Auf dem Weg zur «ökologischen Intensivierung»

Der Agrarkonzern Syngenta setzt auf eine hochproduktive Landwirtschaft und will gleichzeitig Ressourcen schonen. Helfen soll die regenerative Landwirtschaft.
Zuletzt aktualisiert am 3. Juli 2024
von Jonas Ingold
4 Minuten Lesedauer
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Professor Dr. Franz-Theo Gottwald von der Humboldt-Universität zu Berlin ist grundsätzlich kritisch eingestellt, wenn Konzerne auf einmal Begriffe wie «regenerative Landwirtschaft» verwenden: «Es ist eine überraschende Entwicklung in der Industrie, die sich zunehmend auf regenerative Landwirtschaft konzentriert», so Gottwald an einem von Syngenta organisierten Feldtag auf dem Steinhof in Hendschiken AG.

Aber es scheine nicht nur ein Modewort zu sein, «sondern ein nötiger Schritt der Konzerne zur Erkenntnis, dass weltweit Böden degenerieren und neue Massnahmen erforderlich sind.» Die globale Landwirtschaft befinde sich im Wandel: «Hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft mit weniger Inputstoffen, die negative Nebenwirkungen haben, und mehr positiven, regenerativen Anbausystemen – das ist der Weg, um langfristig und nachhaltig wirtschaften zu können», so Gottwald.

Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft

Der Verein für regenerative Landwirtschaft agricultura regeneratio führt 5 Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft auf: 

  1. Geringe Bodenstörung - reduzierte Bodenbearbeitung und minimierter Hilfsstoffeinsatz.
  2. Ständige Bodenbedeckung - zum Beispiel durch Untersaaten, Zwischenfrüchte oder Pflanzenrückstände.
  3. Lebende Wurzeln im Boden belassen - Bodenleben ernähren.
  4. Hohe Diversität - in der Fruchtfolge und durch Biodiversitäts-Förderung.
  5. Integration von Tieren - optimiertes Weidemanagement und Freilandhaltung von Nutztieren. 

Die regenerative Landwirtschaft kennt keine einheitlichen Standards oder Reglementierungen, sondern ist ein offenes System, das individuell dem Betrieb angepasst werden kann. 

Dementsprechend führt Syngenta folgende Punkte der regenerativen Landwirtschaft auf, die nicht in allen Punkten mit jenen des Vereins übereinstimmen:

  1. Minimale Bodenstörung
  2. Ganzjährige Bepflanzung des Bodens
  3. Diversifizierung der Kulturen in Zeit und Raum
  4. Optimierung des Einsatzes von Betriebsmitteln
  5. Integration von Tieren

Mindestens 5 Prozent der Fläche nötig

Auch deshalb arbeitet Gottwald beim von Syngenta organisierten und finanzierten Projekt NaPa (Naturpositive Agrarsysteme) mit. Franz-Theo Gottwald betont, dass es Grenzen des Machbaren gibt, wenn es um Produktivität in der Landwirtschaft geht. Gleichzeitig sei eine produktive Landwirtschaft auf Biodiversität angewiesen. Ein zentrales Konzept ist die ökologische Intensivierung: Flächen, die – noch – für die Produktion geeignet sind, sollen so bewirtschaftet werden, dass sie langfristig nachhaltig bleiben und weiterhin Nahrung und Futtermittel liefern können.

In den Randzonen mit höherer Biodiversität plädiert Gottwald für Schutzmassnahmen und Förderung der Artenvielfalt. «Es ist aber nicht notwendig, auf jedem Feld 10 Meter Blühstreifen anzulegen», betont Gottwald. Wichtig sei jedoch, dass mindestens 5 Prozent der Fläche eines Betriebs für Biodiversitätsmassnahmen verwendet werde, um einen positiven Effekt zu erzielen. Ein Wert, der in der Schweiz kein Problem darstellt. Auf dem Steinhof liegt die Fläche gar bei 21 Prozent.

Viele Punkte der regenerativen Landwirtschaft seien denn für die Schweiz auch nicht so spektakulär wie in anderen Ländern, da diese bereits breit umgesetzt würden, sagt auch Regina Ammann von Syngenta.

«Ein nötiger Schritt zur Erkenntnis, dass weltweit Böden degenerieren und neue Massnahmen erforderlich sind.»
Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald
Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald
Humboldt-Universität zu Berlin

19 unterschiedlichste Betriebe machen mit 

Das NaPa-Projekt hat zum Ziel, praktische Massnahmen zur Erhöhung der Biodiversität in verschiedenen Betriebssystemen und Regionen zu dokumentieren. «Diese Informationen sind entscheidend, um langfristig und nachhaltig wirtschaften zu können», sagt Gottwald. Mit dabei sind 17 Betriebe aus Deutschland, einer aus Österreich und der Steinhof in der Schweiz. Der Gemischtbetrieb mit Ackerbau und Milchviehhaltung ist einer der kleinen Betriebe, das Gut Klockenhagen in Norddeutschland mit 2400 Hektaren ein riesiger Betrieb.

