Kleinstbauernhof inmitten von Luzern als Begegnungsort

Die Stiftung Kultur- und Lebensraum Musegg in Luzern engagiert sich seit ihrer Gründung im Jahr 2013 kulturelle und ökologische Werte in der Öffentlichkeit. Der Kleinbauernhof inmitten des Stadtquartiers Bramberg in Luzern hat sich zu einem lebendigen Beispiel für nachhaltige Entwicklung und lokales Engagement entwickelt.
Zuletzt aktualisiert am 2. Februar 2024
von Renate Hodel
6 Minuten Lesedauer
2024 Kleinbauernhof Hinter Musegg Hofladen Pia Walter Fassbind 02 Rho

Die Geschichte des Hofes Hinter Musegg in Luzern reicht über 400 Jahre zurück. Er hat im Laufe der Zeit verschiedene Besitzer gehabt, darunter das berühmte Hotel Schweizerhof, das bis nach dem Ersten Weltkrieg für den eigenen Betrieb Gemüse, Früchte und Fleisch auf dem Hof produzierte. 1945 verkaufte das Hotel den Hof der Stadt Luzern, die ihn fortan verpachtete. 1965 wurde auf dem Land des Betriebs gleich neben den Hofgebäuden ein Sportplatz realisiert und der Betrieb schrumpfte auf die heutige Grösse von nur noch gut zwei Hektar.

Eine entscheidende Wende kam im Jahr 2000, als aufgrund von Änderungen in der Agrarpolitik die Unterstützung für allzu kleine Betriebe eingestellt wurde und damit auch der Hof Hinter Musegg von da an auf sich allein gestellt war. Die Stadt Luzern musste den Hof in der Folge neu zur Pacht ausschreiben – als Nebenerwerbsbetrieb.

Walter und Pia Fassbind setzten sich gegen rund 80 Bewerberinnen und Bewerber durch und übernahmen den Hof. «Walter hatte kurz vorher eine Nebenerwerbslandwirtschaftsausbildung abgeschlossen, was sicherlich dazu beigetragen hat, dass wir den Hof übernehmen durften», sagt Pia Fassbind.

Von der Notwendigkeit zur Innovation

Dreizehn Jahre lang führten Fassbinds den Hof im Nebenerwerb – angesichts der baufälligen Zustände der Gebäude und der nicht tierfreundlichen Stallungen stand aber von Anfang an fest, dass eine andere, langfristige Lösung gefunden werden musste. «So haben wir das Gespräch mit der Stadt Luzern gesucht, um gemeinsam Lösungen auszuarbeiten, wie man dem Hof eine langfristige Zukunft geben könnte», erzählt Pia Fassbind weiter.

Die Gründung der gemeinnützigen Stiftung Kultur- und Lebensraum Musegg im Jahr 2013 markierte dann den Beginn eines neuen Kapitels für den Hof, mit dem Ziel, diesen für die Zukunft zu sichern und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In diesem Jahr gesellte sich auch die Familie von Irene Wespi und Raphael Zingg dazu, welche fortan die Geschicke des Hofes mitleiteten.

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Berührungsängste sind hier fehl am Platz: Der Kulturhof Hinter Musegg ist Begegnungsort für allerlei Besucherinnen und Besucher von nah und fern. (rho)

Nachhaltigkeit und Diversität im Fokus

Heute ist der Kulturhof Hinter Musegg nicht nur ein landwirtschaftlicher Betrieb, sondern auch ein Ort der Bildung und Kultur. Der Hof produziert Gemüse und Früchte, Wolle von Alpakas und eigenes Bier, während Fleischproduktion bewusst ausgelassen wird, um die Tiere als Landschaftspfleger und Bildungspartner zu nutzen. Denn der Kulturhof dient mittlerweile als Treffpunkt für die Gemeinschaft, mit einem Restaurant, das ganzjährig geöffnet ist, und bietet Bildungsangebote.

Walter Fassbind erläutert, dass die anfängliche Bewirtschaftung des Hofes ein «aufwändiges Hobby» war, das sich jedoch mit der Zeit zu einem Betrieb wandelte, der nicht nur nach wie vor Landwirtschaft praktiziert – wenn auch im Kleinen –, sondern auch Arbeitsplätze schafft. «Mit bis zu 40 Mitarbeitenden in der Hochsaison, die in verschiedenen Bereichen von der Gastronomie bis zur Bildung tätig sind, zeigt der Hof, wie vielfältig die Möglichkeiten eines Kleinbetriebes sein können», erklärt Walter Fassbind. Auch wenn die Landwirtschaft nicht mehr der Hauptbetriebszweig sei und mittlerweile unter anderem durch das Gastronomieangebot querfinanziert werde.

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Rindvieh gehörte immer schon zur Museggmauer – seit gut 20 Jahren sind es Schottische Hochlandrinder, die entlang der Mauer grasen. (rho)

Ein Ort der Begegnung und des Lernens

Gleichwohl stellt der zwar untypische und ungemein kleine Hof für die Besucherinnen und Besucher den direkten Bezug zur Landwirtschaft her. «Die Kreisläufe der Landwirtschaft können wir hier auf engstem Raum zeigen», sagt Pia Fassbind. So würden immer wieder Anlässe veranstaltet, bei denen die Besucherinnen und Besucher bei der Ernte und danach bei der Weiterverarbeitung helfen – so können sie erleben, wie beispielsweise die Mispeln vom Baum bis in den Hofladen oder auf den Teller in der Gastronomie gelangt. «Es gibt zunehmend mehr Menschen, die ein Bedürfnis für mehr Informationen in diesem Bereich haben – die beispielsweise wissen wollen, woher Eier oder Gemüse kommen, und das können sie bei uns sehr nah und direkt erleben», erklärt Walter Fassbind.

