs- und Klimabedingungen erreicht werden.

Aufwändige Zucht

«Unter diesen Aspekten baut die ökologische Tierzucht GmbH seit 2015 den ersten ökologisch arbeitenden Zuchtstandort weltweit auf, um das Ökohuhn von Morgen zu züchten», erklärt Inga Günther. Das sei allerdings enorm aufwändig. So müssten die Zuchttiere beispielsweise über eine transpondergestützte Handfallnestkontrolle in ihren Leistungen erfasst werden. Dieses Verfahren sei notwendig, um die Tiere in Herden und mit entsprechendem Grünauslauf halten und dennoch die jeweiligen Daten dem jeweiligen Tier zuordnen zu können. Alle Tiere würden fortlaufend hinsichtlich ihres Gesundheitsstatus und ihres Sozialverhaltens bewertet. «Diese Bewertungen fliessen gleichberechtigt neben anderen Daten in die Zuchtwertschätzungen ein», erläutert Inga Günther, «und nach einigen Monaten Lebenszeit werden die Tiere, welche die positivsten Ergebnisse hinsichtlich der Zuchtziele erbracht haben, als Eltern für die folgende Generation ausgewählt.»

Dual-Power mit Coffee und Cream

Die Züchtung lege ausserdem grossen Wert auf die weitere Erforschung der Faktoren Tiergesundheit, Lebenslegeleistung, Tiergewicht und Fütterungskomponenten und den zu Grunde liegenden Wechselbeziehungen. Auch die Frage inwiefern Proteinkomponenten schrittweise reduziert und klimafreundlicher ersetzt werden könnten, ohne die Tiergesundheit zu gefährden, werde in jeder Generation neu gestellt. «Gerade diese Fragestellungen sind hochkomplex und sehr anspruchsvoll in der züchterischen Bearbeitung», führt Inga Günther aus.

Mit den mittlerweile auch in der Schweiz verfügbaren Zweinutzungshühnern Coffee und Cream habe schneller als erhofft ein stabiles Niveau in der Ausgewogenheit von Eier- und Mastleistung erreicht werden können und die Tiere würden aktuell bereits auf zahlreichen landwirtschaftlichen Betrieben eingesetzt. «Die Wachstumszahlen an abgesetzten Bruteiern von durchschnittlich 50 Prozent in den vergangenen Jahren und die hohe Quote an Folgebestellungen, lassen den Rückschluss zu, dass sie die Erwartungen der Landwirte erfüllen», meint Inga Günther. Damit sei die Zucht aber keinesfalls beendet, sondern immer noch am Anfang.

Was liegt noch vor der Zweinutzungszüchtung

60 Jahre Zuchtarbeit trenne die aktuelle Zweinutzungszucht von den heutigen Hochleistungstieren und dieser Rückstand werde auch in den nächsten Jahren nicht aufzuholen sein, sagt Inga Günther. Die Erfahrungen mit diesen extensiven Neuzüchtungen zeigten aber, dass neben den Kompromissen bei der Produktivität auch neue Chancen entstünden, alternative züchterische Ansätze zu entwickeln, ergänzt Yves Santini von der Ei AG. «Es geht nun darum weitere Analysen der neuen Zweinutzungshühnerzüchtungen in der produktiven Umgebung zu machen und kontinuierliche züchterische Verbesserung zu erreichen», meint er.

Die Nachhaltigkeit könne unter Berücksichtigung aller Aspekte noch weiter gesteigert werden und die bestehende Produktion mit Unterstützung des Detailhandels müsse noch ausgebaut werden. «Die Züchtung und die daran angegliederten Vermarktungsfragen sind ein sehr komplexes Thema, ähnlich komplex ist die Vermittlung an den Endkunden, um das entsprechende Verständnis beispielsweise für Preissteigerung oder veränderte Qualität zu erreichen», ergänzt Inga Günther von der Ökologischen Tierzucht GmbH.

Die Ausgangssituation sei heute aber deutlich besser als noch vor ein paar Jahren. Zum einen sei es uns gelungen, solide Strukturen zu schaffen, auf denen aufgebaut werden könne und zum anderen steige in der Gesellschaft die Bereitschaft sich mit Tierwohl und ganzheitlicher Betrachtung von Systemen und Zusammenhängen zu beschäftigen und an einer Lösung mitzuarbeiten.