Kein Hof, kein Land - keine Betriebsleiterin

Frauen haben in der Landwirtschaft lange die unsichtbare Nebenrolle im Haus gespielt, während Männer Stall und Feld bestellten. Schluss damit, fanden die Teilnehmerinnen der Tagung «Frauen in der Landwirtschaft». Aber wie können langjährige Traditionen aufgebrochen werden, wenn noch immer der Sohn als Nachfolger zuerst entscheiden darf?
Zuletzt aktualisiert am 8. April 2022
von Melina Griffin
5 Minuten Lesedauer

Die Geschlechtergerechtigkeit und Stellung der Frauen in der Landwirtschaft, Angestelltenverhältnisse, soziale Absicherung, Arbeitsteilung und Repräsentation von Frauen in landwirtschaftlichen Gremien waren die Top-Themen am dreitägigen Austausch am Inforama Rütti.

Frau ins Zentrum gerückt

Sandra Contzen, Dozentin für Agrarsoziologe an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL und Mitorganisatorin, zieht ein positives Fazit. «Wir haben die Frau ins Zentrum einer Berufsbranche gerückt, wo sie oft immer noch eine Nebenrolle spielt», sagt Contzen.

Die Agrarsoziologin schätzte den internationalen Austausch, «insbesondere, weil die Frauen überall mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert sind und Unterschiede zwischen den Ländern erst sichtbar werden, wenn man kleine Details vergleicht». Die soziale Absicherung von Frauen in der Landwirtschaft sei in allen Ländern ein Thema und viele Frauen wünschten sich passende Lösungsvorschläge aus der Politik.

Mangelnder Zugang zu Land und Betrieb

Ein damit zusammenhängendes Thema, das an der Tagung zu viel Diskussionsstoff beitrug, ist laut Contzen die Ausbildung im landwirtschaftlichen Bereich. Obwohl laut Ute Seeling,Direktorin der HAFL, seit 2014 mehr Agronominnen als Agronomen diplomiert wurden, ist die Anzahl Lehrabgängerinnen bei der Berufslehre Landwirt/in noch immer in der Unterzahl, jedenfalls im Kanton Bern, so Kevin Koch,Leiter der Berufsschule Inforama Rütti.

«2020 wurden nur 6,5% der Schweizer Landwirtschaftsbetrieben von Frauen geleitet. Hauptgrund dafür ist aus meiner Sicht der mangelnde Zugang von Frauen zu Land und Betrieb», sagt Contzen. Meist werden zuerst die Söhne als Hofnachfolger in Betracht gezogen, und falls es keinen willigen männlichen Nachwuchs gibt, kommen die Töchter oder allenfalls deren Partner ins Spiel.

Vor allem die historische Rolle der Frau ist in der traditionellen Berufsbranche Landwirtschaft noch immer fest verankert. Die Frau hält das Haus sauber, kocht und zieht den Nachwuchs gross, während ihr Mann den Hof bestellt und für das Familieneinkommen sorgt.

Weltkrieg und Eherecht

Das hat geschichtliche Gründe. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde in der Schweiz die Rolle der Hausfrau idealisiert und propagiert. In der Zwischenkriegszeit gab es bereits vereinzelt Bäuerinnenschulen, die nach dem Krieg regen Zulauf fanden. Die Landwirtschaft war wichtig zu dieser Zeit, und die Frauen haben den Männern im Haus den Rücken freigehalten.

Ein Blick auf das alte Schweizer Eherecht, das bis Ende 1987 galt, bestätigt diese Idealvorstellung vom Zusammenleben von Mann und Frau mit den folgenden aufgeführten Rechten und Pflichten: «Der Ehemann […] hat für den Unterhalt von Weib und Kind in gebührender Weise Sorge zu tragen.» und «Die Ehefrau […] führt den Haushalt». Hinzu kommt das späte Stimmrecht für Frauen (1971), was ihre Mündigkeit sehr lange untergrub.

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Die wichtigsten Punkte nach dem Referat der Co-Organisatorinnen Dr Sandra Contzen und Barbara Thörnblad Gross, illustriert von Mägi Brändle. (BFH-HAFL)

Frau am Herd: Durch Ausbildung zementiert

Sandra Contzen kam aufgrund verschiedener Forschungsprojekte zum Schluss, dass die Rolle der Frau am Herd (versus auf dem Feld und im Stall) durch die Ausbildung zur Bäuerin noch heute zementiert wird. «Oder kennen Sie eine Ausbildung für Männer für einen Job, der nachher nicht bezahlt wird?», fragt Contzen.

Die Ausbildung zur Bäuerin gibt es in dieser Form nur in der Schweiz. Die am nächsten verwandte Ausbildung in den Nachbarsländern (wie auch in der Schweiz) sind hauswirtschaftliche Ausbildungen, die für leitende Funktionen in Pflegeheimen, Institutionen oder Krankenhäusern vorbereiten.

Der Name weist die Richtung

Insbesondere der Name «Ausbildung Bäuerin mit Fachausweis», der die Attraktivität der Ausbildung für männliche Anwärter komplett untergräbt, wurde an der Tagung vielfach kritisiert. Es gebe mit «Bäuerlicher Haushaltsleiter» zwar bereits eine Bezeichnung für männliche Kollegen, meinte Barbara Thörnblad Gross, Leiterin Ressort Höhere Berufsbildung Hauswirtschaft am Inforama Rütti und Mitorganisatorin des Events.