Das öffentliche Interesse am Hof ist gross und die Angebote werden ständig erweitert, um diesem Bedürfnis gerecht zu werden. «Bei uns ist die Landwirtschaft Nährboden für das Kulturhofprojekt und unsere Bildungs- und Kulturangebote», erläutert Pia Fassbind weiter. So sind sich Pia und Walter Fassbind bewusst, dass die «normale» Landwirtschaft nicht so bauern könne, wie auf dem Kulturhof Hinter Musegg: «Viele Bauernfamilien müssen von der Landwirtschaft leben können und müssen entsprechend jeden Quadratmeter nutzen – wir dürfen auch mal ein Eckchen so sein lassen so wie es ist», erklärt Walter Fassbind.

«Die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte stehen unter grossem Druck, auch weil sie die Spielregeln der Agrarpolitik befolgen müssen – wir bewegen uns ausserhalb dieses agrarpolitischen Systems», ergänzt Pia Fassbind. Und obwohl der landwirtschaftliche Bereich auf dem Hof Hinter Musegg ein Defizit erwirtschaftet, können Pia und Walter Fassbind durch die Landwirtschaft doch viele andere Angebote auf dem Hof realisieren, die wiederum Wertschöpfung generieren. Und so spüre man auch eine hohe Wertschätzung und viel Unterstützung aus der Quartierbevölkerung, sagen Fassbinds.

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Aus alt mach neu: Walter Fassbind hat aus alten Batterien einen Speicher für den Solarstrom gebaut. (rho)

Ökologische Innovationen und Energieautonomie

Fassbinds und ihr Team legen grossen Wert auf Nachhaltigkeit, die sich in der Bio-Zertifizierung des Hofes, der Nutzung von Photovoltaik und dem bewussten Umgang mit Wasser widerspiegelt. So sind die Stallungen mit einem Schwammdach ausgestattet und bei der Sanierung der Gebäude auf dem Betrieb wurde auch grosser Wert auf den Baustandard gelegt: So wurden die neuen Stallungen nach SIA-Effizienzpfad Energie gebaut, einem Gebäudestandard, der Zielwerte für Primärenergie und Treibhausgase definiert. Dazu sind die Bereiche Erstellung, Betrieb und Mobilität zu bilanzieren.

«In diesen Standard gehört unter anderem auch, dass möglichst viel fossilfreie Energie selbst produziert wird», erklärt Walter Fassbind. So zeigt sich der Hof auch in der Nutzung erneuerbarer Energien innovativ: 2014 wurde eine Photovoltaikanlage realisiert, die bis heute mehr als doppelt so viel Strom produziert, wie auf dem Hof gebraucht wird.

«Wir haben auch unsere Mobilität entsprechend angepasst und so sind auch unsere Landwirtschaftsfahrzeuge elektrisch unterwegs und dienen teilweise als Solarstromspeicher», erzählt Walter Fassbind weiter. Damit soll der Betrieb eine möglichst hohe Autonomie erreichen und weitgehend unabhängig von fossiler Energie sein, ergänzt Walter Fassbind: «Das ist auch etwas, dass wir unbedingt zeigen wollen: Dass dies nicht zuletzt auf einem Bauernhof, wo es in der Regel ja viel Dachfläche gibt, machbar ist.»

Nachhaltiges Wachstum

Das Team um Walter und Pia Fassbind arbeitet kontinuierlich daran, den Hof und ihre Angebote weiterzuentwickeln. Mit einer Kombination aus Gastronomie, Bildung, und Landwirtschaft schafft der Kulturhof Hinter Musegg einen einzigartigen Raum in Luzern, der nachhaltige Entwicklung erlebbar macht und gleichzeitig als Inspirationsquelle für eine umweltbewusste Lebensweise dient: «Wir sind ein Ort, der inspirieren und sensibilisieren soll und genau da liegt die Wertschöpfung unseres kleinen Hofes auch für die klassische Landwirtschaft – wir sind sehr nahe an den Konsumentinnen und Konsumenten und können einen ersten Berührungspunkt zur Landwirtschaft bieten.»

So ist es beachtlich, was in den letzten 20 Jahren aus dem kleinen Hof geworden ist: Was zu zweit angefangen hat, ist in der Zwischenzeit stark gewachsen. «So ist es doch erstaunlich, was man zuletzt aus einem kleinen Nebenerwerbsbetrieb von gut zwei Hektaren am richtigen Standort herausholen kann und wie viele zuletzt profitieren», sagt Pia Fassbind und Walter Fassbind ergänzt: «Die Stadt hat uns von Beginn weg gesagt, dass man vom Hof nicht leben kann, und das war uns auch bewusst. Und trotzdem kann oder muss man ja fast etwas daraus machen – insbesondere an diesem Standort.»