«Eine zentrale Forschungsfrage ist, wie hohe Lebensmittelqualität, Produktivität, Biodiversität, Bodenschutz, Gesundheit und Klimaschutz vereinbart werden können», erklärt Gottwald. Dies sei eine äusserst komplexe Herausforderung, die langfristig untersucht werden müsse – und dazu brauche es Daten, wie sie NaPa liefere.

Das Projekt will Anbausysteme zusammenbringen und beinhaltet deshalb konventionelle, integrierte und biologische Produktion. «Wir wollen eine Lerngemeinschaft schaffen, die neue Lösungen auf Basis des Austauschs und der Reflexion entwickelt», sagt Gottwald, der gerade in stark reglementierten Systemen für mehr Möglichkeiten zur Flexibilität eintritt. «Wir brauchen Massnahmen, die in der Praxis auch eingesetzt werden können», sagt er.

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Einmal pro Woche tauscht Landwirt Michael Suter auf dem Steinhof die Flaschen der Insektenfalle aus. (jin)

7000 Insektenflaschen pro Jahr werden ausgewertet

Im Rahmen des Projekts NaPa wurden auf den 19 teilnehmenden Betrieben jeweils 8 Fallen zum Fangen von Fluginsekten aufgestellt. «Dies bei Blühstreifen am Ackerrand, aber auch 100 Meter vom Rand entfernt, mitten in der Agrarfläche», sagt der Projekteverantwortliche Sebastian Funk von Syngenta. Dabei nehmen die Betriebe keine Anpassungen bei der Bewirtschaftung vor und arbeiteten wie vor dem Projekt weiter.

Die Fallen stehen das ganze Jahr über an den vorgesehenen Stellen, während der Vegetationsphase leeren die Bäuerinnen und Bauern die Flaschen einmal pro Woche. «So kommen allein bei den fliegenden Insekten 7000 Flaschen pro Jahr zusammen», sagt Funk. Hinzu kommen Käfer, Spinnen und Bodenkleinsttiere. Die tausenden Proben werden am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels ausgewertet.

«Für Agrarflächen fehlen aktuell solche ganzjährigen Daten – bei bisherigen Studien wurden oft nur bestimmte Zeitfenster betrachtet», erklärt Funk. Das Projekt schafft hingegen ein ganzjähriges Bild von sehr diversen Standorten.

Noch keine Resultate, aber erste Learnings

Da das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, gibt es noch keine belegbaren Resultate. Sebastian Funk von Syngenta kann jedoch schon einige Erkenntnisse nennen:

  1. «Logistisch ist es wahnsinnig aufwändig, die Auswertung braucht viel Zeit», sagt er. Deshalb arbeitet Syngenta daran, die Erfassung der Insekten zu automatisieren. Dies soll mit Hilfe von Kameras und Künstlicher Intelligenz geschehen, statt manuell. «Damit könnten wir künftig die Projekte skalierbarer machen und breiter anbieten», sagt er.
  2. Massnahmen wie Blühstreifen funktionieren. «Es zeigen sich dabei Unterschiede, ob nur einjährige und auf Honigbienen optimierte Streifen gesät werden oder ob es wirklich eine richtige Biodiversitätsfläche mit vielfältigen Pflanzen ist», erklärt Funk. Die Massnahmen hätten grosse Effekte sowohl auf fliegende Insekten und Bodentiere als auch auf Vögel. Publizierte Daten gibt es aktuell noch keine – diese folgen bis im Winter sowie im Verlauf des nächsten Jahres zum Abschluss des Projektes. «Bereits die aktuellen Erkenntnisse sind aber ein grosses Zeichen für die Landwirte, da wir nachweisen können, dass die Massnahmen einen positiven Effekt haben», so Sebastian Funk.

Bodenanalyse mittels Scan

Am Feldtag stellte Syngenta das Bodenscan-Projekt Interrascan vor. Das Gerät kann während den normalen Feldarbeiten an der Landmaschine montiert werden und liefert mittels Gammastrahlenspektrometer (die Gammastrahlung wird durch den natürlichen Verfall des Bodens freigesetzt) Daten zur Nährstoffverfügbarkeit (Makro- und Mikronährstoffe), Bodentextur, organischer Substanz und pflanzenverfügbarem Wasser.

Die generierten Daten werden zusammen mit Referenzbodenproben analysiert und können beispielsweise dazu dienen, den Dünger- und Pflanzenschutzmitteleinsatz zu optimieren.