Digitalisierung rettet mehr Rehkitze als jemals zuvor

Die Rehkitzrettung in der Schweiz mit Drohnen und Wärmebildkameras bewährt sich: Von Jahr zu Jahr werden noch mehr Hektaren Land abgeflogen und noch mehr Rehkitze vor dem Mähtod gerettet.
Zuletzt aktualisiert am 24. Juni 2022
von Renate Hodel
5 Minuten Lesedauer
Rehkitz Im Gras Rehkitzrettung Fritz Reber

Mit dem schönen Wetter der letzten Wochen hat die Heuernte ihren aktuellen Höhepunkt erreicht und in den letzten beiden Wochen hatten die Landwirtinnen und Landwirte überall alle Hände voll zu tun. Seit dem 15. Juni dürfen im Tal nun auch die Ökoflächen geheut werden und das haben auch die Pilotenteams der Rehkitzrettung Schweiz gespürt – sie mussten fast überall gleichzeitig sein.

Smart Rescue

Die Rehkitzrettung in der Schweiz hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und ist mit der Digitalisierung der Lüfte auch um ein Vielfaches effektiver geworden: Unter anderem hat sich das Verhältnis zwischen Einsatztagen und gefundenen Rehkitzen massiv verbessert und auch die abgeflogene Fläche hat sich seit 2018 mehr als verzwanzigfacht. Und mit der smarten Technologie zeigt nicht nur die Kurve der abgesuchten Fläche, sondern auch die der geretteten Rehkitze steil nach oben. «Das hängt vor allem damit zusammen, dass wir unsere Schulungen intensiver beworben haben und dadurch auch mehr Piloten rekrutieren konnten», erklärt Jon Cantieni, der Präsident von Rehkitzrettung Schweiz. Dieses Jahr seien so um die 400 Drohnenpiloten im Einsatz.

So verläuft ein Rehkitzrettungseinsatz

Wenn der Landwirt mähen will, informiert er den Jäger, der wiederum den Piloten aufbietet. Der Pilot erfasst vor Ort die Felder in einem UAV-Editor und fliegt diese anschliessend mit System ab. Dies muss am frühmorgens bei Tagesanbruch erfolgen, weil die aktuelle Technik noch keine Suche am Tag zulässt und die Rehkitze auf der Wärmebildkamera kaum von Steinen, Pfosten oder Mausehaufen, die ebenfalls Wärme abstrahlen, zu unterschieden wären.

Bei der Rehkitzrettung sei vor allem die Zusammenarbeit zwischen den Landwirten, Jägern und den Piloten von grösster Bedeutung, erklärt Jon Cantiene. «Wenn die Landwirte nicht melden, dass sie mähen wollen, dann hilft das beste System nichts und es funktioniert nicht», sagt er. Idealerweise informiere der Landwirt den Jäger zwei Tage im Voraus, wenn er mähen will. «Das ist natürlich Wunschträumen, weil die Heuernte wetterabhängig ist und somit ziemlich alle auch am selben Tag mähen wollen», ergänzt Jon Cantieni.

Es braucht eine sensible Vorgehensweise
Wurden Rehkitze gefunden, werden diese mit Holzharassen abgedeckt. Die eine Möglichkeit ist dann, die Harasse mit dem Kitz darunter auf dem Feld stehen zulassen und den Bauer darum herum mähen zu lassen. Wenn das Feld gemäht ist, entfernt der Bauer die Harasse und lässt das Kitz wieder frei. Eine andere Möglichkeit ist, dass man das Rehkitz in einer Kiste an den Waldrand befördert, wo das Rehkitz ebenfalls unter der Kiste wartet und freigelassen wird, wenn der Landwirt fertig gemäht hat. Beide Varianten setzten voraus, dass der Landwirt möglichst bald nach der Suche seine Wiese mäht, da eine Rehgeiss ungefähr all drei bis vier Stunden ihr Rehkitz besucht, um es zu säugen. Wenn das Kitz zu lange unter der Kiste ausharren muss, könnte es verenden.

Bei Umgang mit Rehkitzen muss sehr vorsichtig vorgegangen und darauf geachtet werden, dass dem Rehkitz kein Geruch übertragen wird. Am besten werden die Hände mit Gras richtiggehend eingerieben und die Rehkitze dann auch nur eingebettet in viel Gras in die Kiste befördert – sodass die Hände das Kitz nicht berühren. Rehkitze riechen kaum und die Rehgeiss schleckt sogar die Exkremente des Kitzes auf, damit Fressfeinde wie Wolf, Fuchs oder Wildschwein das Kitz nicht aufspüren können. Eine Geruchsübertragung kann für ein Rehkitz also trotz aller Massnahmen gegen das Vermähen dann tödlich enden, weil insbesondere Wildschweine eine sehr ausgeprägte Nase haben und das Rehkitz dann finden.