In einem Referat schlug sie vor, dass man in einer neuen Ausbildung Kompetenzen aus dem Fähigkeitszeugnis zum/r Landwirten/in beziehungsweise zum Fachausweis Bäuerin/Bäuerlicher Haushaltsleiter vermischen könnte. «Es würde sich eine dritte Ausbildung ergeben, die ebenfalls zu Direktzahlungen berechtigt», so Thörnblad Gross. Die anwesenden Frauen im Saal zweifelten stark daran, dass diese dritte Ausbildungsmöglichkeit für Männer attraktiv sein könnte.

Haushalt ist jedermanns Sache

Die Befürworterinnen der Ausbildung Bäuerin wiesen auf die Wichtigkeit der Sichtbarmachung der Haushaltsführung hin. Und: «Bis jetzt waren alle Absolventinnen erstaunt, wie viel sie in unserer Ausbildung gelernt haben. Wir zeigen den Frauen, wie man einen Haushalt effizient und zeitsparend führen kann», so die Leiterin Bildung Bäuerin und Hauswirtschaft an der Landwirtschaftsschule Liebegg.

Für Sandra Contzen ist klar: «Haushalt geht jeden etwas an. Das sollte bereits in der Schule an alle vermittelt werden, egal, welche Ausbildung später erfolgt, und egal, ob Junge oder Mädchen». Was haushälterische Inhalte in der landwirtschaftlichen Ausbildung betrifft, schlägt sie vor: «Man müsste sich zusammen hinsetzen und überlegen, welche Inhalte man in eine modulare Zweitausbildung beziehungsweise eine Grundausbildung reinnehmen kann, statt dass eine dritte Ausbildung auf die Beine gestellt wird.»

«Wie soll denn das gehen, ohne Partner?»

Doch warum ist für viele Frauen die Hofübernahme immer noch ein Tabu? Die Referentin Alicia Läpple hat in ihrer Forschung zur Situation bei der Hofübernahme in Deutschland vor allem traditionelle Strukturen als hinderliche Faktoren für Frauen wahrgenommen. Sie hat ihre Bachelorarbeit zu den Entscheidungsfaktoren von Landwirtinnen zur Übernahme des elterlichen Landwirtschaftlichen Betriebs verfasst. «Das Thema lag mir am Herzen, denn ich werde mich auch irgendwann für oder gegen den elterlichen Betrieb entscheiden. Zum Glück könnten sich mein Bruder und ich auch eine geteilte Betriebsführung vorstellen», so die junge Agronomin aus Deutschland.

Interviews mit Hofnachfolgerinnen und solchen, die es vielleicht einmal werden wollen, zeigten Läpple, dass die Verbundenheit mit der Landwirtschaft, die Freude am Beruf und auch der Gedanke ans Aufwachsen der eigenen Kinder in einem landwirtschaftlichen Umfeld Frauen zur Hofübernahme bewegen. Die Bewirtschaftung ohne Partner, die Ungewissheit der Agrarpolitik und die wirtschaftliche Betriebslage waren hingegen Faktoren, die einzelne Frauen an einer Übernahme hinderten. Eine Teilnehmerin des Forums erzählte davon, wie sie sich immer wieder Kommentare anhören musste wie «Wie soll denn das gehen, ohne Partner?».

Das Umfeld ist zentral

Läpple fand in ihrer Untersuchung heraus, dass Kinder kein Grund waren für eine Nicht-Übernahme. Viele Frauen sähen eine grosse Chance darin, dass sie auf dem Hof die Kinderbetreuung teilweise nebenbei machen könnten. «Die Selbständigkeit sowie die Arbeit auf dem Hof ermöglicht es vielen Frauen. Die einzigen Bedenken kamen in Bezug auf das Zurücknehmen als Betriebsleiterin, wenn sie Kinder haben. Sie können dann nicht mehr 100% Betriebsleiterin und 100% Mutter sein - sie müssen sich folglich entscheiden und Prioritäten setzen», so Läpple. Das sei aber in anderen Berufsbrachen ähnlich.

«Viele Frauen tun sich schwer mit dem Entscheidungsprozess. Da kann das Umfeld wie Familie oder Partner sehr unterstützend sein», weiss Läpple. «Indem die Frauen das Gespräch suchen und mithilfe von Beratern Lösungsansätze entwickeln für Dinge, die ihnen Angst machen. Oder indem sie Erfahrungen sammeln und dabei ihr Selbstbewusstsein stärken. Das alles kann ihre Entscheidung beeinflussen.»

Diskussions- und Bewegungsplattformen, wo sich Praktikerinnen und Wissenschaftlerinnen treffen, und über Lösungsvorschläge diskutieren, tragen sicherlich auch dazu bei, dass Betriebsleiterinnen in Zukunft so selbstverständlich sind wie ihre männlichen Kollegen.

Psychische Belastung ist am schlimmsten

Die landwirtschaftliche Beraterin Imke Edebohls sprach über ein weiteres Thema, das alle Tagungsteilnehmerinnen verband: die Mehrfachbelastung von Frauen in der Landwirtschaft. Ihre Untersuchungen in Deutschland zeigten, dass sich die Tätigkeit von Männern oftmals auf die betriebliche Tätigkeit als Landwirt beschränke, wohingegen Frauen fast immer in mehr als eine der folgenden Tätigkeiten involviert seien: Pflege- und Betreuungsarbeit von (Schwieger-)Eltern und/oder Kindern, Haushalt, Gartenarbeit, Buchhaltung, Direktvermarktung. Zusätzlich helfen sie im Betrieb mit. Die Studienteilnehmerinnen gaben an, dass nicht unbedingt die vielfältige Arbeit und der damit entstehende Mental Load, sondern vielmehr unterschwellige Konflikte wie die ungelöste Hofübergabe oder Generationenkonflikte zu einer psychischen Belastung führten, so Edebohls.

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