Biohof auf 1000 Metern – Landwirtschaft in den Zürcher Bergen

Bergbauernhöfen kommt eine besondere Bedeutung bei der Bewahrung der Landschaft und der Biodiversität zu. Ein Besuch auf einem Zürcher Hof, bei dem Kreislaufwirtschaft im Fokus steht.
Zuletzt aktualisiert am 19. Februar 2024
von Michael Götz
Abb 6B Ziegen Beobachten (1)

Grossegg ist der höchstgelegene, ganzjährig bewirtschaftete Landwirtschaftsbetrieb im Kanton Zürich auf etwa 1'000 Meter ü.M. Die Bewirtschafter Tamara und Jörg Stoller sind über Umwege zur Landwirtschaft gekommen. Tamara machte die Lehre zur Landwirtin und Jörg arbeitete als Arbeitsagoge, als sie sich im Jahre 2003 in einer Hofgemeinschaft einer sozialen Einrichtung kennenlernten. Sie heirateten und arbeiteten gemeinsam auf verschiedenen Landwirtschaftsbetrieben. Seit 2021 führen sie selbständig den Biohof auf der Grossegg im Zürcher Oberland.

Die Tiere im Mittelpunkt

Von Steg im Tösstal sind es etwa sechs Kilometer bis zur Grossegg. Eine schmale,  gut gepflegte Strasse führt durch lichten Bergwald bis sie vor einem grossen Hof endet. Tamara und Jörg zeigen zuerst den Stall, den gefühlten Mittelpunkt des Hofes.

Zwei ausgediente Ledersessel im Stallgang zeugen davon, dass die beiden hier nicht nur arbeiten, sondern gerne bei ihren Tieren sind. Am Stalleingang wacht Junghahn Bax darüber, wer in den Stall kommt. Jörg nimmt ihn auf den Arm und streichelt ihn.

Kleine Kühe sind optimal

Im Stall ist gerade nicht viel los - es herrscht Siesta. Die Pfauenziegen halten sich mehrheitlich draussen im sonnenbeschienenen Auslauf auf. Die Kühe dösen an diesem Wintertag mit ihren Kälbern auf einem Tiefstreubett. Es sind Hinterwälder, die kleinste Kuhrasse Europas.

Ihre Neugier erwacht. Aber wer kein Futter mitbringt, wird schnell einmal zur Nebensache.  Nelke, mit ihren 16 Jahren die älteste Kuh im Stall, verschwindet ganz unbemerkt. «Von meinem Kalb hältst du Dich aber fern», scheint eine andere Kuh zu sagen.

Die Hinterwälder passen prima zum Bergbetrieb, denn sie seien leicht und stellten keine grossen Ansprüche an das Futter, erklärt Jörg. Von Mai bis Oktober sind sie den ganzen Tag auf der Weide. Der vorherige Pächter hat die Hinterwälder Kühe anfangs gemolken, aber nach dem Bau des Freilaufstalles auf Mutterkuhhaltung umgestellt.

Abb 3A Nelke Auf Balkon

Ziegen brauchen einen strukturierten Stall

Kiwi ist die Chefin der Pfauenziegen und verlangt besondere Aufmerksamkeit von Jörg. Auch wenn Geissen gerne schmeicheln, können sie untereinander sehr streitlustig werden. Deswegen gilt es, den Stall so einrichten, dass die Geissen einander gut ausweichen und geschützte Plätze aufsuchen können, erklärt Jörg.

Er hat Bretter an den Wänden montiert, auf denen die Tiere ruhen können, ohne von anderen gestört zu werden. Das Hochspringen ist kein Problem für sie, denn sie sind so agil wie Gämsen. Zum Ausruhen können sie sich in ausgediente Paloxen zurückziehen oder auf den Paloxen liegen.  

«Rundläufe sind wichtig, damit kein Tier in die Enge getrieben wird», betonen die beiden Geissenfreunde. Entlang der Futterkrippe befindet sich ein Fressgitter zum Einsperren der Tiere, damit jedes in Ruhe fressen kann.

Jungtiere, Gitzis genannt, gibt es jetzt anfangs Februar keine in der Herde. Sie kommen erst im März zur Welt. Den Sommer verbringen sie mit ihren Müttern auf einer Alp im Averstal in Graubünden. Nach ihrer Rückkehr zur Grossegg kommen sie auf die Herbstweide und werden dann geschlachtet.

Da die Kuh- und die Ziegenherden mit je etwa 9 Muttertieren klein sind, mieten die Tierhalter den Stier bzw. den Bock zur Deckzeit aus. Auf diese Art lässt sich Inzucht vermeiden.