Teure Ausrüstung

Die Schulungen seien wichtig, damit die Piloten wüssten, wie sie die Flächen mit dem UAV-Programm abfliegen müssten, damit die abgeflogenen Felder dann auch richtig abgesucht seien. Eine fundierte Ausbildung und die richtige Ausrüstung seien denn auch die Voraussetzungen für die erfolgreichen Rehkitzrettungen, meint Jon Cantieni. Gerade die Ausrüstung sei aber eine relativ teure Angelegenheit und für die mit Wärmebildkameras ausgestatteten Drohnensysteme investierten die Pilotinnen und Piloten das eigene Geld. «Eine Occasion-Drohne gibt’s bereits für rund 800 Franken, das teure Element ist aber die Wärmebildkamera und ohne die geht es nicht», erklärt Jon Cantieni. So koste eine Ausrüstung für die Rehkitzrettung mindestens 4’000 Franken. «Es braucht Leute, die sich einsetzen und genug Geld bereitstellen können – das passiert nun auch oft über Crowdfundingprojekte – und ausserdem bereit sind, morgens um drei Uhr aufzustehen», erklärt Jon Cantieni weiter.

Dunkelziffer bei vermähten Kitz

Mit der neuen Technologie haben die Suchtrupps der Rehkitzrettung Schweiz in den letzten paar Jahren erfolgreich stetig mehr und viel schneller Rehkitze gefunden – ist also auch die Zahl der dem Mähtod zum Opfer gefallenen Rehkitze in den letzten Jahren zurückgegangen? In der Eidgenössischen Jagdstatistik wird zwar erhoben, wie viel Fallwild durch landwirtschaftliche Maschinen verursacht wird – allerdings ist nicht hinterlegt, um was für Maschinen es sich dabei handelt und welches Alter die Tiere hatten. So wurden 2020 rund 1’200 Rehe gemeldet, die durch landwirtschaftliche Maschinen getötet wurden. Und Jon Cantieni glaubt, dass es bei vermähten Rehkitzen eine grosse Dunkelziffer gebe, die nicht gemeldet werde und ein Vergleich zu den durch Mähunfälle verendeten Rehkitzen darum schwierig zu ziehen sei.

Über 2’500 gerettete Tiere

Obwohl es keine verlässlichen Zahlen vorhanden seien, sei er aber schon überzeugt, dass es aufgrund der Bemühungen des Vereins weniger vermähte Jungtiere gäbe. «Letztes Jahr wurden 2569 Rehkitze geortet und gerettet – wahrscheinlich wären diese Rehkitze nicht alle vermäht worden und trotzdem haben unsere Massnahmen also einem sehr grossen Teil das Leben gerettet», meint Jon Cantieni, «gerade die ganz jungen, ein bis zwei Tage alten Rehkitze können den Maschinen in den meisten Fällen nicht entfliehen.»

Jon Cantieni ist aber auch überzeugt, dass es die herkömmlichen Vergrämungsmethoden nach wie vor braucht. «Insbesondere wenn wir viel zu tun haben – beispielsweise um den 15. Juni, wenn das Ökoheu gemäht werden darf – und nicht überall gleichzeitig unsere Einsätze leisten können, sind wir froh, wenn die Landwirtinnen und Landwirte eng mit der örtlichen Jägerschaft zusammenarbeiten und zusätzlich auch verblenden», sagt er. Drohnenfliegen mache die Rehkitzrettung zwar effizienter und sicherer, ersetze das Verblenden aber nicht.

Schweizer Ökoheu

Von der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Schweiz sind fast 200’000 Hektaren sogenannte Biodiversitätsförderflächen. Dazu gehören auch die extensiv und wenig intensiv genutzten Wiesen. Extensiv und wenig intensiv bewirtschaftete Weiden weisen eine hohe Pflanzenvielfalt auf: Unter den charakteristischen Gräsern wie der Aufrechten Trespe, sind in extensiven Wiesen auch Esparsetten, Skabiosen-Flockenblumen, die Kleine Bibernelle, Wiesensalbei oder Orchideen zu finden und in wenig intensiv genutzten Wiesen sind Fromental oder Goldhafer, Margerite, Wiesen-Pippau und Acker-Witwenblume charakteristisch. Diese Wiesen beherbergen ausserdem eine grosse Vielfalt an Insekten und Spinnen und sind auch ein geeignetes Habitat für Frösche, Eidechsen und Blindschleichen. Zudem werden sie von bodenbrütenden Vögeln, Rehen, Hasen und anderen kleinen Säugetieren benutzt.

Mulchen und Pflanzenschutzmittel sind auf diesen Wiesen grundsätzlich nicht erlaubt und extensive Wiesen werden nicht, wenig intensiv genutzte Wiesen nur leicht mit Mist oder Kompost gedüngt. Der erste Grasschnitt des sogenannten Ökoheus erfolgt spät und darf in der Tal- und Hügelzone erst ab dem 15. Juni und in den Bergzonen erst ab dem 1. oder 15. Juli erfolgen. Dabei dürfen jeweils 10 Prozent dieser Wiesen nicht gemäht werden. Diese Restfläche soll ermöglichen, dass sich Insekten und Kleintiere in diesen Raum zurückziehen können und ihre Brut beenden können und den ökologischen Ausgleich sowie die nächste Generation der Flora und Fauna gewährleisten.