
Zielkonflikt zwischen Marktrealität und Forderung nach Nachhaltigkeit
Preisdruck, restriktive Pflanzenschutzregeln und widersprüchliche Ansprüche: Die Herausforderungen für die Mitglieder...
1’100 Kisten gefüllt mit Nüsslisalat in Topqualität stehen im Kühlraum bereit zum Ausliefern – eigentlich. Doch an diesem Tag Ende März wird kein Lastwagen auf den Gemüsebetrieb von Peter Kistler in Reichenburg im Kanton Schwyz zufahren, um die über eine Tonne schwere Ware abzuholen. Es gibt keinen Abnehmer. Deshalb landet der Salat noch am gleichen Tag direkt in der Mulde für die Biogasanlage.
Natürlich schmerze ihn das, sagt der Gemüsegärtner. Auch der finanzielle Verlust ist beträchtlich. Doch am meisten ärgert ihn etwas anderes: «Obwohl genug Inlandware vorhanden wäre, importieren die Abnehmer in dieser Zeit tonnenweise Nüsslisalat.» Theoretisch sollte das eigentlich gar nicht möglich sein. Denn die Schweizer Gemüsebranche profitiert seit Jahren von einem Grenzschutz mit hohen Zöllen auf ausländische Gemüse. Diese verteuern Importe während der Anbauzeit so weit, dass sich diese gar nicht erst lohnen.
Doch das System funktioniert nicht mehr richtig, was sich beim Nüsslisalat besonders deutlich zeigt. Den Hauptgrund sieht die Gemüsebranche im Eurokurs, der im Vergleich zum Schweizer Franken in den letzten Jahren dramatisch an Wert verloren hat.
Das System funktioniert einfach erklärt so: Ist während der Anbausaison genug Schweizer Gemüse auf dem Markt, schützen Zölle diesen vor ausländischer Konkurrenz. Ausserhalb der inländischen Anbausaison ist der Import aber frei.
Die Höhe des Zolls für die einzelnen Gemüse und in welchen Monaten dieser gilt, sind gesetzlich festgelegt. Vertreter aus der Gemüseproduktion und dem Handel treffen sich wöchentlich und besprechen jeweils die aktuelle Erntesituation und den Bedarf. Fehlt es dann während der Saison an Schweizer Gemüse, stellt die Branche beim Bundesamt für Landwirtschaft einen Antrag auf die Freigabe von Kontingenten zu tiefen Zollansätzen, um die Inlandversorgung zu sichern.
Beim Nüsslisalat tritt dieser Fall insbesondere in den Wintermonaten eher selten ein. Trotzdem steigen die Importe seit ein paar Jahren kontinuierlich an. Im letzten Jahr kamen auf 3’500 Tonnen inländischen Nüsslisalat knapp über 700 Tonnen aus dem Ausland. Das ist doppelt so viel wie noch vor acht Jahren, als zudem noch 1’000 Tonnen mehr inländischer Nüsslisalat produziert wurde. Einen beträchtlichen Teil davon importierten der Handel und die Verarbeitungsfirmen trotz «Strafzoll».
Hohe Zölle auf Importgemüse während der Anbausaison schützen die Schweizer Gemüseproduktion vor der ausländischen Konkurrenz mit tieferem Kostenumfeld. Zu diesem Zweck sind pro Gemüseart Bewirtschaftungsperioden während den Hauptproduktionsphasen festgelegt, bei denen die Zölle je nach Gemüse so hoch angelegt sind, dass sich der Import im Normalfall nicht lohnt.
Bei den Tomaten dauert diese Bewirtschaftungsperiode beispielsweise von Woche 19 im Mai bis Woche 42 im Oktober, bei Spinat von Woche 10 im März bis Woche 48 im November oder bei Karotten praktisch während dem ganzen Jahr. In den freien Phasen dazwischen gilt ein tiefer, nicht relevanter administrativer Zoll. Bei inländischer Vollversorgung gilt also der sogenannte «AKZA-Code 1».
Während den bewirtschafteten Phasen kann das Bundesamt für Landwirtschaft bei fehlender inländischer Ware auf Antrag der Branche Zusatzkontingente zu einem tieferen Zollansatz gewähren, um die Versorgung im Inland zu sichern. Beispielsweise wegen Ernteausfällen infolge Dürre, Unwetter oder immer öfter mangels Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln. Die Bewirtschaftungsperioden sind bei der Welthandelsordnung WTO hinterlegt.
Nicht alle Gemüse stehen unter Grenzschutz: Ausnahmen sind beispielsweise Spargeln oder Peperoni. Diese Produkte können das ganze Jahr in unbeschränkter Menge eingeführt werden.
Mehr Informationen: https://www.blw.admin.ch/de/einfuhr-von-frischem-obst-und-gemuese
Auch Gemüsegärtner Thomas Wyssa aus Galmiz musste in diesem Winter etwa 5 Tonnen Nüsslisalat entsorgen, weil der Handel mehr ausländische Ware importierte. Er hat nachgeforscht und herausgefunden, dass Handelsfirmen mit ausländischen Gemüsebetrieben Anbauverträge zu einem Preis von drei Euro pro Kilogramm abgeschlossen hätten.