Abb 8 Auf Der Brücke 2

Garten als Leidenschaft

Die Hühner auf dem Betrieb laufen frei herum. «Aber nicht im Gemüsegarten», schränkt Tamara bestimmt ein. Die 25 Hühner gehören acht bis neun verschiedenen Rassen an. Es sind kräftige Zweinutzungshühner, also für Eier und Fleisch. Auch die Eier unterscheiden sich im Aussehen; neben weissen gibt es grüne, braune oder gesprenkelte.

Am Wohnhaus vorbei geht es in den eingezäunten Garten, wo Tamara neben Gemüse zur Selbstversorgung vor allem Heilkräuter anbaut, die sie zu Salben und Essenzen weiterverarbeitet. Sie bietet diese über das Internet an und verschickt sie per Post.

Neben den Tieren ist der Garten ihre Leidenschaft. «Ich bin wahnsinnig gerne im Garten», lässt sie wissen. Hinter dem Garten halten zwei Maultiere und ein Pferd Ausschau nach Tamara und Jörg. Das Pferd darf hier seinen Lebensabend geniessen, während die Maultiere den beiden als Reittiere dienen.

Sie helfen ihnen, die Kühe auf die verschiedenen Weiden zu treiben. «Sie sind eigen, brauchen Zeit und müssen mitdenken können», charakterisiert Tamara ihre vierbeinigen Mitarbeiter. Drei Hunde und fünf Katzen runden die Hofgemeinschaft ab. Am Rand des Gartens befindet sich eine kleine «Luxusvilla» für Gäste und HelferInnen.

In geschlossenen Kreisläufen wirtschaften

Tamara und Jörg sind Pächter des Hofes. Eigentümer ist das Immobilienamt des Kantons Zürich. Zum Hof gehören 23 ha Grünland. Über 60% der landwirtschaftlichen Nutzfläche sind Ökowiesen mit hoher botanischer Qualität. Die meisten werden nur einmal pro Jahr gemäht.

Die im Stall anfallende Gülle setzen die Bergbauern gezielt auf tiefer gelegenen Wiesen ein. Die ca. 90 Hochstammbäume liefern Äpfel und Birnen, welche Stollers zu Most verarbeiten.

«Unser Ziel ist eine Kreislaufwirtschaft», erklären die beiden Pächter. Sie kaufen keinen Dünger zu, sondern bringen den Dung ihrer Tiere auf die Felder zurück, indem sie den Mist in Kompostmieten zu organischem Dünger aufbereiten. Das Einkommen des Betriebes besteht aus den Einnahmen für den Verkauf des Fleisches, der Eier und der Kräuter sowie aus den Direktzahlungen.

Zum Schlachten fahren sie ihre Tiere mit dem Anhänger zu einem örtlichen Metzger nach Fischenthal. Ihre Produkte, vor allem Fleisch und Eier, liefern sie direkt an ihre Kunden in Zürich und Winterthur, die fünf oder zehn Kilo Mischpakete online bestellen können.

«Unser Fleisch wird geschätzt, wir können davon leben», sagen die Landwirte. Ihre persönlichen Ausgaben sind aber bescheiden. Die Direktzahlungen decken ihren Aufwand für die Landschaftspflege ab. Ohne sie würde es nicht gehen. Das Geld geht vor allem in den kleinen Maschinenpark mit dem vielseitig verwendbaren Transporter, dem Traktor zum Zetten des Heus und dem modernen Brielmaier Hangmotormäher mit den Stachelwalzen.

Abb 2 Jörg Und Tamara Stoller 3

Nebenerwerb in der freien Zeit

Das Leben der beiden Menschen auf der Grossegg ist geprägt von Arbeit. «Du musst ein grünes Herz haben», sagt Tamara. Auf einem Hof als Angestellte zu arbeiten verlangt schon einiges an körperlicher Arbeit, ihn auch selbst zu führen und alles zu planen, ist noch anspruchsvoller.

In den ersten drei Jahren galt es, herauszufinden, was möglich und sinnvoll ist und wo die Natur Grenzen setzt. «Ursprünglich, wild und natürlich, abgelegen, artenreich und tiergerecht», sind kurz gefasst ihre Leitgedanken für den Betrieb.

Einen grossen Teil ihrer Arbeit im Sommer ist neben dem Heuen das Freihalten der Weiden von Brombeerstauden und von Aufwuchs. «Wir möchten das, was wir haben, beibehalten und optimieren», beschreiben sie ihr Ziel.

In der noch freien Zeit gehen beide einem Nebenerwerb nach, Jörg als Arbeitsagoge in einem Behindertenheim, Tamara im Frühling als Wiesen-Kontrolleurin bei Agricontrol. Der Betrieb ist Mitglied der Schweizer Bergheimat, ein Verein, der die Landwirte im Berggebiet durch Rat und Tat unterstützt. Die beiden schätzen vor allem den Austausch mit Gleichgesinnten. «Es gibt gute, spannende Ideen», schwärmt Tamara.

Abb 1 Grossegg Am Berg