«Zusammen mit dem Strafzoll von sieben Franken kostet dieser dann weniger als zehn Franken pro Kilogramm im Einkauf», erklärt er. Er selbst brauche aber mindestens 12 Franken, um nur schon die Produktionskosten zu decken. Auf sandigen Böden in Frankreich erfolgen der Anbau industriell und die Ernte maschinell. Auf den komplexen Schweizer Böden ist dies kaum möglich, weshalb meistens flinke Hände nötig sind, um die Rosetten an der richtigen Stelle abzuschneiden. Das macht die Schweizer Produktion insgesamt teurer.
Mit dem Import trotz «Strafzoll» macht sich der Handel zwar keine Freunde in der Gemüsebranche, er ist aber legal. Und es gibt Gründe dafür: Wie die Gemüseproduktion spüren Handel und Verarbeitungsunternehmen von küchenfertigen Produkten den Preisdruck der Endabnehmer und suchen entsprechend nach Möglichkeiten, Kosten einzusparen. Der Schweizer Detailhandel liefert sich einen Preiskampf um Marktanteile.
Das Schweizer Gemüse kommt zurzeit deshalb gerade ziemlich unter die Räder. Dabei ist der Nüsslisalat vom einstigen Edelprodukt im Weihnachtssalat in den letzten Jahren zu anonymer Massenware im Plastikbeutel verkommen. Die Herkunft und die Produktionsweise spielen dabei kaum mehr eine Rolle. Dafür umso mehr der Preis.
Die Kundschaft ist in den letzten Jahren preissensibler geworden. Das zeigen die zunehmenden Verkäufe in den Billiglinien bei Coop und Migros, sowie die steigenden Marktanteile der Discounter Aldi und Lidl. Die Gemüsegärtnerinnen und -gärtner spüren das täglich: Verhandlungen mit den Abnehmern werden zeitintensiver und mühsamer.
Einst liess sich mit Nüsslisalat gutes Geld verdienen, mit Abnahmepreisen von bis zu 30 Franken pro Kilogramm. Thomas Wyssa muss heute froh sein, wenn er 14 Franken erhält. Über die Runden kommt er mit diesem Preis, weil er – wie die ganze Gemüsebranche – in den letzten Jahren seine Kosten reduzieren konnte. So herrscht auch innerhalb der Schweiz ein teilweise ruinöser Wettbewerb unter den Gemüsebaubetrieben um die Gunst des Detailhandels, welcher der wichtigste Absatzkanal für Schweizer Gemüse ist.
Bei vielen Produkten funktioniert der Grenzschutz mit den Zöllen zwar immer noch recht gut. Doch nachdem vereinzelt auch andere Gemüse wie beispielsweise im letzten Jahr Tomaten trotz Strafzoll eingeführt wurden, will die Gemüsebranche nun Gegensteuer geben.
Wirtschaftsliberale Kreise kritisieren das System mit Zöllen in der Landwirtschaft, weil es die inländische Produktion für die Konsumentinnen und Konsumenten verteuere. Für die Gemüsebranche ist der Grenzschutz während der Anbausaison aber die Lebensversicherung schlechthin. Dank dem Schutz vor ausländischer Ware können die Gemüsebaubetriebe im hohem Kostenumfeld in der Schweiz bestehen.
Der Schutzmechanismus ist auf politischer Ebene unumstritten und erhielt durch eine Ausweitung der geschützten Bewirtschaftungsphasen bei mehreren Gemüsen im letzten Jahr gar zusätzlichen parlamentarischen Support.
Direkte Subventionen wie Direktzahlungen spielen auf den personal- und kapitalintensiven Gemüsebaubetrieben hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Der Grenzschutz aber eben schon. Economiesuisse schätzt die durchschnittlich erhobenen Zölle beim Gemüse auf 16,4 %. Diese liegen deutlich tiefer als bei anderen Agrarprodukten wie Milchprodukten mit 187,5 % oder tierischen Produkten mit 96,7 %. Die Gemüseproduktion gilt innerhalb der Schweizer Landwirtschaft als besonders unternehmerisch und marktorientiert.
An der Delegiertenversammlung des Verbandes Schweizer Gemüseproduzenten Ende April stellte die Sektion Gemüseproduzentenvereinigung des Kantons Zürich einen entsprechenden Antrag, den die Versammlung einstimmig annahm. Dieser beauftragt den Leitenden Ausschuss als Führungsorgan des Verbandes Schweizer Gemüseproduzenten mit den zuständigen Behörden Verhandlungen aufzunehmen, um den im Fachjargon «AKZA-Code 1» genannten Strafzoll an die Teuerung anzupassen und zu Indexieren.
Seit der Einführung wurden die Zollbeträge nie angepasst. Ziel sei eine Erhöhung um 58 Prozent möglichst über alle Gemüse, erklärte der Präsident der Gemüseproduzentenvereinigung des Kantons Zürich Fritz Meier an der Versammlung. Denn um so viel habe der Euro in den letzten 24 Jahren an Wert eingebüsst. Der billige Nüsslisalat aus Frankreich würde dann inklusive «Strafzoll» etwa 14 Franken kosten, und Thomas Wyssa damit wieder etwas wettbewerbsfähiger.
Preisdruck, restriktive Pflanzenschutzregeln und widersprüchliche Ansprüche: Die Herausforderungen für die Mitglieder...
Der Verband Schweizer Gemüseproduzenten VSGP schlägt in bewegten Zeiten neue Pflöcke ein. An der diesjährigen Delegie...
Wenn im Frühling die Sonne wieder Kraft gewinnt, beginnt nicht nur das Pflanzenwachstum, sondern auch die Spargelsais...